Foto: Bulgrin - Bulgrin

Von Doris Brändle

Bereits am frühen Nachmittag hatten den Deizisauer Bürgermeister Thomas Matrohs gestern mehrere Mails seiner Bürger erreicht. Sie hatten bei seiner Neujahrsansprache oder aus der Zeitung erfahren, dass ab heute 28 Flüchtlinge in die Baracken am Ortsrand einziehen sollen, die in anderen Unterkünften im Kreis immer wieder in Streitereien und Schlägereien verwickelt waren. Die Reaktionen reichten laut Matrohs von verängstigt bis irritiert. Jedem antwortet er persönlich und lädt ihn zum Gespräch ein. Der Tenor der Mails: Warum werden die Schläger und Randalierer aus der ganzen Gegend gerade in Deizisau versammelt?

Peter Keck vom Landratsamt stellt erst mal klar: „Es kommen keine Kriminellen nach Deizisau, sondern Leute, die in größeren Unterkünften Schwierigkeiten hatten, sich zu integrieren.“ Vor allem in Aichtal und in der Blumenhalle im Scharnhauser Park hatte es in den vergangenen Wochen immer wieder Auseinandersetzungen gegeben - angefacht von einigen wenigen jungen Männern. Die Stadt Ostfildern hatte den Landkreis deshalb immer wieder aufgefordert, die Unruhestifter aus den Hallen herauszunehmen. Auch aus anderen Unterkünften im Kreis gab es Beschwerden über einzelne Flüchtlinge. In den Baracken im Deizisauer Industriegebiet sollen die 28 jungen Männer, vorwiegend Nordafrikaner, jetzt untergebracht werden. Heute treffen die ersten ein.

Männer wie der 24-jährige Algerier, der im Dezember einen 22-jährigen Landsmann niedergestochen und lebensgefährlich verletzt hatte, seien aber ganz sicher nicht darunter. „Wir haben schließlich einen Rechtsstaat“, sagt Matrohs. „Es kommen keine Gewalttäter und keine Straftäter, das wurde mir zugesichert vom Landratsamt.“ Keck erklärt, es handle sich um Leute, die zum Beispiel immer wieder nachts das Radio anschalteten und die ganze Halle aufweckten, oder in Prügeleien verwickelt seien. Die Streitigkeiten hätten die Männer immer untereinander ausgetragen, nie hätten sie sich gegen Ehrenamtliche oder Außenstehende gewendet. „Ich hätte mich nie bereit erklärt, das Projekt mitzutragen, wenn die Deizisauer dadurch gefährdet würden“, versichert Matrohs. Der Bürgermeister hat dem Landkreis die Baracken vor Weihnachten aktiv angeboten. Sie waren eigentlich längst für den Abbruch vorgesehen, um dort größere Unterkünfte für 130 Flüchtlinge zu bauen. Deizisau hat seine Aufnahmequote bis jetzt noch nicht einmal zur Hälfte erfüllt. Matrohs hofft jetzt, dass die Gemeinde durch seine Kooperation davor verschont bleibt, dass Hallen mit Flüchtlingen belegt werden. „Ich denke, dann wäre der Aufschrei, aber auch die Beeinträchtigung hier wesentlich größer.“

Die 28 Männer werden ebenso von der Arbeiterwohlfahrt betreut wie in anderen Unterkünften. Aber die Beobachtung durch Polizei und Security werde erhöht, erklärte Keck. „Ich denke, das ist relativ nahtlos.“ Es handle sich um eine homogene Gruppe von Flüchtlingen. Und eine kleine Unterkunft bedeute weniger Stress. In Stuttgart habe man damit gute Erfahrungen gemacht. Auch mit dem Arbeitskreis Asyl hatte Matrohs im Vorfeld gesprochen. „Ich habe keine Bedenken und auch keine Angst“, sagt Bettina Siegel, eine der Ehrenamtlichen. Wenn man eine Weile mit Flüchtlingen arbeite, kriege man so einiges mit. „Ich war auch schon dabei, wenn einer wütend wurde und es richtig Ärger gab unter den jungen Männern“, sagt sie. Oft seien ganz banale Dinge der Auslöser: Der eine wolle ein anderes Fernsehprogramm angucken oder ärgere sich, weil schon wieder einer sein Shampoo benutzt hat. „Aber man muss auch mal überlegen, dass die Leute zum Teil aus Turnhallen kommen, in denen man keine fünf Minuten Ruhe hat. Das ist extremer Stress.“ Sie spüre inzwischen auch, dass sich bei vielen Frustration breit mache, weil sie auch nach einem Dreivierteljahr nicht wissen, wie es für sie weitergeht. „Man müsste von oben, zum Beispiel vom Bundesamt für Migration, einfach vieles beschleunigen.“

Auch bei den 28 Neuankömmlingen setzen die Ehrenamtlichen auf Begegnung. „Wir wollen Gespräche mit den Deizisauern ermöglichen. Wenn man ein Gesicht vor sich hat, dann merken die Leute, dass das normale junge Männer sind, die versuchen, Fuß zu fassen.“