Der Fotograf Mohammed Kanah würde auch in einem Motorenwerk arbeiten, wenn er eine feste Stelle bekäme. Obwohl Manfred Bieser, Leiter des Kreismedienzentrums, ihn unterstützt, ist die Arbeitssuche erfolglos. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Roland Kurz

Er könnte ein Vorzeige-Flüchtling sein. Mohammed Kanah aus Syrien spricht gut Deutsch, hat den deutschen Führerschein gemacht, besitzt schon ein eigenes, wenn auch altes Auto, hat eine Wohnung gefunden, kennt einflussreiche Menschen. Aber nach zwei Praktika hat er immer noch keine feste Arbeitsstelle gefunden. Man ließ ihn drei Monate arbeiten und vertröstete ihn dann, man werde für ihn den Kontakt zu einer Zeitarbeitsfirma herstellen.

Vor dem Interview lässt sich der 31-Jährige in der Kantine des Esslinger Landratsamtes einen Kaffee heraus. Zufällig holt sich der Landrat gerade einen Joghurt. „Hallo Herr Mohammed, wie geht‘s Ihnen denn? Was macht Ihr Bruder?“ So wird Heinz Eininger wenige der 5000 Flüchtlinge begrüßen, die in den Unterkünften des Landkreises leben. Den Fotografen Mohammed Kanah kennt man im Haus. Er hat schon eine Ausstellung im Landratsamt gemacht und Eininger engagierte ihn privat, um seinen 60. Geburtstag festzuhalten.

Am 28. August 2014, 12 Uhr, ist Kanah mit seinem jüngeren Bruder und dem Cousin in Deutschland angekommen, am Münchner Hauptbahnhof - nach einer Odyssee übers Mittelmeer, wie sie viele syrische Flüchtlinge hinter sich haben. In Dortmund hatte er eine Adresse, aber in Karlsruhe wurde das Trio kontrolliert und ins Aufnahmelager gebracht. Ein paar Tage später gehörte Mohammed Kanah zu den ersten Flüchtlingen, die in die Sporthalle Zell einzogen. Davon war er ebenso wenig begeistert wie andere Ankömmlinge. Aus Protest übernachtete er vor dem Esslinger Rathaus.

„Danke Deutschland“

Heute erzählt Kanah lächelnd, wie Peter Keck, Pressesprecher des Landrats, ihn von der Halle überzeugte: „Keine Adresse, keine Papiere.“ Mit Kecks Kameraproblemen begann an diesem Tag die besondere Betreuung des Syrers. Kanah bot seine Hilfe an und daraus entwickelte sich der Kontakt zu Manfred Bieser vom Kreismedienzentrum. Der lieh ihm eine Profi-Kamera und ließ ihn die Fotos im Medienzentrum bearbeiten. Im Februar 2015 durfte Kanah seine großformatigen Werke im Foyer des Landratsamtes zeigen.

Bieser ist für den Syrer wie ein zweiter Vater geworden und er nennt ihn auch so. „Mein Vater hat mir viel geholfen, ich kann ihn immer anrufen“, sagt Kanah. Auch die Wohnung in Wernau hat er nach sieben Monaten Turnhalle mit Biesers Unterstützung gefunden. Für 1,05 Euro die Stunde konnte Kanah auch 100 Stunden im Monat für die Ausbildungsabteilung des Landratsamtes und die beruflichen Schulen fotografieren.

Bei der Jobsuche haben die guten Beziehungen aber keinen durchschlagenden Erfolg gebracht. „Ich habe gedacht, ich finde hier wieder Arbeit als Fotograf, aber hier fotografiert ja jeder“, sagt Kanah frustriert. Deshalb habe er einen Plan gemacht: Geld für den Führerschein sparen, dann eine Ausbildung als Kfz-Mechatroniker machen. Aber sein „Vater“ widersprach: „Du musst Fotograf bleiben!“ Mohammed Kanah fand auch eine Praktikumsstelle bei einer Agentur, die Fotos und Videos von Fußballspielen vertreibt. Sieben Monate arbeitete Kanah an den Wochenenden für die Agentur. Verdient hat er nichts, die neun Euro für die Fahrkarte von Wernau nach Stuttgart musste er selbst bezahlen. Am Ende bot ihm sein Chef an, 200 Stunden im Monat und zehn Euro brutto. Davon könne er nicht leben und 500 Euro Miete selbst zahlen. „Ich will Arbeit, keine Hilfe vom Sozialamt“, sagt der 31-Jährige. Die Suche nach einem besser bezahlten Job gestaltete sich schwierig. Und Ausbildungsstellen bieten deutsche Firmen nur Flüchtlingen unter 25 Jahren an, stellte Kanah fest.

Der Betreuer vom Jobcenter ermöglichte aber ein zweites Praktikum bei Daimler. Dreieinhalb Monate arbeitete Kanah im Motorenwerk, bis er erfuhr, es gebe für ihn und die anderen Flüchtlinge keine Anstellung nach dem Praktikum. Überrascht stellte Kanah kurz darauf fest, dass für das Motorenwerk 15 neue Leute von einer Zeitarbeitsfirma angefragt wurden. Kanah war selbstbewusst genug, um seinen Ausbilder auf sein Versprechen hinzuweisen. Genützt hat es wenig. Dass ihm und den anderen Praktikanten dann noch ein falsches Zertifikat ausgestellt wurde, ärgert Kanah zudem. Man hat ihm versprochen, eine korrigierte Version zuzuschicken, die ihm Sprachniveau B1 attestiert, nicht A1. Darauf wartet er seit drei Wochen. Kanah will aber nicht nur kritisieren. „Danke Deutschland“, sagt er, „Danke dafür, dass Flüchtlingen ein oder zwei Jahre geholfen wird. Aber jetzt will ich arbeiten.“

Schließlich beginnt Mohammed Kanah, von seinem Zuhause und von seiner Flucht zu erzählen. Eine lange Geschichte. Mit 12 oder 13 fing er an, im Fotostudio seines Vaters zu arbeiten. Ihm und seiner Familie ging es gut in Syrien. Der Vater hat eine Immobilienfirma und eine Spedition mit 85 Lastwagen. „Wir waren reich“ sagt Kanah. 2011 zog die Polizei Assads in die Stadt Daraa ein, es gab die ersten Toten des Bürgerkriegs und bei deren Beerdigung habe die Polizei in die Menge geschossen, berichtet Kanah. Er habe das auf Fotos und Videos festgehalten und auf Facebook gestellt. Der TV-Sender Al Jazeera übernahm die Aufnahmen. Als dann das Militär in Daraa einrückte, wurde Kanah wie die anderen jungen Männer festgenommen. 14 Monate saß er im Gefängnis. „Jeden Tag gab es Stromstöße.“

Und die Welt schaut zu

„Vater“ Bieser staunt. Bislang habe Mohammed wenig über den Gefängnisaufenthalt erzählt. Kanah berichtet weiter. Nach so einer Sonderbehandlung habe sein Herz ausgesetzt. Man brachte ihn ins Krankenhaus. Sein Vater bezahlte dann einen Taxifahrer, um ihn aus der Klinik herauszuschleusen und in ein Krankenhaus in Beirut zu bringen. Nach dem Klinikaufenthalt arbeitete er dort als Fotograf. Als auch sein jüngerer Bruder in den Libanon fliehen musste, beschlossen sie, die Flucht nach Europa vorzubereiten. Der Libanon erschien ihnen aufgrund der Verbindung Assads zur Hisbollah nicht sicher genug.

Der Weg führte nach Istanbul, wieder zurück nach Beirut, dann nach Algier. Für 4000 Dollar gebe es einen Flug nach Europa, versprach man ihnen. Doch sie wurden in die Sahara gefahren, wo man ihnen das Geld abnahm. Mit den Dollars, die Kanah besser versteckt hatte, schafften sie es bis an die tunesische Grenze. Zwei Monate lebten sie auf engstem Raum mit 83 anderen Flüchtlingen. Zwei Monate lang gab es Spaghetti. Als dann eine libysche Miliz auftauchte, flohen sie mit ihren Bewachern in die Wüste. Die Miliz erwischte sie, meinte es aber gut mit den Flüchtlingen und sorgte dafür, dass die 83 mit 300 anderen Syrern und 200 Gambiern auf ein ordentliches Schiff kamen. Nach sechs Stunden übernahm sie eine italienische Patrouille und setzte sie in einem Hafen ab. Kanah weiß nicht wo, sie wurden sofort in einen Zug nach Turin gesteckt. Es folgen Mailand, München, Karlsruhe, Esslingen. Kanah ist fertig mit seiner Erzählung. Erleichtert. Dann kommt der bitter klingende Nachsatz: „Die ganze Welt schaut zu, was in Syrien passiert, aber sie macht nix. Aber Gott sieht, was passiert.“