Heiner Flassbeck Foto: Dietrich Quelle: Unbekannt

Die Summe aller Schulden auf der Erde ist Null. Das war den etwa 60 Zuhörern in der Rupert-Mayer-Kapelle des Kunstvereins Neuhausen schnell klar. Warum das so ist, erläuterte der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck. Er traf auf ein äußerst diskussionsfreudiges und gut informiertes Publikum.

Von Peter Dietrich

Wer sparen will, braucht immer einen, der bereit ist, sich zu verschulden, erklärte Flassbeck. Er blickte auf das Deutschland der Jahre 1960 bis 1975 zurück: Die Privathaushalte haben gespart, die Unternehmen sich verschuldet und so Investitionen finanziert. Heute wollten die Deutschen immer noch 150 Milliarden Euro im Jahr zur Bank tragen, doch auch die Unternehmen seien zu Sparern geworden und der Staat wolle sich auch nicht mehr verschulden. Wer macht dann noch Schulden? Nur noch das Ausland wegen des hohen deutschen Leistungsbilanzüberschusses, der klar über dem Limit von sechs Prozent liege, das in Europa gelte. Deutschland breche ungestraft die Regeln. Dieser Überschuss und die deutsche Forderung, andere Länder müssten ihre Schulden abbauen, seien nicht gleichzeitig möglich.

„Das größte Problem der Marktwirtschaft derzeit: Die Unternehmen sind zu Sparern geworden“, sagte Flassbeck. Solange die Unternehmen keine Schulden machten, gebe es keine Chancen, staatliche Schulden zurückzuführen. Nullzinsen hätten nichts bewirkt. Ob es etwas nütze, die Unternehmenssteuern wieder drastisch zu erhöhen, die zu Schröders Zeiten halbiert wurden, sei unklar. Aber diese und andere Maßnahmen seien wenigstens zu diskutieren.

Noch ein Blick zurück: Flassbeck erinnerte an die Vor-Euro-Zeit, als die Inflation in Italien viel höher als in Deutschland war. Die Lira wertete immer wieder ab, der deutsche Tourist freute sich. Dann kam der Euro und mit ihm das Ziel einer einheitlichen Inflationsrate von knapp zwei Prozent. Doch Deutschland hielt sich auch da nicht daran - im Gegensatz etwa zu Frankreich. Die Inflation, so Flassbeck, werde durch die Lohnstückkosten bestimmt: Stiegen die Löhne um vier Prozent und die Produktivität um zwei Prozent, führe das zu einer Inflation von zwei Prozent. „Man muss die Löhne immer um zwei Prozent mehr als die Produktivität des eigenen Landes steigen lassen. Doch Deutschland betrieb Lohndumping.“ Nicht nur Griechenland, Spanien und Italien, die ihre Löhne zu stark erhöht hatten, gerieten ins Hintertreffen, sondern auch Frankreich, das genau die Zielmarke traf. Einen Ausgleich über Abwertung gab es nicht mehr, die Schere lief auseinander. Griechenland hat die Löhne inzwischen stark gesenkt, doch damit sank die Kaufkraft, die Arbeitslosigkeit stieg drastisch an.

„Die Löhne müssen in Deutschland stärker steigen“, forderte Flassbeck. Die Anpassung dauere zehn bis 15 Jahre. Ob Deutschland den Euro nutze, um die anderen niederzukonkurrieren?, fragte ein Zuhörer. Flassbeck bejahte dies. Deutschland habe, spitz formuliert, seine Arbeitslosigkeit exportiert. „Dass alle gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern, geht nicht. Das ist, wie wenn am nächsten Bundesligasamstag mal alle gewinnen sollen.“

„Ich bin für die Marktwirtschaft“, betonte Flassbeck. Eine Planwirtschaft bringe viel mehr Probleme. „Aber wir müssen fragen, was die Rolle des Staates ist.“ Wenn sich nichts ändere, „sind Frankreich und Italien in fünf bis zehn Jahren wirtschaftlich tot.“ Möglich hält Flassbeck, dass Italien nach der Wahl 2018 den Euro verlässt. Die neue Währung werte massiv ab, Deutschland verliere seinen Exportmarkt und Guthaben. Das alles geschehe sehr plötzlich und nicht friedlich.

Heiner Flassbeck war Ende der 90er-Jahre Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und von 2003 bis 2012 Chefvolkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung in Genf. Er gehört zu den Autoren von www.nachdenkseiten.de und hat mit Paul Steinhardt den Blog www.makroskop.eu gegründet. Sein aktuelles Buch „Nur Deutschland kann den Euro retten“ ist bei Westend erschienen.

Die Ausstellung „Our Mind Into A Brezel“ des Kunstvereins Neuhausen in der Rupert-Mayer-Kapelle ist bis 4. Dezember zu sehen, samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr.