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„Begrüßungsregeln spiegeln oft hierarchische Strukturen wider, die in einer Gesellschaft existieren.“

Von Miriam Schröder

Esslingen ist weiß Gott keine Metropole. Doch oft reichen die 91 000 Einwohner aus, um in die Anonymität einer echten Großstadt abzutauchen. Kopfhörer auf den Ohren, Blick aufs Smartphone gerichtet und schon kann man sich durch die Fußgängerzone treiben lassen. Dabei gilt wie in jeder größeren Stadt: Entgegenkommende Passanten gehören zum Inventar - sie sind Teil eines Bühnenbildes, der erst dann relevant wird, wenn man nach dem Weg sucht oder ein bekanntes Gesicht erspäht. Im ländlichen Raum wie auf der Schwäbischen Alb oder im Allgäu sieht das anders aus. Hier fällt jeder Fremde auf und gegrüßt wird sowieso. Eine Initiative hat kürzlich gezeigt, wie wichtig der Begrüßungskult für einige ist: Karl Stiefenhofer aus Eglofs im Kreis Ravensburg hat den ersten Grüß-Gott-Verein Deutschlands gegründet, um die traditionelle Begrüßungsformel vor dem Aussterben zu retten. Doch warum spielen Begrüßungen so eine wichtige Rolle in der Gesellschaft?

Regeln vom Kulturkreis abhängig

„Zunächst sind Begrüßungsformeln und Begrüßungsrituale Ausdruck einer Kultur“, sagt der Völkerkundler Gustav Schöck. Was gängig ist und was nicht, unterliegt dabei einem stetigen Wandel. So gab es früher zum Beispiel ein striktes Regelwerk, wer dem Papst beim Begrüßungskult wie nahe kommen durfte. Je nach Stand war es einem erlaubt, den Boden vor dem Heiligen Vater zu küssen oder immerhin den Schuhen oder gar dem Ring seiner Heiligkeit die Ehre zu erweisen. „Das liegt daran, dass Begrüßungsregeln oft auch hierarchische Strukturen widerspiegeln“, erklärt der ehemalige Leiter der Landesstelle für Volkskunde im Landesmuseum Württemberg. Begrüßungsrituale sind aber auch identitätsstiftend. So gebe es spezifische Begrüßungsrituale in ländlichen Regionen, erzählt Schöck. Da sage man ganz oft statt „Hallo“ einfach nur „So, kommsch au?“ oder „Na, hasch Futter g’holt?“. Unter Gleichgesinnten funktionieren Begrüßungsrituale also oft anders als in der Kommunikation mit anderen Gruppen. Hier handelt es sich um ein Phänomen, das jeder kennt, der schon mal die Joggingschuhe geschnürt hat und anschließend automatisch in die unsichtbare Gemeinschaft der Hobbysportler aufgenommen wurde - und plötzlich wie selbstverständlich von allen Sportbegeisterten begrüßt wurde. Neben der regionalen Komponente ist also auch der soziale Kontext entscheidend.

Angela Schmid, Pastoralreferentin der Katholischen Gesamtkirchengemeinde Wernau, sieht das ähnlich. „In unserer Gemeinde hört man oft ein ‚Grüß Gott‘. Ich glaube aber, dass das meist als Floskel benutzt wird und die eigentliche Bedeutung oft nicht mehr bekannt ist.“ Schließlich geht es bei der Grußformel keineswegs wie vielfach angenommen darum, dem lieben Gott ein Grußwort weiterzuleiten, sondern darum, Gottes Segen weiterzugeben. „Ich selbst bin mir der Bedeutung des Ausdrucks bewusst und verabschiede mich auch gerne mit ‚Ade‘, was ja von dem französischen ‚Adieu‘ abgeleitet ist und sich ebenfalls auf Gott bezieht“, berichtet die Pastoralreferentin. Dennoch benutze auch sie die Grußworte eher floskelhaft und mache ihre Wortwahl von der jeweiligen Gesprächssituation abhängig. Schließlich sei ein „Hallo“ bei Jugendlichen deutlich angesagter als ein altmodisches „Grüß Gott“.

Schon im Kindergarten wird den Kleinsten vermittelt, dass eine ordentliche Begrüßung unabdingbar ist. „Bei uns werden alle Kinder einzeln mit Handschlag begrüßt“, erzählt Claudia Forderer, Erzieherin im Kindergarten Rasselbande in Aichwald-Aichelberg. Wenn die Kleinen ihr die Hand schütteln, achtet sie auch immer darauf, dass die Kinder Blickkontakt halten. Damit ist das allmorgendliche Begrüßungsritual im Kindergarten noch nicht beendet. In einem großen Kreis werden alle mit einem Guten-Morgen-Lied in Empfang genommen.

Auch in der Schule geht nichts ohne eine anständige Begrüßung. Marianne Nobbe von der Erich-Kästner-Schule Nellingen hält es so: „Ich warte immer darauf, dass alle Schüler aufstehen und dann begrüßen wir uns je nach dem zu einem ‚sonnigen‘, ‚regnerischen‘ oder ‚arbeitsreichen‘ guten Morgen.“ Insgesamt sei das freundliche Grüßen eine Selbstverständlichkeit für die Schüler, im Klassenzimmer wie auf dem Flur oder dem Schulhof, erklärt die Grund- und Werkrealschullehrerin. Doch auch wer von klein auf gelernt hat, freundlich „Hallo“ zu sagen, kann einiges falsch machen. „Die Begrüßung ist das Allerwichtigste und absolut entscheidend“, erklärt die zertifizierte Knigge-Trainerin Gudrun Wechselgartner-Nopper. Die zweifache Mutter bietet regelmäßig Seminare an, in denen vor allem Jugendliche lernen können, wie sie sich nach Knigge-Regeln richtig zu benehmen haben. „Die ersten drei Sekunden entscheiden über den ersten Eindruck. In dieser kurzen Zeit entscheidet sich, ob man das Gegenüber sympathisch findet oder nicht“, erklärt sie. Wer in diesen drei Sekunden versage, habe es oft schwer, den schlechten Eindruck wieder wettzumachen.

Ausgeklügeltes Regelnetzwerk

Und wer glaubt, so viel könne man beim Begrüßen gar nicht falsch machen, täuscht sich. Ein ausgeklügeltes Regelwerk dient zur Orientierung: Wann muss man Fremde grüßen, wann nicht? Soll ich warten, bis mein Chef auf mich zukommt oder selbst die Initiative ergreifen? Das alles kann man in Weichselberger-Noppers Workshops in praktischen Übungen lernen und verinnerlichen. Gerade in Vorstellungsgesprächen ist es wichtig, die Regeln automatisiert zu haben und sich ganz auf den Inhalt zu konzentrieren.

Wer also in puncto Höflichkeit im Betrieb oder bei den Schwiegereltern punkten will, sollte sich den guten alten Knigge noch einmal zu Herzen nehmen. Sonst bleibt immer noch, sich auf eine andere Regel zu verlassen: Freundlich sein und auf den Gesprächspartner reagieren - so stehen die Chancen, trotz Fauxpas beim Handschlag einen guten Eindruck zu machen, doch eigentlich gar nicht ganz so schlecht. Vorsicht ist aber in fremden Kulturkreisen geboten. Da kann leicht befremdlich wirken, was in Deutschland längst gang und gebe ist - und andersherum.

Tipps der Knigge-Beraterin

Gudrun Wechselberger-Nopper aus Backnang ist zertifizierte Knigge-Trainerin und bietet regelmäßig Benimm-Seminare für Schüler, Auszubildende, Angestellte oder andere Gruppen an. Ihre Seminare finden in ganz Baden-Württemberg statt, regelmäßig veranstaltet sie auch Kurse im Kreis Esslingen.

Der Eintretende grüßt die bereits Anwesenden. Auch fremde Leute werden begrüßt, allerdings beschränkt sich die Regel auf überschaubare Räume wie Wartezimmer, kleine Läden, Bushaltestellen oder den Aufzug.

  • Der Einzelne begrüßt die Gruppe. Auch hier gilt die Regel nur in überschaubaren Räumen.
  • Der Jüngere begrüßt den Älteren.
  • Der Herr begrüßt die Dame.
  • Der Rangniedere begrüßt den Ranghöheren.
  • Der Ältere entscheidet, ob er dem Jüngeren die Hand gibt.
  • Die Dame entscheidet, ob sie dem Herrn die Hand gibt.
  • Der Ranghöhere entscheidet, ob er dem Rangniederen die Hand gibt.
  • Rang sticht Alter und Geschlecht. Deswegen entscheidet der Chef, ob er der älteren Angestellten die Hand reicht oder nicht.
  • Die Hand soll weder zu lasch geschüttelt werden, noch halb zerquetscht werden.
  • Wer sich unwohl dabei fühlt, Fremde zu grüßen, kann auch nur lächeln oder den anderen Personen zunicken. So ist man höflich, ohne falsches Interesse zu signalisieren.
  • Mehr Information gibt es unter www.knigge-fuer-kids.de