Die #gEZnoch-Redakteure Sabrina Erben und Fabian Schmidt im Gespräch mit Leni Breymaier Foto: oh - oh

Stuttgart – Ein Nachmittag im Café Künstlerbund: #gEZnoch trifft Leni Breymaier. Für unser Projekt ist das eine Premiere, ist Breymaier doch die erste prominente Person, die wir zum Thema Lügen, Macht und Versprechungen interviewen. Bewaffnet mit Mindmaps und jeder Menge Fragen wollen wir aus der SPD-Landeschefin auch die unbequemen Dinge herauskitzeln. Breymaier betont nämlich immer, dass sie spricht, wie sie denkt.

Von Sabrina Erben und Fabian Schmidt

Sie haben ihren Namen jüngst in Leni geändert. Davor hießen Sie offiziell Magdalena, sprachen aber jahrelang von sich selbst schon als Leni. Waren Sie also unehrlich?
Breymaier: Das war ich nicht. Man hat mich Magdalena getauft, es hat aber noch nie jemand Magdalena zu mir gesagt. Ich wurde immer Leni genannt. Daher war ich ehrlich, was meinen Namen anbelangt. Ich bin eben die Leni.


Sie sind in einer großen Familie aufgewachsen, waren die jüngste von fünf Geschwistern. Wie oft musste man da lügen, um seinen Willen durchzusetzen?
Breymaier: Das war eher Schwindeln oder aus der Not lügen. Wenn wir kleineren Kinder etwas ausgefressen haben, dann war oft die Frage: Wer beichtet? Derjenige bekam den Ärger, aber als Ausgleich auch etwas von den Geschwistern.


Sind Sie eine gute Schwindlerin?
Breymaier: Ich glaube nicht. Man sagt oft zu mir, dass man mir alles vom Gesicht ablesen kann. Wenn man Mimik und Breymaier googelt, findet man eine Seite von Studenten, die Mimiken analysieren. Man sieht mir alles an.


Und können Sie Lügen gut entlarven?
Breymaier: Ja, ich habe ein gutes Bauchgefühl.


Sie sprechen von Schwindeln und Notlügen. Gibt es für Sie Abstufungen der Lüge?
Breymaier: Wenn ich Leute nicht verletzen will oder die Wahrheit zu hart wäre, sind Notlügen in Ordnung. Und neben großer Lüge und Schwindel gibt es ja noch die Option, nicht die ganze Wahrheit zu sagen. Das ist auch ein Teil der Lüge.


Nun ist das Thema Lüge in diesen Zeiten in aller Munde. Der US-Präsident Donald Trump zelebriert die alternativen Fakten. Man glaubt der Lügenpresse nichts mehr und den Politikern gleich gar nicht. Wie kann man das bekämpfen?
Breymaier: Indem man eine glaubwürdige Politik macht. Das Gros der Politiker hat redliche Ziele, man bekommt nur nicht alles durch, was man möchte. Ich glaube außerdem, dass Trumps Fehlverhalten uns in Deutschland nutzt. Man lernt eine freie Presse zu schätzen.


Wie entlarvt man denn die Fake News als Fake?
Breymaier: Eine Möglichkeit ist es, die Sachen gar nicht weiter zu verbreiten und in den sozialen Medien nicht zu teilen. Lieber kommentieren und Dinge richtig stellen. Das ist eine große Herausforderung. Und von manchen Kommunikationsblasen bekommen wir auch gar nichts mit. Zum Beispiel, als Russia Today über eine angebliche Vergewaltigung eines Mädchens berichtete und ein Aufruf zu Demonstrationen erfolgte, bin ich zum Beispiel nicht aufgerufen worden. Ich kann aber erst etwas richtigstellen, wenn ich die Möglichkeit dazu habe.


Wie kommen Sie in diese Blasen?
Breymaier: Wir müssen auf die Leute zugehen, dort sein, wo die Menschen sind. Das ist meine Idee . . .


. . . und eine weitere ist es, dass Sie die Bäuche der Menschen erreichen wollen, wie sie immer wieder sagen. Mal ehrlich: Können Sie dabei komplett ehrlich sein?
Breymaier: Ich glaube schon. Das tut ja nicht weh.


Aber besteht nicht das Problem, dass Politiker, je höher sie kommen, strategisch gar nicht alles preisgeben, also nicht ganz ehrlich sein können?
Breymaier: Leute halten sich nicht auf Führungspositionen, weil sie so viel brillanter sind als Menschen, die keine Führungsposition innehaben. Sondern sie haben den Vorteil, dass sie mehr Informationen haben als andere. Es ist wie beim Schachspiel: Aufgrund der Informationen, die mir zur Verfügung stehen, kann ich acht Züge vorausdenken, während jemand anderes nur drei Züge vorausdenken kann. Wenn ich die acht Züge im Kopf habe, sind meine Antworten auch dementsprechend.


Das heißt auf Politik übertragen?
Breymaier: Ich setze mich zum Beispiel für die Erwerbstätigenversicherung bei der Rente ein. Ich sage in aller Ehrlichkeit: Ich kämpfe dafür, dass wir das schnellstmöglich umsetzen. Dann sage ich aber nicht die ganze Wahrheit, weil ich weiß, wir werden das nicht in vier Jahren umgesetzt bekommen. Denn die Babyboomer sorgen für eine kurze Spitze, und in dieser Zeit werde ich nicht die Erwerbstätigenversicherung durchsetzen können. Das ist aber mehr Strategie als Lüge.


Dennoch betonen Sie und Ihre Partie eine „Ehrlichkeitsoffensive“, mit der Sie im Wahlkampf punkten wollen. Dann gab es doch aber offenbar Defizite.
Breymaier: Was von den Rechtspopulisten kommt, ist zum Teil gelogen. Sie laden zudem nicht einmal die Presse zu ihren Parteitagen ein. Hallo? Geht’s noch? Aus diesem Grund verpflichten wir uns, dass wir einen Wahlkampf wollen ohne Hass, ohne Beleidigungen und ohne Lügen. Natürlich kann man im Wahlkampf zuspitzen und pointiert sein. Man kann auch hart in der Sache sein und sich streiten. Aber es geht um Glaubwürdigkeit.


Sie kommen authentisch rüber, wirken ehrlich . . .
Breymaier: . . . ich finde es aber unmöglich, wenn Leute sagen, sie sind ehrlich . . .


. . . weil . . .
Breymaier: . . . weil das so ist, wie wenn ich sage: Ich bin schön. Warum muss man das betonen? Wenn das jemand betonen muss, dann ist das komisch, dann hat er es nötig.


Also anders gefragt: Sie wirken authentisch und ehrlich. Sie reden, wie Ihnen die Gosch gewachsen ist, Sie wollen die Leute im Bauch erreichen. Inwiefern bewirkt dieses Empathische, Emotionale einen inneren Kampf, weil Sie ja auch nach Macht- und Strategie-Gesichtspunkten handeln müssen?
Breymaier: Ich glaube, der Kampf ist größer, wenn man nicht ehrlich ist. Die Lügen müsste man sich ja immer merken, das ist viel zu anstrengend. Da habe ich lieber offene Flanken und weiß, wo ich angreifbar bin. Ohnehin geht es gerade 2017 um mehr. Wenn ich mich reden höre, komme ich mir zwar pathetisch vor, aber: Es geht echt darum, die Demokratie zu verteidigen. Ich meine das ganz ernst, das ist bitter notwendig. Und das mache ich im Zweifel auch mit einem FDPler, der sonst gar nichts mit mir zu tun hat.


Es ist schön, dass Sie für die Demokratie kämpfen, trotzdem wollen wir noch einmal nachhaken, was Ihren inneren Kampf angeht. Ein konkretes Beispiel: Sie wissen, dass jemand nicht auf die Landesliste für die Bundestagswahl kommen wird, können es der Person aber noch nicht sagen. Diese innere Zerrissenheit zwischen Empathie und Strategie muss einen ehrlichen Menschen doch sehr schlauchen.
Breymaier: Es mag Genossinnen und Genossen geben, die glauben, sie bekommen einen sehr guten Platz auf der Landesliste, und ich weiß, dass das nicht der Fall sein wird, sage das aber so deutlich nicht. Ich weiß nicht, ob ich dann lüge – ja wahrscheinlich schon, weil ich nicht die ganze Wahrheit sage. Das schlaucht in der Tat. Aber ich finde auch, dass empathischere Menschen mehr Spaß im Leben haben, wenn sie auch für die Umwelt anstrengender sind.


Die Lüge kann man politisch als Waffe einsetzen. In Ihrem Fall könnte man von der Authentizität als Mittel sprechen. Sind Sie schon mal zu ehrlich gewesen?
Breymaier: Daheim musste ich schnell und schlagfertig sein bei meinen vielen Geschwistern. Daher bin ich auch jetzt noch schnell und zackig. Lieber einen Freund verloren, als eine Pointe verpasst, sozusagen. Aber das muss man sich als Führungskraft ein Stück weit abtrainieren. Bei Verdi habe ich mal einen großen Joke auf Kosten eines Kollegen gerissen. Alle haben gebrüllt vor Lachen – außer ihm. Dann realisierst du: Das darfst du nicht machen, weil du nicht auf Augenhöhe bist. Als Chefin geht das gar nicht, und dann trainierst du dir das ab. Insgesamt habe ich sicher oft mit Spontaneität Menschen gekränkt und musste viel zusammenkehren vor lauter Ehrlichkeit, wenn man das so nennen kann. Aber ich kann mich auch zurückhalten: Warum soll ich beispielsweise jemandem sagen, der gerade 600 Euro für eine Brille ausgegeben hat, dass die gruselig aussieht? Das nutzt ja eh nichts mehr. (lacht)


Sagen Sie dann nichts oder dass die Brille gut aussieht?
Breymaier: Ich finde andere Formulierungen. Ich sage zum Beispiel: Das ist ein interessantes Material oder: Oh ist die ganz entspiegelt?


Kommen wir auf den Wahlkampf zurück. Dort wird überspitzt, übertrieben und viel versprochen. Ist ein Versprechen, das hinterher nicht eingehalten wird, schon eine entlarvte Lüge?
Breymaier: Es gibt Sachen, die die Leute der SPD bis heute nachtragen: Dass die Mehrwertsteuererhöhung in der Koalition mit der CDU kam, obwohl wir davor gesagt haben: Mit uns nicht. Das Gleiche war es mit der Rente mit 67. Aber aus diesen beiden Punkten hat die SPD gelernt, das dürfen wir nie wieder machen. Die Überschrift lautet nun: Wir dürfen nur Dinge versprechen, die wir auch halten können. Aber gleichzeitig müssen wir auch Visionen haben. Wir wollten den Mindestlohn ohne Ausnahme, und jetzt sind drei Ausnahmen drin. Aber ist das dann eine Lüge? Wir wollen es ja immer noch, aber wir haben letztes Mal nur 24 Prozent der Wählerstimmen bekommen. Und mit diesen 24 Prozent kannst du nicht 100 Prozent deines Wahlprogramms umsetzen.


Man muss also immer sagen, was man will – auch wenn man weiß, dass man es niemals komplett umsetzen wird?
Breymaier: Ja. Und wenn man dann einen Kompromiss macht, dann darf man diesen auch nicht immer bis aufs Messer verteidigen. Wir müssen den Kompromiss einfach begründen. Die CDU hat dem Mindestlohn nur mit Magenkrämpfen zugestimmt. Die Maut will die CDU, und die SPD will sie nicht. Bei der Abstimmung wird sie aber durchkommen, denn nur so funktionieren Koalitionen. Aber zu versprechen: Das gibt es mit uns nicht, und es dann trotzdem zu machen – das geht nicht. Dennoch kann ich im Wahlprogramm schreiben: Ich will längeren Arbeitslosengeldbezug haben, ich will die Sanktionen für Hartz IV-Empfänger überprüfen und reduzieren. Man kann das wollen. Wenn man dann nicht alles erreicht, weil man nicht alleine regiert, dann ist das Politik. Und man muss es den Leuten erklären. Das hat aber nichts mit Lügen zu tun.


Und wie begegnet man Populisten, die noch mehr zuspitzen, die noch mehr versprechen?
Breymaier: Das Problem mit den Populisten ist, dass sie meist nie in die Verlegenheit kommen, regieren zu müssen. Sie können also alles versprechen und sie können alle angreifen. Mit ihnen muss man sich inhaltlich auseinandersetzen, weil deren vermeintliche Lösungen gehen immer auch gegen Schwächere. Das sind nie solidarische Lösungen. Da wird zum Beispiel der Niedriglöhner gegen den Flüchtling ausgespielt, das ist deren Masche – und darüber muss man reden. Aber wenn man sich in die Spirale begibt, noch mehr Versprechungen, noch dollere Formulierungen und noch größere Lügen zu machen, wo hört das denn dann auf? Man darf da erst gar nicht einsteigen. Und bei Lügen gilt ohnehin: Das ist viel zu anstrengend.

Fabian Schmidt und Sabrina Erben . . . belügen ihre Gesprächspartner natürlich nie und sind vor allem daran interessiert, die Wahrheit aus ihnen herauszubekommen.