Quelle: Unbekannt

Von Dagmar Weinberg

Sie wollen wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Doch für die zwölf Frauen und Männer, die in die neue stationäre Einrichtung des Vereins für Sozialpsychiatrie (VSP) in der Schelztorstraße 38 einziehen, kann schon ein Kinobesuch oder der Gang zum Supermarkt zur Herausforderung werden. Sie leiden unter Psychosen, Angststörungen, Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen. „Die meisten haben eine lange, traumatische Lebensgeschichte und viele Klinikaufenthalte hinter sich. Sie sind chronisch krank und müssen lernen, mit den Symptomen zu leben“, erklärt Verena Baur.

Sie wird die neue stationäre Einrichtung leiten und die Bewohner gemeinsam mit der Kunsttherapeutin Andrea Streich, der Sozialpädagogin Anja Strobel sowie weiteren Fachkräften auf ihrem Weg zurück in den Alltag begleiten. Das Domizil in der Schelztorstraße, in dem eine Wohngemeinschaft aus vier Leuten und eine Achter-WG ein neues Zuhause finden werden, ist fast fertig. Da es aber sowohl in den Aufenthaltsräumen als auch bei der technischen Ausstattung noch an der einen oder anderen Stelle fehlt, wird das Projekt durch die Weihnachts-spendenaktion der Eßlinger Zeitung unterstützt.

Barrieren abbauen

Viele Frauen und Männer, die ab Mitte des Monats ihr neues Domizil beziehen, kehren in ihre alte Heimat zurück. Da es bisher in Esslingen keine stationäre Einrichtung für psychisch Kranke gab, haben sie in stationären Einrichtungen außerhalb des Landkreises gelebt. „Sie stammen aus Esslingen und freuen sich riesig, dass sie endlich zurück können“, erzählt Verena Baur. Denn der VSP, der 1972 von Betroffenen, Angehörigen, engagierten Bürgern und Professionellen gegründet wurde, hat viele Jahre nach einem Haus in Esslingen gesucht. An den Rand der Stadt zu ziehen, kam nie infrage. „Denn wir wollen für unsere Klienten ja Normalität und Teilhabe“, erklärt die Heimleiterin. Umso glücklicher waren die Verantwortlichen des Vereins über die frühere Büroetage der Baugenossenschaft Esslingen in der Schelztorstraße. „Die Lage ist absolut genial. Dort sind wir mitten in der Weststadt und können uns gemeinsam die Umgebung erschließen“ - sei es bei Spaziergängen in den Weinbergen, dem Einkauf auf dem Markt oder einem Abend im Kino oder in der Disco.

„Kontakt ist das Allerwichtigste“

„Kontakt zu anderen zu bekommen und dadurch wieder ins Leben zurückzufinden, das ist das Allerwichtigste für unsere Bewohner“, sagt Verena Baur. „So ist es unser Ziel, auch die gesellschaftlichen Barrieren und die Berührungsängste abzubauen.“ Mit den künftigen Nachbarn sind bereits die ersten Kontakte geknüpft worden. Froh sind Verena Baur und ihre Kolleginnen auch über das neue Zentrum für Bürgerengagement, das die Esslinger Stadtverwaltung zurzeit im Erdgeschoss des Hochhauses in der Schelztorstraße einrichtet. „Wir hoffen, dass sich auch dorthin immer wieder Kontakte entwickeln.“

Ein normales Leben sollen die Mitglieder der Wohngemeinschaften auch in ihrem neuen Zuhause führen. Und dazu gehört es, gemeinsam zu kochen, den Haushalt und den Alltag zu organisieren. „Dabei unterhält man sich, es entsteht Vertrauen und Zusammenhalt“, erklärt Verena Baur vom Verein für Sozialpsychiatrie. Sich in einer Gemeinschaft angenommen und aufgehoben zu fühlen sei für Menschen, die bisher oft isoliert gelebt haben und einsam waren oder die viel Zeit in Kliniken verbracht haben, essenziell. „Deshalb ist es uns auch ganz wichtig, dass die Gemeinschaftsräume schön gestaltet sind“, sagt die Expertin. Damit die gemeinsam genutzten Räume Behaglichkeit ausstrahlen, „setzen wir vor allem Farben ein“, erklärt Kunsttherapeutin Andrea Streich. „Denn es soll ja bei uns nicht wie in einer Klinik aussehen.“

Einrichtung selbst mitbringen

Einige der künftigen Bewohnerinnen und Bewohner haben bislang noch selbstständig gelebt. „Da der ambulante Betreuungsbedarf inzwischen aber zu groß geworden ist, wollen sie unbedingt umziehen“, berichtet Verena Baur. Wer will, kann die Einrichtung für sein neues Zimmer teilweise oder auch komplett mitbringen. Für die anderen stellt der Verein für Sozialpsychiatrie ein Bett und einen Schrank zur Verfügung. „Die restlichen Einrichtungsgegenstände dürfen sich unsere Bewohner dann selbst aussuchen.“ Schließlich sollen auch die privaten Zimmer behaglich sein.

Am Freitag, 9. Dezember, öffnet das Team des Vereins für Sozialpsychiatrie die Türen der neuen Einrichtung im ersten Obergeschoss der Schelztorstraße 38. Von 12 bis 16 Uhr sind Interessierte eingeladen, sich umzuschauen und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen. Zum ersten Stock gelangt man direkt vom Eingang an der Schelztorstraße aus. „Man muss nur den Luftballons folgen“, sagt Verena Baur.