Das ist hohe Kampfkunst im Gymnasium: Sportlehrerin Iris Eberhardt, Trägerin des orangefarbenen Gürtels, und Schulsozialarbeiterin Franca Gröner mit grünem Gürtel geben die Richtung für die 8c vor. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Claudia Bitzer

Die Schülerinnen und Schüler, die an jenem Nachmittag in ihren weißen Judoanzügen in der Turnhalle des Schelztor-Gymnasiums stehen, sind hoch konzentriert. Schulsozialarbeiterin Franca Gröner gibt das Kommando - und die 8c weiß, was Sache ist. Die genau getakteten Positionswechsel und Schlagabfolgen auf den Matten kulminieren im gemeinsamen, selbst erkorenen Kampfschrei „KIA!“, sprich ganz kurz: „kja!“. Diese Konzentration, die sich punktgenau akustisch entlädt, fasziniert Schulleiter Jörg Leihenseder jedes Mal aufs Neue. „Das ist ja heutzutage nicht mehr normal, dass Kinder das können.“

Seit mehr als einem Jahr ist das Schelztor-Gymnasium im „Respekt“-Fieber. Das gleichnamige Präventionsprogramm mit dem Untertitel „Wertevermittlung und Orientierung durch Kampfkunst“ bieten Schulsozialarbeiter und Lehrer zwar bereits seit etlichen Jahren an verschiedenen Esslinger Schulen an. „Aber wir sind das einzige Gymnasium, das das Projekt fest in den Lehrplan der achten Klassen integriert hat“, erzählt Sportlehrerin Iris Eberhardt stolz, die es am Schelztor-Gymnasium ins Leben gerufen hat und gemeinsam mit Schulsozialarbeiterin Franca Gröner und Sportlehrer Holger Schaber stemmt. Eine von wöchentlich drei Sportstunden in den achten Klassen ist ein ganzes Schuljahr lang fest für das Projekt reserviert, das der Polizist und Kampfkunstschulleiter Eugen Keim vor rund 20 Jahren entwickelt hat. Es nimmt stressmindernde Elemente aus der chinesischen Kampfkunst Tai-Chi-Chuan ebenso auf wie die japanischen Kampfkünste Ju-Jitsu und Judo mit ihren konzentrations- und wahrnehmungsstärkenden Übungen und dynamischen Selbstverteidigungselementen. Das Programm setzt auf einen Wechsel zwischen Kraft und Entspannung und steht unter dem Hauptmotto „Siegen durch Nachgeben“. Und weil es praktikabler ist, haben die Lehrer die „Respekt“-Einheiten in zweiwöchige Doppelstunden gepackt.

„Nein, mir war das nie peinlich“

2013 hat das Schelztor-Gymnasium das Projekt in einzelnen Klassen eingeführt. Die Stadt hatte in mehreren Staffeln Schulsozialarbeter und Lehrer aus den Esslinger Schulen ausbilden lassen - auch das Schelztor-Team gehörte dazu. Seit dem Schuljahr 2015/16 ist das Projekt fest im Lehrplan des Gymnasiums im Esslinger Norden verankert. „Normalerweise bieten es die Schulen in der fünften, meist sechsten Klasse an“, weiß Franca Gröner noch aus ihrer Zeit an der Seewiesenschule. Am Schelztor-Gymnasium hat man sich jedoch für die achten Klassen entschieden - obwohl man im Alter von 13 oder 14 nicht unbedingt einen unbeschwerten Umgang mit dem eigenen Körper hat. „Nein, mir war das nie peinlich“, sagt die 13-jährige Gresa Orllati. Sie fühle sich jetzt auch sicherer, gehe mit einer entschiedeneren Haltung ihren Weg. „Wir haben in diesen Doppelstunden auch ganz gezielt Jungen und Mädchen zusammengenommen. Denn beide Seiten lernen voneinander“, so Eberhardt. Die Mädels zum Beispiel das Lautsein, die Jungs die Rücksichtnahme. Antonio Ring (13) faszinieren nicht nur die Verteidigungstechniken, sondern auch die Konzentrationsübungen: „Heute hatten wir zum Beispiel einen langen Tag. Da tut es gut, runterzukommen.“ Schon Achtklässler im Stress? „Ja, auf die Schülerinnen und Schüler kommt in diesem Alter eine Menge zu“, weiß Schulsozialarbeiterin Gröner. „Es ist wichtig, in dieser Altersstufe Entlastung in den Schulalltag zu bringen.“

Das Projekt kommt aber nicht nur bei den direkt Beteiligten gut an. Ehemalige Achter führen es in Klasse neun als AG weiter. Und aus der Ober- und Kursstufe gibt es bereits Anfragen an die „Respekt“-Lehrer, vor wichtigen Klausuren eine kurze Entspannungseinheit durchzuführen. Ob Elternabend, pädagogischer Tag oder Gesamtlehrerkonferenz: Das „Respekt“-Team darf immer mit reger Teilnahme rechnen, wenn es einen Einblick in die asiatischen Kampfkünste und Entspannungstechniken bietet. Und das dreitägige erlebnispädagogische Schullandheim bei Projekt-Erfinder Keim in Wiesensteig festige noch einmal den Zusammenhalt der Schüler untereinander und bekräftige die Einzelnen in ihren persönlichen Stärken, berichten Gröner und Eberhardt. Und es geht ein dickes Dankeschön an den Förderverein, der zum größten Teil die Kosten für die Matten und Anzüge übernommen hat.

Zur Entspannung keine Noten

Nur ein einziges Turngerät, das für Klasse acht eigentlich noch eingeplant wäre, hat das Lehrer-Duo Eberhardt/Schaber für „Respekt“ geopfert. „Fitness, Ausdauer und Koordination werden aber bei unserem Projekt viel besser gestärkt“, ist Iris Eberhardt überzeugt. „Wir sollen ja projektorientiert, ganzheitlich und gesundheitsfördernd arbeiten.“ Und weil es ja schließlich um Gelassenheit und nicht um Verbissenheit geht, gibt es in diesen 14-tägigen Doppelstunden auch keine Noten.