Wenn Mozart heiratet, darf’s gerne noch etwas prunkvoller sein: Dank Renate Königs Schneiderkunst zeigte sich Tom Hulce (links) im Kino-Welterfolg „Amadeus“ von seiner allerbesten Seite. Quelle: Unbekannt

Ob ein blauer Nadelstreifenanzug für Mario Adorf als Ganove in der „Dreigroschenoper“, ein schlichter Übergangsmantel für Gert Fröbe, eine Uniformjacke für „Münchhausen“ Hans-Joachim Kulenkampff oder Fransen-Lederhosen für „Old Shatterhand“ Lex Barker - all das hat Renate König genäht. Über 30 Jahre lang war die gelernte Herrenschneiderin bei der auf die Ausstattung von Filmen und Theaterstücken spezialisierten Berliner Firma „Theaterkunst“ tätig. Die heute 81-Jährige, die seit fünf Jahren in Esslingen lebt, erinnert sich an Kostümproben mit den Großen der Film- und Fernsehbranche, von denen sie mit blitzenden Augen köstliche Anekdoten erzählen kann.

„Ich brauch’ das Fernsehen bloß anzumachen, dann treffe ich immer wieder auf meine Arbeit“, erzählt Renate König lachend. Ob die zweckmäßige Bekleidung der Besatzung von „Das Boot“, die fantasievollen Gewänder im Mozart-Filmdrama „Amadeus“ oder die Klamotten in den alten Karl-May-Verfilmungen mit Pierre Brice als Winnetou - an all diesen Kostümen hat sie während ihrer Zeit bei der „Theaterkunst“ mitgearbeitet. Die 1907 gegründete Berliner Firma ist das größte Kostümhaus Deutschlands. Bei diesem Dienstleister für die Film- und Theaterbranche finden sich im Fundus mehr als zehn Millionen Kostümteile, Kleider und Accessoires vom Hut über den Hosenknopf bis zum Schuh - alle Epochen, Stile und Trends umfassend. Legendäre Filme wie „Ben Hur“, „Metropolis“ und Billy Wilders „Eins, zwei, drei“ wurden ebenso ausgestattet wie aktuelle internationale Produktionen wie etwa „Inglorious Basterds“, „Die Tribute von Panem“ oder der diesjährige deutsche Oscar-Beitrag „Toni Erdmann“.

Als gelernte Herrenschneiderin beherrscht Renate König die Fertigung von Hosen und Jacken aus dem Effeff. Die Arbeit bei der „Theaterkunst“ freilich brachte täglich Neues: Wer weiß schon, wie eine englische Gardeuniform zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgesehen hat, wie sich ein Landjunker zu Effi Briests Zeiten kleidete oder wie die korrekte Adjustierung eines russischen Uniformkragens gestaltet ist? Bei Fach-Vorträgen, Museumsbesuchen und durch das Studium von Kostümkunde-Büchern in der firmeneigenen Bibliothek erweiterte sie ihr Knowhow über Machart, Stoffe, Verzierungen und Applikationen. So war es für Renate König kein Problem, für Klaus Maria Brandauer in „Oberst Redl“ aus Goldfäden gewebtes Band zu historisch authentischen Tressen zu legen und Stich für Stich zu befestigen oder für Opernsänger Rudolf Schock für eine Rolle einen „Schaube“ genannten mittelalterlichen Überrock zu nähen.

Immer wieder war dabei auch Renate Königs Improvisationstalent gefragt: Als bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen der Regisseur einen Pannesamt-Umhang als allzu elegant und edel ablehnte, zog Renate König das schöne Stück kurzerhand einen schlammigen Weg entlang: „Als das angetrocknet war, war’s perfekt für die Beerdigungsszene.“ Von der Zusammenarbeit mit Barbara Baum, der renommierten Kostümbildnerin, die viele Filme von Rainer Werner Fassbinder ausgestattet hat, schwärmt Renate König bis heute: „Sie hat so unglaublich exakt auf jedes Detail geschaut. Einmal hat sie sogar darauf bestanden, dass ich Gürtellöcher nicht maschinell, sondern von Hand durchsteche. Und tatsächlich sieht man diese Löcher hinterher im Film in einer Großaufnahme.“

Gangster tragen Nadelstreifen

Aber nicht nur Anzüge, Uniformen und Fräcke waren Renate Königs Metier - auch aufwendige und fantasievolle Kostüme wurden in der Schneiderwerkstatt hergestellt: Eine zwei Meter große Donald-Duck-Figur, farbenprächtige Showkleider für die Entertainerin Ute Lemper, eine Astronauten-Uniform mit einem Panzer aus einzelnen Metallplättchen für den Sänger Frank Zander. Eines Tages musste Renate König ein Manegen-Outfit für Tiger-Dompteur Siegfried Fischbacher, der später als Teil des Duos „Siegfried und Roy“ weltberühmt wurde, von Hand einzeln mit glitzernden Pailletten benähen: „Wir durften keinerlei Parfum verwenden und während der Arbeit nichts essen, damit die Tiere nicht durch fremde Gerüche irritiert würden. Und bei der ersten Probe im Kostüm hob der Tiger die Pranke und ratschte die kompletten Pailletten vom Oberteil. Da musste ich von vorne anfangen.“

Gut erinnert sich Renate König noch daran, wie unglücklich sie war, als sie Anfang der 60er-Jahre für Mario Adorf in der „Dreigroschenoper“ einen blauen Nadelstreifenanzug nähen musste: „Ich hasse Nadelstreifen, sie sind ein Graus für jeden Schneider, denn alles muss aufs Exakteste stimmen. Und da habe ich gemotzt: Welcher Gangster zieht denn so etwas an?“ Prompt sei sie jedoch bei der Anprobe eines Besseren belehrt worden: „Und dann kommt Mario Adorf in diesem Anzug aus der Umkleidekabine: Dunkle Augen, schwarze Haare, und er wirkt zu 100 Prozent wie ein perfekter Ganove.“

Lackaffen und feine Menschen

Renate König, die erst im West-Berliner Stammhaus, später dann in der Münchner Filiale der „Theaterkunst“ arbeitete, hat bei den Anproben viele Schauspieler kennengelernt: „Da gibt es den einen oder anderen Lackaffen und Kotzbrocken darunter“, erzählt sie verschmitzt, „aber es gibt auch sehr viele freundliche, feine und liebenswerte Menschen.“ Besonders beeindruckt war sie von Klaus Maria Brandauer, Bruno Ganz, Lex Barker und Günter Lamprecht, für dessen Hauptrolle Franz Biberkopf in „Berlin Alexanderplatz“ sie die Anzüge schneiderte. Und wenn die geborene Leipzigerin von einer Begegnung mit dem großen Mimen Gert Fröbe erzählt, muss sie bis heute lachen. Fröbe - ebenfalls aus Sachsen stammend - habe sie damals ermuntert, zu ihrer Muttersprache zu stehen: „Meine Kleene, ich hab’s mit dem sächsischen Dialekt bis nach Hollywood geschafft.“

Zwei LEIDENSCHAFTEn Glücklich vereint

Sport und Schauspiel: Ein Operetten-Sänger und ein Onkel haben bei dem 1935 in Leipzig geborenen „Kriegskind“ Renate König schon früh die Leidenschaft fürs Theater geweckt: „Ich hab’ mit zwölf Jahren ‚Tosca’ und ‚Urfaust’ gesehen.“ Eigentlich wollte die begnadete Leichtathletin, die es bis zum Mannschaftsmeister der DDR gebracht hatte, Sportlehrerin werden. Weil sie aber nicht aus einer Arbeiter- oder Kommunistenfamilie stammte, durfte sie den DDR-Sport nicht vertreten und auch nicht studieren.

Bloß nichts ins Büro: Weil sie partout keinen Büroberuf wollte, entschied sich Renate König für eine Ausbildung zur Herrenschneiderin. Nach der Heirat flüchtete sie mit ihrem Mann 1958 nach West-Berlin und arbeitete dort in der Konfektionsschneiderei: „Aber das war nichts für mich. Im Winter hast du die Sommersachen auf dem Schoß und im Sommer die Wollmäntel.“

Schneidern nach Maß: Also bewarb sie sich in einer französischen Maßschneiderei, wo sie ein erfahrener Kollege unter seine Fittiche nahm und ihr vieles beibrachte: Uniformhosen mit Biesen, Gallonstreifen und Paspeln, Reithosen mit Lederaufsätzen und Frackhosen, in denen Generäle auf Empfängen eine gute Figur machten.

Traumjob bei „Theaterkunst“: „Ich hatte immer wieder unglaubliches Glück“, ist Renate König heute dankbar für so manche Fügung in ihrem Leben. Als sie 1962 nach zweiwöchiger Probezeit sofort fest angestellt wurde, hatte sie in der Firma „Theaterkunst“ ihren Traumjob gefunden: „Da konnte ich meine beiden Leidenschaften - das Schneidern und das Theater - zusammenbringen“, erzählt Renate König, die als Mitglied im Verein der Freunde der WLB bis heute eine eifrige und interessierte Theaterbesucherin ist.