Der Kirchenmusiker Walter Schimpf bei der Matinee zu Ehren des ehemaligen Organisten Hans-Georg Bertram in der Stadtkirche. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Petra Weber-Obrock

30 Jahre lang, von 1978 bis 2008, hatte Hans Georg Bertram das Amt des Organisten an der Esslinger Stadtkirche St. Dionys inne. Am Samstag wäre er 80 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass fand gestern zu Ehren des profilierten Kirchenmusikers, Komponisten und Dozenten an der Esslinger Hochschule für Kirchenmusik nach dem Gottesdienst eine Matinee statt, in der zwei seiner Werke aufgeführt wurden. Es handelte sich um die Orgelsinfonie Nr. 2 „Über die Zeit“ aus dem Jahr 2002 und die Sonate für Querflöte und Orgel mit den Sätzen „Ruf“, „Stille“ und „Antwort“ von 1987.

An der Orgel war Walter Schimpf zu hören. Dorothee Wertz spielte die Querflöte. Christa Schimpf, die seine Aufführungen oft als Rezitatorin begleitet hatte, las zwischen den beiden Darbietungen Texte, die Hans Georg Bertram wichtig waren. Viele Mitglieder der Familie Bertram waren an diesem Morgen anwesend. Schon im Abendmahlsgottesdienst erinnerte Pfarrer Christoph Bäuerle an den verdienstvollen Kirchenmusiker, mit dem die Gemeinde unvergessliche Stunden verbracht hat. „Wir sind einem Menschen zu Dank verpflichtet, der sich mit seinen Gaben für uns eingesetzt hat.“ Siegfried Bessey, der Vorsitzende des Kirchengemeinderats der evangelischen Gesamtkirchengemeinde, wiederholte diesen Dank zu Beginn der Matinee noch einmal.

Unvergessliche Akzente

Formate wie die „Stunde der Kirchenmusik“, die „Nacht der Engel und Apostel“ oder die „Orgelnacht von acht bis acht“ haben nicht nur das Leben der Stadtkirchengemeinde bereichert, sondern in ganz Esslingen unvergessliche Akzente gesetzt. Bertrams musikalische Quellen werden dabei ebenso aus der Klassik wie aus der Moderne gespeist. Seine Musik will die Herzen weiten und dem Unsagbaren eine Stimme verleihen.

Die Orgelsinfonie Nr. 2 „Über die Zeit“ umfasst sechs Sätze, deren poetische Titel ihren Inhalt nahezu deckungsgleich widerspiegeln. Würdevoll kommt die Einstimmung mit dem „Gebet ohne Worte“ daher. „Silberperlen“ erklingt in perlenden Läufen als „Allegretto giocoso“ wie ein heiterer Wasserfall mit dunklen Untertönen und bedient sich dabei der glockenartigen Klangmöglichkeiten der Orgel. Die „Dunkelfarben“ erscheinen mächtig dräuend wie ein schwer strömender Fluss. Der „nächtliche Reigen“ lebt von seinen springenden Rhythmen. „Die Zeit steht still“ bezeichnet dunkle Stunden der Stille. Im Finale „Stürmische Zeit“ schwingt sich die Orgel im mächtigen Klangraum der Kirche zu ihrer ganzen Fülle auf.

Zwischen den Musikstücken spannte Christa Schimpf mit ihrem Textintermezzo einen Bogen vom Beginn des Johannesevangeliums bis zu Hermann Hesses Gedicht „Stufen“, das philosophisch unseren Lebenskreis betrachtet. In der Sonate für Flöte und Orgel von 1987 setzte Dorothee Wertz mit ihrer Querflöte hohe, scharfe, schwebende Kontrapunkte gegen die mächtigen Möglichkeiten der Orgel.

Annäherung an das Unbegreifliche

Das Stück hatte Bertram 1987 komponiert und seinem auf tragische Weise verunglückten Sohn Martin gewidmet. Er schuf mit den drei Sätzen „Ruf“, „Stille“ und „Antwort“ Annäherungen an das Unbegreifliche. Zu Beginn setzt die Flöte wie ein Vogelruf ein und findet zum Ende hin im Wechselspiel und Austausch mit der Orgel zu einer melancholischen Klangfülle. Nach der Klage scheint alles in einer weichen Melodie der Versöhnung zu münden, der allerdings hohe, fast dissonante Klänge folgen, fast, als ob das Stück mit einer Frage endete. So wusste das Publikum zunächst nicht, ob es noch weiterging und applaudierte, dem ernsten Anlass entsprechend, verhalten. Nachdenklich verließ man an diesem heißen Tag die Kirche. Die Botschaft der Matinee könnte gelautet haben: Auch im Tod können Spuren des Lebens bleiben.