Protest gegen das Finanzpaket: Mitarbeiter der Hotelbranche wehren sich vor der Abstimmung gegen die Pläne für eine Bettensteuer. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Hermann Dorn

Mit breiter Mehrheit hat der Gemeinderat gestern ein Finanzpaket beschlossen, das verhindern soll, dass die Stadt bis 2020 auf ein jährliches Defizit von 9,1 Millionen Euro zusteuert. Höhere Steuern und Gebühren spielen in dem Konzept eine zentrale Rolle. Die Verwaltung senkt ihre Kosten um 3,6 Millionen Euro. Begleitet wurde die Entscheidung von Protesten der Hotelbranche. Sie wehrt sich gegen eine Bettensteuer für Touristen.

Vor zwei Monaten hat die Verwaltung exakt 101 Vorschläge präsentiert, wie eine Schieflage im Haushalt vermieden werden kann. Gestern hat der Gemeinderat sämtliche Punkte verabschiedet. SPD, CDU, Freie Wähler und Grüne verständigten sich allerdings auf drei Korrekturen. Sie wollen die Grundsteuererhöhung nicht in einem, sondern in zwei Schritten vollziehen. Hinter die zweite Stufe, die frühestens für 2019 vorgesehen ist, setzen sie noch ein Fragezeichen. Vom Oberbürgermeister fordern sie, dass er die Vorgaben für seinen Teilhaushalt spätestens 2020 erfüllt. Bisher verfehlt er dieses Ziel um 50 000 Euro - ein Versäumnis, für das er sich deutliche Kritik gefallen lassen musste. Auch der Kulturetat kommt auf den Prüfstand. Die Fraktionen erwarten Vorschläge, wie der Beitrag dieses Bereichs deutlich erhöht werden kann. Bisher wird die Messlatte um 400 000 Euro verfehlt. An der Bettensteuer für Touristen halten die Fraktionen fest. Bevor sie eingeführt wird, muss allerdings abgewartet werden, wie der Rechtsstreit auf Bundesebene ausgeht.

SPD, CDU, Freie Wähler und Grüne stimmten geschlossen für das Paket, das nach den Ferien schrittweise umgesetzt werden soll. Alle Redner unterstrichen aber, dass ihnen die Zustimmung erhebliche Probleme bereitet. Bei CDU und Freien Wählern war die Rede davon, manche Stadträte würden das Vorgehen nur mit geballter Faust in der Tasche mittragen. Sie empfänden vor allem die Steuer- und Gebührenpläne als Zumutung. SPD und Grüne sprechen ebenfalls von einer schweren Bewährungsprobe für ihre Kompromissbereitschaft.

Beweis für Handlungsfähigkeit

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Koch gewinnt der Einigung aber auch positive Seiten ab. „Der Gemeinderat hat seine Handlungsfähigkeit bewiesen“, erklärte er. Wichtig sei für ihn zunächst, dass sich das Finanzpaket innerhalb „der beiden Leitplanken bewegt, die wir markiert haben“. Das drohende Defizit werde ebenso verhindert wie die Gefahr, dass in diesem Zusammenhang die sozialen, kulturellen und sportlichen Netzwerke beschädigt werden.

Kritische Töne schlug Jörn Lingnau, der Fraktionssprecher der CDU, an: „Nach wie vor lebt die Stadt über ihre Verhältnisse.“ Er vermisst bei der Verwaltung den Mut, Grundstrukturen zu ändern. Wenn die CDU trotzdem zustimme, dann nur, weil sie ihre Verantwortung für die gesamte Stadt wahrnehme. Für die Zukunft kündigte er an: „Weitere Steuererhöhungen wird es mit uns nicht geben.“ Von Erleichterung war auch bei den Freien Wählern nichts zu spüren. „Ein Befreiungsschlag sieht anders aus“, meinte Fraktionsvorsitzende Annette Silberhorn-Hemminger. Sie stößt sich daran, dass das Paket einseitig auf höhere Einnahmen setzt. Diese Karte sei jetzt ausgereizt, betonte sie. In Zukunft müsse sich der Blick verstärkt auf die Ausgabenseite richten.

Unzufrieden zeigte sich auch Carmen Tittel, die Fraktionsvorsitzende der Grünen. Ihre Fraktion billige den Kompromiss nur, weil sie die Chance auf ein umfassendes Paket nicht verspielen wolle, sagte sie. Als Beispiele für Beschlüsse, die für die Grünen kaum akzeptabel sind, nannte sie Abstriche beim öffentlichen Grün, höhere Gebühren für die Musikschule und den Sparkurs beim Stadtmuseum.

Während die Fraktionen ungeachtet aller Bedenken geschlossen für das Paket stimmten, verweigerten Linke, FDP und FÜR die Unterstützung. Rena Farquhar (FDP) nannte das Paket „einfallslos, wirtschaftsfeindlich und unausgewogen“. Höhere Steuern und eine neue Bettensteuer lehnte sie ab. Linke und FÜR hätten dagegen die Gewerbesteuer gerne noch stärker angehoben, als es jetzt beschlossen wurde. Außerdem will Tobias Hardt (Linke) Eltern bei den Beiträgen für Betreuung entlasten.

Prüfauftrag für Kultur

9.6 Rotation

Unklar bleibt zunächst, welche Folgen der Prüfauftrag für die Kultur hat. Tatsache ist: CDU und Freie Wähler erwarten zeitnah einen konkreten Beitrag. Auch die SPD bekennt sich zu diesem Beschluss, verbindet diese Position aber mit der Forderung, dass die Kulturschaffenden in den Prozess eingebunden werden. Einer Rasenmähermethode erteilt Koch eine Absage. Um das Paket nicht zu gefährden, trägt auch Carmen Tittel den Prüfauftrag mit. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen sieht allerdings keine nennenswerten Einsparmöglichkeiten in diesem Bereich. Falls die Zukunft einzelner Einrichtungen gefährdet werden sollte, kündigt sie bereits den Widerstand ihrer Fraktion an.

Die Akteure wissen: Nach der Konsolidierung ist vor der Konsolidierung. Für die Finanzpolitik - so die Erkenntnis - kann es auch in Zukunft keine Entwarnung geben. Vielmehr sehen die Fraktionen in dem Paket nur einen ersten Schritt, um weitere Herausforderungen zu bestehen. Die Suche nach Antworten geht bereits nach den Ferien weiter. Bäder, Brücken und Schulen - überall warten Herausforderungen mit offener Finanzierung.

Bausteine des Konzepts

Gewerbesteuer: Die Gewerbesteuer wird ab 2017 um 10 auf 400 Punkte erhöht. Damit sind Mehreinnahmen von 1,5 Millionen Euro pro Jahr verbunden. Der Hebesatz ist zuletzt 1993 verändert worden.

Grundsteuer: Die Grundsteuer wird 2017 um 25 Punkte erhöht. Verbunden damit sind Mehreinnahmen von einer Million Euro. Ob die zweite Stufe mit einem Anstieg um weitere 25 Punkte realisiert wird, wird frühestens 2019 geprüft.

Bettensteuer: Ab 2019 sind Einnahmen durch den Tourismus von 220 000 Euro vorgesehen. Vorher muss aber die juristische Auseinandersetzung abgewartet werden.

Hundesteuer: Sie soll 2017 von 120 auf 130 Euro erhöht werden. Die Mehreinnahmen betragen 20 000 Euro.

Sportstätten: Eine effizientere Nutzung soll den Haushalt ab 2020 um 160 000 Euro entlasten.

Öffentliches Grün: Geringere Standards entlasten den Haushalt ab 2002 um 71 000 Euro.

Parkgebühren: Die Erhöhung der Gebühren und die Erweiterung der Zone von der Schlachthaus- bis zur Blumenstraße sollen die Einnahmen um 296 000 Euro erhöhen.

Verwaltung: Organisatorische und personelle Änderungen sollen die Kosten um mehr als drei Millionen Euro senken.

WC-Anlagen: Die Stadt gibt die WC-Automaten am Charlottenplatz und in Mettingen auf. Auf eine neue Toilette in der östlichen Altstadt wird verzichtet. Im Gegenzug setzt die Stadt verstärkt auf die Aktion „Nette Toilette“. Spareffekt: 105 000 Euro.

Klinikum: Der Jahresverlust muss um 200 000 Euro verringert werden.

Jugendhäuser: Die Reinigungskosten müssen gesenkt werden. Spareffekt: 31 000 Euro.