Mit dem Verein Villa hat Anne Hofmann - hier mit Betreuerin Jennifer Scherr - schon schöne Ferientage verbracht. Er gehört zu den wenigen Anbietern, die auch Jugendliche mit schweren Handicaps aufnehmen. Foto: oh Quelle: Unbekannt

Von Claudia Bitzer

Der Brief, den Ursula Hofmann Anfang Dezember vom Stadtjugendring bekommen hat, war sehr freundlich gehalten. Und zweifellos gut gemeint. Es ging um ihre Tochter Anne. „Wir haben festgestellt, dass Anne inzwischen 15 geworden ist und damit im nächsten Jahr endgültig zu alt für das Esslinger Kinderferienprogramm ist. Da wir wissen, dass Sie die Ferienzeiten rechtzeitig planen müssen, wollten wir Sie frühzeitig darauf hinweisen“, schrieb Programmkoordinatorin Marion Kalmbach. Anne Hofmann sitzt im Rollstuhl, ist schwer mehrfachbehindert „und wie ein Schulkind - sie würde in eine Jugendfreizeit gar nicht reinpassen“, so ihre Mutter. Oft und gerne habe ihre Tochter am Esslinger Ferienprogramm teilgenommen, war im Jugendhaus Nexus oder am Stadtstrand, auf der Jugendfarm oder beim Verein Villa. Auch fürs Jahr 2017 hatte Ursula Hofmann mit vier Wochen Ferienbetreuung über den Stadtjugendring gerechnet. Daraus wird nun nichts.

Angebot und Nachfrage

„Wir können nur Angebote machen, für die es auch einen Bedarf gibt“, wirbt Markus Benz, Geschäftsführer des Stadtjugendrings, um Verständnis. Schon Zwölfjährige würden nur noch selten am Esslinger Ferienprogramm teilnehmen. Das habe dazu geführt, dass es auch für Jugendliche ohne Handicaps „fast keine Angebote mehr gibt.“ Kommerzielle Reiseanbieter laufen den Jugendfreizeiten schon lange den Rang ab. „Unsere letzte Freizeit nach Korsika haben wir vor zehn Jahren aus dem Programm genommen“, sagt Benz. Auch CVJM-Geschäftsführer Kai Grünhaupt bestätigt das alljährliche gemeinsame Ringen darum, den Betreuungsbedarf der Eltern und die Interessen des Nachwuchses in Deckung zu bekommen.

Der Stadtjugendring, der sich sehr um inklusive Angebote bemüht, muss deshalb ab einem bestimmten Alter einfach passen. Benz: „Ein, zwei Jahre kann man bei einem behinderten Kind die Altersgrenze noch überschreiten. Aber dann kommt die Pubertät. Dann merken die anderen Kinder einfach, dass dieses eine Kind anders ist und sie erleben das Anders-Sein als negativ. Und das wollen wir so ja gerade nicht haben.“

„Das kann ich auch nachvollziehen“, sagt Ursula Hofmann. „Aber wer hat schon ein Ferienangebot für eine 15-Jährige im Rollstuhl, die viel Pflegebedarf und eine persönliche Assistenz benötigt?“ Eine Freizeit mit Übernachtung sei schwer denk- und finanzierbar, auch Angebote an einzelnen Ferientage helfen nicht weiter. Hofmann, die sich als Vorsitzende des regional agierenden Vereins Rückenwind für die Belange pflegender Eltern von behinderten Kindern jeglichen Alters einsetzt, geht es nicht nur um ihre eigene Tochter. „Ich bin gut vernetzt, ich finde schon irgendetwas.“ Sondern um eine feste Anlaufstelle und eine grundsätzliche Lösung für behinderte Kinder und Jugendliche und ihre Eltern - um den Kindern in den Ferien Abwechslung und Anregung und den Eltern Entlastung oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen.

Im Landratsamt verweist Pressesprecher Peter Keck auf die neuen Angebote für Schulkinder mit Handicaps an der Rohräckerschule, die der Kreis im vergangenen Jahr beschlossen hat. Seit diesem Schuljahr gibt es an den zwei Nachmittagen, die nicht über die Schule abgedeckt werden, einen Schülerhort. Und in den Sommerferien bietet die Lebenshilfe Esslingen dort ein zweiwöchiges Ferienprogramm an. „Für uns ist das nicht finanzierbar, sagt Hofmann. „Außerdem gab es das immer schon, es ist nur eine Verlagerung von der Flandernstraße an die Rohräckerschule.“ Sie wünsche sich von der Lebenshilfe mehr Angebote - auch in den kleinen Ferien. „Wir haben nur ein begrenztes Budget. Aber wir können jetzt deutlich mehr Kinder aufnehmen“, sagt Erika Synovzik, Mitarbeiterin im familienentlastenden Dienst der Lebenshilfe Esslingen, über die Ferienbetreuung am Rohräckerzentrum. Landratsamtssprecher Keck sieht den Landkreis „sehr gut aufgestellt“. Man müsse jetzt erst einmal sehen, wie die Nachfrage und der Bedarf sei. Es gebe im Kreis Esslingen traditionell ein breites Ferienangebot für Kinder und Jugendliche mit Handicaps, die familienentlastenden Dienste würden da auch gerne beraten. „Es ist immer noch ein Lernprozess, dem man sich annähern muss“, sagt Christine Fischer, Leiterin vom Amt für besondere Hilfen im Landratsamt.

„Es ist in der Tat so, dass Familien mit schwerst mehrfach behinderten Kindern auch einen größeren Unterstützungsbedarf haben“, bestätigt Lebenshilfe-Mitarbeiterin Erika Synovzik die praktischen und finanziellen Nöte der Betroffenen. Die gedeckelten Budgets der Pflegeversicherung würden jedoch nicht differenzieren. Kinder, die noch alleine Bus fahren oder in die Schule gehen können, bekommen die gleichen Sätze wie schwerst Mehrfachbehinderte. Synovzik lobt die Bemühungen des Stadtjugendrings, der - wenn möglich - Jugendliche mit Handicaps auch jenseits der Altersgrenze als Helfer noch an Ferienprogrammen teilhaben lasse. Aber sie bestätigt auch, dass die Angebote für schwerstbehinderte junge Menschen rar gesät sind. „Wir helfen da gerne, etwas zu finden.“ Und die Nachfrage der Eltern nach Ferienprogrammen sei deutlich gestiegen.

Anbieter bitte melden

Zahlreiche Einrichtungen, Kirchen und Vereine arbeiten am Thema Inklusion, bieten Kooperationen mit der Lebenshilfe oder anderen Einrichtungen an. „Aber man muss jede einzelne Adresse abtelefonieren, welches Angebot sie in diesem Jahr haben, ob es passt, ob es sich nicht nur an Kinder oder nur an Erwachsene richtet, ob die Örtlichkeiten barrierefrei sind, ob auch Pflegebedürftige aufgenommen werden oder ob man lange Wege in Kauf nehmen will oder kann. Oder ob auswärtige Anbieter überhaupt Kinder aus einer anderen Stadt nehmen“, so Hofmanns Erfahrungen der vergangenen Tage.

Fündig ist sie am Ende doch noch geworden. Beim inklusiven Esslinger Verein Villa, der auch Jugendliche in sein Ferienprogramm nimmt, wird Anne die erste Woche verbringen. Und die Esslinger Jugendfarm drückt ein Auge zu, obwohl Anne auch dort bereits über der Altersgrenze liegt - weil Anne dort schon bekannt ist. Erika Synovzik (Tel. 07 11 / 93 78 88 - 13 oder - 12) würde sich jedenfalls freuen, wenn es für Jugendliche wie Anne noch mehr Angebote gäbe. „Wer etwas hat, darf sich gerne bei uns in der Lebenshilfe melden.“

Wo man vielleicht etwas Finden kann

Weil es für Kinder und Jugendliche mit Handicaps sehr schwierig werden kann, ein passendes Ferienangebot zu finden, hat sich ein Organisationsteam aus den vier familienentlastenden Diensten im Landkreis, dem Stadtjugendring, dem Kreisjugendring, der katholischen Kirche und weiteren regionalen Partnern zusammengesetzt und Angebote zusammengestellt. Diese Messe startet in diesem Jahr am Samstag, 28. Januar, im Oberesslinger Jugendhaus Nexus in der Schorndorfer Straße 22/1. Dort stehen von 11 bis 14 Uhr mehrere individuelle Beraterinnen zur Verfügung. Die Räume vor Ort sind barrierefrei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. In den Regionen Kirchheim, Nürtingen und Filderstadt/Leinfelden-Echterdingen werden im Februar und März weitere Beratungszeiten angeboten.

Es gibt eine Broschüre des Landkreises Esslingen über „Freizeitangebote für Menschen mit und ohne Behinderung“. Zu finden ist sie im Internet unter https://goo.gl/V80yr5.

Auch auf der Webseite bei der Lebenshilfe Esslingen finden sich die Adressen von Kooperationspartnern, bei denen man nachfragen kann, ob sie ein entsprechendes Angebot machen können. Unter https://goo.gl/B5GaUq ist unter „Offene Hilfen Heft 17“ eine Broschüre abrufbar.