Aus für die Alles-Rot-Ampel: Auch in der Kirchackerstraße zeigt die Anlage für Autofahrer aus Sicherheitsgründen nur dann noch Rot, wenn Fußgänger die Grünphase anfordern. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Hermann Dorn

Die Stadt Esslingen sammelt seit 30 Jahren mit Alles-Rot-Ampeln positive Erfahrungen. Befürworter heben hervor, dass Autofahrer auf diese Weise gezwungen werden, sich an vorgeschriebene Geschwindigkeiten zu halten. Als Beleg für diese Annahme nennen sie den deutlichen Rückgang der Beschwerden aus der Bevölkerung über zu schnelles Fahren. Solche Fürsprache ändert aber nichts daran, dass das Kapitel der Alles-Rot-Ampeln in diesen Tagen geschlossen wird. „Wir rüsten alle 17 Anlagen um“, berichtet Gerhard Gorzellik, der Leiter des Ordnungsamts. Das Vorgehen erfolgt unfreiwillig. Vielmehr setzt die Verwaltung eine Anweisung des Regierungspräsidiums Stuttgart um.

Mit einiger Verzögerung holt Baden-Württemberg eine Kurskorrektur nach, die in anderen Bundesländern schon vor Jahren vollzogen worden ist. Aus Sicherheitsgründen halten es auch das Verkehrsministerium und das Regierungspräsidium in Stuttgart für geboten, das Verhalten der Autofahrer nicht länger mit einer Schaltung zu beeinflussen, die im Normalfall für alle Verkehrsteilnehmer zunächst Rot anzeigt. Halten sich Autofahrer an die vorgeschriebene Geschwindigkeit, dann schalten die Ampeln in der Regel rechtzeitig auf Grün. Nur wenn sie gegen das Tempolimit verstoßen oder wenn Fußgänger eine Grünphase anfordern, kann es zu Wartezeiten kommen.

Weniger Beschwerden

Diese Lösung hat sich in Esslingen so bewährt, dass sie vor drei Jahren auch in St. Bernhardt zum Einsatz kam - zu einem Zeitpunkt, als sich in Niedersachsen bereits eine bundesweite Abkehr anbahnte. Jahrelang hatten Anwohner der Kirchackerstraße zuvor gefordert, die Stadt müsse etwas unternehmen, um Autofahrer zu einer angemessenen Fahrweise zu zwingen. Mit einer Alles-Rot-Ampel ist es tatsächlich gelungen, die Situation zu beruhigen. „Die Beschwerden über zu schnelles Fahren sind deutlich zurückgegangen“, sagt Karl-Heinz Thiel, der Vorsitzende des zuständigen Bürgerausschusses. Dass dieses Instrument plötzlich aus dem Verkehr gezogen wird, findet er „mehr als schade“.

Das Verkehrsministerium erklärt die Intervention mit neuen Erkenntnissen. „Die Alles-Rot-Ampeln führen zu einem Gewöhnungseffekt“, heißt es in einem Schreiben. In der Erwartung, dass die Ampeln jeden Augenblick auf Grün schalten, näherten sich Autofahrer häufig mit unverminderter Geschwindigkeit. Mit diesem Verhalten beschwörten sie mitunter gefährliche Situationen herauf. Wenn Fußgänger in solchen Momenten unerwartet in die Abläufe eingreifen und ebenfalls Grün anfordern würden, verlängere sich die Rotphase für Autofahrer. Plötzliches Bremsen sei dann nicht mehr möglich. Dass es sich bei einem solchen Szenario nicht nur um ein theoretisches Risiko handelt, zeigt ein Unfall aus dem Jahr 2007, der bundesweit zu einem Umdenken geführt hat. Im Emsland ist damals ein zwölfjähriges Mädchen lebensgefährlich verletzt worden.

Von solchen Erfahrungen ist in Esslingen nichts bekannt. Stichprobenartige Kontrollen im Bereich der Alles-Rot-Ampeln haben in den vergangenen Jahren vielmehr zur Einschätzung geführt, dass die Verkehrsteilnehmer die Regeln weitgehend akzeptieren. Umso überraschender kommt jetzt die Klarstellung des Verkehrsministeriums, wonach Fußängerampeln keine zusätzlichen Funktionen für Verkehrsabläufe übernehmen dürfen.

Zur Nachahmung empfohlen

Als die neue Ampelschaltung vor drei Jahrzehnten erstmals erprobt wurde, hat Esslingen noch zu den Pionieren im Land gehört. In der Talstraße in Wäldenbronn wurde auf diese Weise der Schulweg gesichert und zugleich das Tempo gedrosselt. Der Versuch war so erfolgreich, dass das Modell landesweit zur Nachahmung empfohlen wurde. Auch Esslingen sah sich ermutigt, diesen Weg weiter zu beschreiten. Vor allem in den 90er-Jahren wurde das Instrument in vielen Stadtteilen eingesetzt.

Das Ordnungsamt will die Kehrtwende nicht kommentieren. „Wir setzen das um“, betont Gorzellik. Er kündigt im Bereich der früheren Alles-Rot-Ampeln nun verstärkte Radarkontrollen an. Jenen Autofahrern, die bisher mit kurzen Wartezeiten vor der Ampel bestraft worden sind, drohen dann wieder Geldstrafen. Thiel will die Antwort des Bürgerausschusses St. Bernhardt, Kennenburg und Wiflingshausen dagegen erst in der nächsten Sitzung beraten. Er schließt im Vorhinein aber nicht aus, dass die Forderung nach Tempo 30 in der Kirchackerstraße wieder auf die Tagesordnung kommt.

Von einer Fehlinvestition in Alles-Rot-Ampeln will das Ordnungsamt auch nach dem Abschied von diesen nicht sprechen. „Die Anlagen sind nach wie vor sinnvoll“, betont der Amtsleiter. Sie befänden sich immer an Stellen, die für die Querung der Straßen wichtig sind. Das gelte auch für die Kirchackerstraße, wo die Ampel die Sicherheit der Fußgänger erhöhe.

HOhe Dichte an Verkehrszeichen

Haftung: Das Regierungspräsidium hat die städtischen Mitarbeiter in Esslingen darauf hingewiesen, dass sie bei Unfällen an Alles-Rot-Ampeln riskieren, persönlich in die Haftung genommen zu werden. Während das Verkehrsministerium in diesem Zusammenhang nur von einer Klarstellung spricht, hat das Regierungspräsidium angeordnet, überall die Schaltung umzustellen.

Rechtliche Grundlage: Deutschland gehört zu den Ländern mit der höchsten Dichte an Verkehrszeichen. Die Bundesregierung hat deshalb vor 20 Jahren versucht, die Zahl der Verkehrszeichen zu senken. Sie reagierte damit auf Erkenntnisse, wonach der Schilderwald die Verkehrsteilnehmer überfordert und ablenkt. Die Rede war von Akzeptanzproblemen und schwindender Bereitschaft, Situationen eigenverantwortlich zu beurteilen. Ampeln sollen einer Verordnung aus dem Jahr 1997 zufolge nur noch erlaubt sein, wenn es zwingend erforderlich ist. Das soll dann der Fall sein, wenn starke Verkehrsströme aufeinandertreffen. Der Versuch, Autofahrer mit Alles-Rot-Ampeln zur Akzeptanz der vorgegebenen Geschwindigkeit zu bewegen, ist damit nicht abgedeckt.