Holzverschläge statt Zimmer: Im Herbst 2014 ist die Sporthalle in Zell als Notunterkunft behelfsmäßig hergerichtet worden – doch hinter den Kulissen rumort es heftig. Foto: Archivfoto Bulgrin - Archivfoto Bulgrin

Von Claudia Bitzer
Manchmal gibt es Worte, die hallen mehr nach, als es einem lieb sein kann. „Wir haben inzwischen Ruhe in den großen Unterkünften“, hatte Landratsamtssprecher Peter Keck Ende Juli in der EZ verlauten lassen. Anlass war die Auflösung der Sonder-Unterkunft in Deizisau. Dort hatte der Kreis die Flüchtlinge zusammengezogen, die in anderen Einrichtungen auffällig geworden waren. Für einen Mitarbeiter der Malteser war diese Einschätzung jedoch der Gipfel eines Eisbergs. In einem Leserbrief an die Eßlinger Zeitung hat er seine völlig entgegengesetzte Einschätzung der Lage in der Zeller Sporthalle wiedergegeben, in der er bis vor wenigen Tagen rund 130 Flüchtlinge betreut hat, und den Kreis dabei massiv kritisiert. Das hat ihn jetzt wohl letztendlich seinen Job gekostet.

Mitarbeiter war in der Probezeit

„Das war nicht ausschlaggebend. Der Mitarbeiter ist bei uns innerhalb der Probezeit ausgeschieden“, formuliert Marc Lippe, Malteser-Geschäftsführer in Nürtingen, seine Sicht der Dinge. Da seien mehrere Gründe zusammengekommen, warum man ihn nicht übernehmen wolle. „Und in der Probezeit müssen wir gar keinen Kündigungsgrund nennen.“ Im Esslinger Landratsamt, das die Malteser und die Arbeiterwohlfahrt mit der Sozialbetreuung der Flüchtlinge beauftragt hat, räumt man jedoch ein, dass man die Malteser nach diesem „Vertrauensbruch“ darum gebeten habe, den Mitarbeiter nicht mehr in einer Unterkunft im Kreis Esslingen einzusetzen. So die Antwort von Vera Morlok-Gommel, der stellvertretenden Leiterin im Amt für Flüchtlingshilfe in der Behörde, auf die Nachfrage unserer Zeitung. Den Maltesern stehe es jedoch selbstredend frei, ihn anderweitig zu beschäftigen.
Was die von ihm erhobenen inhaltlichen Vorwürfe in dem Leserbrief anbelangt, kann er sich vom Grundsatz her jedoch eher gestützt sehen. Das ist nicht nur aus den Reihen der ehrenamtlichen Flüchtlingsbetreuer von „Zell hilft!“ zu hören. Sondern auch aus dem Landratsamt: „Wir hatten mit der Deizisauer Sonder-Unterkunft die Situation in den großen Hallen wirklich beruhigt. Deshalb waren wir ja so froh, dass wir Deizisau hatten,“ rechtfertigt Morlok-Gommel zwar die Aussage von Landratsamtssprecher Keck, der derzeit im Urlaub ist. „Aber mittlerweile ist die Situation in der Zeller Sporthalle wirklich schwierig geworden.“

Kurzfristige Verlegungen

Der hauptamtliche, aber fachfremde Betreuer der Malteser hatte in seinem Leserbrief kritisiert, dass durch „zum Teil sehr kurzfristig geplante und überstürzt anmutende Verlegungen“ die ruhigeren und integrationswilligen Bewohner in andere Unterkünfte verlegt worden seien und im Gegenzug andere Flüchtlinge, die schon in anderen Unterkünften aufgefallen sind, in die Zeller Halle verlegt wurden – darunter auch zwei ehemalige Bewohner aus Deizisau. Sein Fazit: „Was dies für das soziale Klima in der Notunterkunft bedeutet, brauche ich nicht auszuschmücken.“ Außerdem hatte er zu dem damaligen Zeitpunkt den Eindruck, dass der Security-Dienst vor Ort nicht – wie er beantragt hatte – auf eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung aufgestockt, sondern ganz gestrichen werden sollte. Was er in dem Leserbrief ebenfalls heftig kritisierte.
Die Kommunikation mit der Heimleitung war offenbar für beide Seiten schwierig, der Betreuer fühlte sich alleine gelassen. Der Leserbrief sei unter dem Eindruck zunehmender Ohnmacht und wachsendem Problemdruck entstanden, sagt er. Er habe Angst gehabt – auch um seine eigene Sicherheit.
So habe er mehrfach vergeblich darauf gedrängt, die beiden Kontrahenten einer Messerstecherei in getrennten Unterkünften unterzubringen. Vor allem das Opfer, das nicht mehr länger mit dem Täter in der Halle zusammenleben wollte, sei nach seinen vergeblichen Versuchen ihm gegenüber immer aggressiver geworden. Zudem habe er mitbekommen und auch an die zuständigen Stellen weitergeleitet, dass eine iranische MujahedinGruppe in der Halle Flüchtlinge für eine Fahrt nach Paris anwerben wollte – um nur zwei Beispiele zu nennen, die ihn belasteten.

Unsicherheit über Security

„Wir waren daran, die Präsenszzeiten des Wachdiensts zu erhöhen. Aber die Entscheidung darüber lag noch nicht vor“, so Morlok-Gommel. Man war offenbar auch nicht zufrieden mit dem bisherigen Anbieter und wollte wechseln, heißt es aus ehrenamtlichen Helferkreisen. Gut eine Woche lang gab es in der Halle gar keine Security. Auch die Ehrenamtlichen gingen davon aus, dass womöglich gar keine Wachmänner mehr anrücken. Mittlerweile sei ein anderes Unternehmen 24 Stunden am Tag in der Sporthalle auch wirklich präsent.
Auch der Bürgerausschuss Zell beobachtet die Entwicklung in der Halle mit Sorge. „Es sind dort sehr viele unterschiedliche Menschen aus sehr vielen unterschiedlichen Nationen mit sehr vielen sehr unterschiedlichen Auffassungen untergebracht. Und das ohne jegliche Privatsphäre“, spricht der Bürgerausschussvorsitzende Uwe Mäckle von einer „aufgeheizten Stimmung“ und drängt einmal mehr darauf, die Notunterkunft zu schließen. Dass man dort dann auch noch die Problemfälle unterbringe, könne nicht zielführend sein. „Man hat diese Menschen ja extra aus den großen Unterkünften herausgeholt. Und jetzt bringt man sie dort wieder unter.“ Die Lage in Zell überfordere auch die Ehrenamtlichen. Werner Barth, der sich bei „Zell hilft!“ engagiert, kündigt in dieser Sache einen offenen Brief an Landrat Eininger an. „Wir haben über zehn Nationalitäten in der Halle und einen ständigen Wechsel, das geht so nicht weiter.“ Barth bemängelt die „katastrophale Kommunikation“ mit dem Landratsamt. Die Behörde habe ihn im Vorfeld nie über Veränderungen in der Gruppenzusammensetzung informiert, klagt auch der geschasste Mitarbeiter der Malteser. Sonst hätte man ja im Voraus agieren können.

Schlechte Kommunikation

Dass es in der Kommunikation mit den haupt- und ehrenamtlichen Betreuern noch gewaltig Luft nach oben gibt, weiß man im Landratsamt schon lange. „Wir müssen das verbessern“, gibt Vera Morlok-Gommel unumwunden zu, verweist zugleich aber auch auf den Personalmangel in den vergangenen Wochen und den Druck vom Land: „Wir hatten im Juli noch Zwangszuweisungen.“
Hallen sollen geräumt werden
Im Landratsamt weiß man auch, dass die Verlegung von auffälligen Flüchtlingen in die großen Notunterkünfte alles andere als glücklich ist. Morlok-Gommel: „Wir bemühen uns schon um eine sozialverträgliche Aufteilung. Aber überall ist es schwierig.“ Man könne nur in den Notstandorten und sehr großen Unterkünften einen Securitydienst anbieten. Das seien rund 20 im Kreis Esslingen. Gleichzeitig habe sich das System, besonders integrationsbereite Flüchtlinge mit neuen, besseren Unterkünften zu belohnen, bewährt. Morlok-Gommel: „Wir haben die beste aller schlechten Lösungen gewählt. Aber die Not treibt uns dazu.“
Derzeit wird die erste der drei noch verbliebenen großen Hallen im Kreis geräumt: die auf dem Nürtinger Säer (wir berichteten in unserer gestrigen Ausgabe). „Auch an die beiden anderen in Kirchheim und Zell gehen wir jetzt ran.“ Aber auf ein genaues Datum für Zell wollte sie sich nicht festlegen.
Derzeit leben gut 5500 Flüchtlinge in den Unterkünften für die vorläufige Unterbringung im Landkreis Esslingen.

Anzahl der Polizeieinsätze in Zell „nicht auffällig“

Konfliktbeschreibung: Das von allen Beteiligten geschilderte schwierige Klima in der Zeller Sporthalle hat sich bislang nicht auf die Anzahl der Polizeieinsätze in der Steinbeisstraße ausgewirkt. Und die Konflikte bleiben in der Regel hinter den Türen der Notunterkunft. Das ist die Bilanz von Polizeisprecherin Andrea Kopp, die auf Nachfrage der EZ die Polizeistatistik der vergangenen elf, zwölf Monate noch einmal mit Blick auf die Zeller Halle durchforstet hat. Wie in anderen Unterkünften auch werde die Polizei insbesondere wegen interner Vorkommnisse, also zum Beispiel wegen Streitigkeiten oder Straftaten wie Körperverletzungs- und Eigentumsdelikten unter den Bewohnern, gerufen, berichtet die Sprecherin des Polizeipräsidiums Reutlingen. Wobei bei der Polizei nur die Konflikte auflaufen, zu denen sie auch hinzugezogen wird.

Einsatzfrequenz: Die Anzahl der registrierten Einsätze liegt Kopp zufolge monatlich im einstelligen Bereich, damit sei die Unterkunft von der Einsatzfrequenz her gesehen nicht auffällig. „Die wenigsten Einsätze haben wir im Dezember 2015 verzeichnet. Im Monatsvergleich die meisten hatten wir im Februar 2016 und im Juni 2016 wegen der unterschiedlichsten Anlässe“, so Kopp. Auch nach der Schließung der Sonder-Unterkunft in Deizisau, in der der Landkreis auffällige Flüchtlinge gesammelt untergebracht hatte, habe die Polizei keine wesentlichen Auffälligkeiten registriert. Nach der Verlegung von zwei Männern aus Deizisau in die Zeller Halle habe es anfangs ein bis zwei Streitigkeiten gegeben, die der Polizei gemeldet wurden. „Das hat sich aber beruhigt.“

Messer im Spiel: Im Mai dieses Jahres ist es zu zwei gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Beteiligung von Flüchtlingen aus der Sporthalle gekommen, die auch Eingang in den Pressebericht der Polizei gefunden haben. In der Zeller Halle war am 16. Mai ein 25-jähriger Afghane zu Besuch, als es vermutlich aufgrund lauter Musik zu Streitigkeiten mit einigen Bewohnern kam. Bei der Auseinandersetzung zog ein 28-jähriger Iraner ein Messer und versuchte, auf den Jüngeren einzustechen. Der zog sich bei der Abwehr eine Schnittverletzung am Ellenbogen zu. Zeugen hielten den Messerstecher fest und brachten ihn in ein anderes Zimmer. Der Täter wurde nach den erforderlichen polizeilichen Maßnahmen tags drauf wieder auf freien Fuß gesetzt. Und am 28. Mai hat sich der Konfliktfall zugetragen, der intern offenbar noch immer schwelt (vergleiche oben stehenden Artikel). Ein 23-jähriger Algerier und ein 26-jähriger Iraker waren am Zeller Bahnhof aneinandergeraten. Der Iraker wehrte sich mit einem Messer und verletzte seinen Kontrahenten dabei so schwer, dass der ins Krankenhaus musste.