Friseurin war 2015 der zweitbeliebteste handwerkliche Ausbildungsberuf im Landkreis Esslingen. Julia Rahm (rechts) schneidet hier ihrer Kollegin Yvonne Marx die Haare. Beide sind im ersten Lehrjahr beim Friseur Staib in Reichenbach. Noch beliebter als eine Ausbildung zum Friseur war die zum Kraftfahrzeugmechatroniker. Foto: Dietrich Quelle: Unbekannt

Künftige Auszubildende können sich freuen: Sie sind begehrt, also geben sich viele Firmen ziemlich viel Mühe, um sie zu bekommen. Dabei steht kein materieller Anreiz oder gar ein Antrittsgeschenk im Vordergrund, sondern eine gute und abwechslungsreiche Ausbildung. Das zeigt die Nachfrage bei einigen Handwerksbetrieben im Kreis.

Von Peter Dietrich

„Wir würden gerne mehr Azubis nehmen“, sagt Isabel Schefenacker vom Esslinger Backhaus Zoller. Ziel wären 15 bis 20 Auszubildende pro Jahr, in Verkauf, Bäckerei und Konditorei. Doch dafür ist die Zahl der Bewerber zu knapp. „Es ist ein hart umkämpfter Markt.“ Das Unternehmen schaltet Anzeigen, geht auf Schulmessen, bietet Praktika. Auf Backwaren gibt es Mitarbeiterrabatt. Wichtiger als finanzielle Extraanreize sind aber besondere Ereignisse wie die GPS-Rallye.

Keine Probleme bei der Azubisuche hat Elektro Heubach in Esslingen-Zell, das Unternehmen findet über das Arbeitsamt genügend Bewerber. Die Esslinger Metzgerei Widmaier freut sich über viele Initiativbewerbungen: „Uns reicht das“, lautet die Auskunft.

Knigge beim Bewerbungsgespräch

„Wir haben einen ganzen Strauß von Aktivitäten“, sagt hingegen Peter Gress von Gress Friseure in Esslingen. Er ist einmal im Jahr beim Bildungspartner Katharinenschule. „Dort berate ich zum Thema Bewerbungsschreiben oder zum Knigge beim Bewerbungsgespräch und komme so direkt mit den jungen Leuten in Kontakt.“ So finden regelmäßig Praktikanten zu Gress. „Wir testen, ob sie gute Anlagen für den Beruf haben.“ Weitere Kontakte bringt die Beratungsseite auf der Webseite. „Wir haben im April 2015 die ‚Initiative für Ausbildung Friseure‘ gegründet. Die Zugriffe steigen, vor allem das ehrliche Versprechen auf hohe Ausbildungsqualität überzeugt. Jobbörsen und Messen besuchen wir nur, wenn Eltern dabei sind.“ Einen Bonus gibt es generell nicht. „Auch wenn die Situation schwierig ist, setzen wir auf Interesse am Beruf und auf Leistungsbereitschaft. Ich halte überhaupt nichts davon, Belohnungen ohne vorherige Leistung zu vergeben“, sagt Gress. „Das ist der falsche Ansatz.“

Zu Staib Friseure in Reichenbach kommen die meisten der zukünftigen Auszubildenden über ein Schulpraktikum, manche schnuppern danach in den Ferien weiter. „Das funktioniert ganz gut“, sagt Doris Baltes. „Es gibt auch welche, die anrufen.“ In der Regel beginnen drei Auszubildende pro Jahr. Sie sparen sich künftig das Geld für den Friseur, denn das Team im Salon schneidet sich die Haare gegenseitig. Schon damit sie richtig gut aussehen: „Wir sind das Aushängeschild“, sagt Baltes. Der Salon macht bei den „Betriebsferien“ des Landratsamtes mit und hat eine Bildungspartnerschaft mit der Lützelbachschule. Manche Azubis erarbeiten sich ihren Bonus: Sie sind so gut, dass sie in die Begabtenförderung der Handwerkskammer Region Stuttgart kommen. Eine Auszubildende war dadurch für zehn Wochen in London.

„Wir sind in der Schule aktiv“, sagt Hermann Mahr, der bei der Hermann Mahr GmbH Heizung & Sanitär in Reichenbach jedes Jahr einen, maximal zwei junge Menschen ausbildet. Er hält auch Berufsvorträge, seine Firma ist Bildungspartner der Werkrealschule Reichenbach. „Ein Bonus ist im Handwerk nicht üblich“, sagt Mahr zur Frage nach Extraleistungen. Er ist dennoch überzeugt, dass „unsere Azubis recht zufrieden“ sind. Wer es ganz genau wissen möchte, müsse sie natürlich fragen, wenn der Chef nicht dabei sei.

Mauern vor der Segway-Tour

Obermeister Armin Wager ist mit seiner Bauunternehmung Albert Wager in Esslingen an der Schule vor Ort und auf Berufsmessen, etwa den Berufswelten in Nürtingen. „Wer auf dem Segway-Parcours fahren will, muss als Eintrittskarte zwei oder drei Steine mauern“, sagt er. Dann merke einer, wie sich das anfühle. Einen materiellen Bonus gibt es nicht: „Wir versuchen über eine gute Ausbildung, die sich dann herumspricht, die Jugendlichen zu gewinnen.“ Wager setzt auf die persönliche Ansprache. Als er in Plochingen neben einer Schule baute, kamen Klassen zur Baustellenbesichtigung. Er und seine Mitarbeiter sprechen Jugendliche an, die auf Baustellen zuschauen, denn das zeige Interesse. Das war auch schon erfolgreich. „Mit Anzeigen alleine bekommt man es nicht hin.“

„Wir haben einen guten Kontakt zum Arbeitsamt und sind mit der Zahl der Bewerbungen sehr zufrieden“, sagt Matthias Merkle von der Merkle GmbH für Sanitär und Heizung in Neuhausen auf den Fildern. Ein Bonus? „Die Notwendigkeit gibt es nicht, so dramatisch ist es nicht“, sagt Merkle. „Über Anzeigen in der Zeitung werden die Leute auf uns aufmerksam. Wir haben auch bei Gesellen kein Problem, im Moment können wir nicht klagen.“

Von einem „umfangreichen Azubi-Marketing“ spricht Meike Deuschle von Westermann Innenausbau aus Denkendorf: Praktika von einem Tag bis zwei Wochen für alle Schularten, Teilnahme an Berufsmessen und Berufsparcours, Führungen, die Aktion „Betriebsferien“ des Landratsamts, Bildungspartnerschaft, Facebook. „Für dieses Konzept haben wir vor zwei Jahren sogar den Thalhofer-Preis, der innerhalb der Schreinerinnungen vergeben wird, gewonnen. Wir wollen keine falschen Versprechungen machen, sondern den Schülern den Ausbildungsberuf des Schreiners neu präsentieren.“ Er sei gar nicht mehr so bekannt, oft sei die Außenansicht völlig veraltet. „Der Wert, den wir den Schülern bieten, sollte eine hervorragende Ausbildung sein, in der wir die Jugendlichen oder jungen Erwachsenen zu sehr guten Fachkräften ausbilden. Dazu gehört auch das persönliche Interesse und Zeit für die jungen Menschen.“ Westermann bietet Schulungen und Kurse im Unternehmen oder auch mal einen Azubi-Ausflug mit erlebnispädagogischem Klettern.

Ausbildungsqualität soll überzeugen

„Wir wollen überzeugen mit der Qualität unserer Ausbildung“, sagt Elli Schnierle, Geschäftsführende Gesellschafterin beim Autohaus Wilhelm Jesinger. Die Azubis haben nicht nur Paten, sondern es gibt auch über die engere Ausbildung hinaus Knigge-Kurse, Rhetorik-Kurse, Gesundheits- und Fitnesskurse und Teambildungsmaßnahmen. Das Autohaus präsentiert seine Ausbildungsangebote unter anderem bei den Elternabenden der Gemeinschaftsschule am Schillerpark, seinem Bildungspartner.

Zur Hahn Gruppe gehören 31 Betriebe. Von den etwa 1600 Mitarbeitern sind mehr als 250 Auszubildende, es existiert eine eigene Hahn Akademie. Im EZ-Verbreitungsgebiet gibt es Autohäuser in Esslingen und Wendlingen und einen Service in Plochingen. Das Unternehmen besucht Jobmessen und Schulen, ist auf Facebook vertreten und nutzt Empfehlungen durch Auszubildende sowie Mitarbeiter. Während der Ausbildung gibt es eine Werksbesichtigung bei Audi in Neckarsulm, einen Wochenendworkshop über alle Lehrjahre und -berufe hinweg, eine firmeninterne zentrale Vorbereitung auf die Zwischen- und Abschlussprüfungen sowie teils interne Herstellerschulungen. Und eventuell einen Bonus: „Bei entsprechenden schulischen Leistungen gibt es eine finanzielle Anerkennung“, verspricht Nicole Hahn.

Pro Jahr 700 bis 800 handwerkliche Ausbildungsverträge im Kreis Esslingen

Ausbildungsverträge: Im Schnitt werden pro Jahr 700 bis 800 Ausbildungsverträge im Landkreis Esslingen geschlossen. Die Anzahl steigt laut der Kreishandwerkerschaft Esslingen-Nürtingen wieder, nachdem sie Ende 2013 mit 712 sehr niedrig war.

Probleme:Die Kreishandwerkerschaft macht die Akademisierung, die Ausbildungsvergütung im Vergleich zur Industrie sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Gründe dafür aus, dass wenige Auszubildende den Weg ins Handwerk finden.

Abschluss:Auszubildende im Handwerk haben meist einen Hauptschulabschluss oder die Mittlere Reife. Zehn Prozent sind Abiturienten.

Lieblingsberufe:Im Landkreis Esslingen war 2015 der Kraftfahrzeugmechatroniker mit 14,7 Prozent der beliebteste handwerkliche Ausbildungsberuf unter allen Azubis. Danach folgten Frisör (8,6), Anlagenmechaniker (8,3), Elektroniker (7,8), Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk (6,4), Tischler (5,1) sowie Maler und Lackierer (5,0).