Martin Frolowitz, Sabine Christiane Dotzer und das Kammerorchester unter Leitung von Johannes Zimmermann (von links) haben das Bilderbuch „Ein Schaf fürs Leben“ als gelungene Parabel für Vertrauen und Freundschaft auf der WLB-Bühne inszeniert. Foto: Weber-Obrock Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Seit einigen Tagen ist er schon in Esslingen, die Vorzüge der Bücherei hat er längst entdeckt, und erste kulturelle Spuren hat er auch schon hinterlassen. Nun ist Johann Reißer offiziell in Esslingen angekommen: Gestern wurde der Autor als neuer Bahnwärter-Stipendiat vorgestellt - und er hat sich für die kommenden sechs Monate eine Menge vorgenommen: Seinen Debütroman „Land, Maschinen, Paradies“ will der 36-Jährige in Esslingen zum Abschluss bringen, diverse Lesungen sind geplant, zwischendurch verarbeitet er seine Eindrücke in literarischen Notizen, und an einem zweiten Romanprojekt, das den Arbeitstitel „Pulver“ trägt, arbeitet er auch bereits. Einen Beitrag zum nächsten Kulturfest „Stadt im Fluss“ 2018 könnte er sich ebenfalls gut vorstellen. Vor allem aber möchte Reißer ein „Bahnwärter“ sein, der mit unterschiedlichsten Aktionen in der Stadt präsent und für die Zeit seines Aufenthalts Teil des kulturellen Lebens ist.

Empfohlen von Marlene Streeruwitz

Es gehört zum neuen Konzept des Bahnwärter-Stipendiums, dass renommierte Persönlichkeiten aus dem Literaturbetrieb die Schirmherrschaft übernehmen und die jeweiligen Stipendiaten auswählen. Die Autorin Marlene Streeruwitz ließ sich von Johann Reißer, der schon diverse Stipendien erhalten hat, auf Anhieb überzeugen. „Er untersucht in seiner Arbeit, wie die Wünsche in der Vergangenheit den Gang der Geschichte bestimmten“, lobt die angesehene Autorin. „Er bindet die Wünsche an literarische Figuren und erzählt so, dass Geschichte immer von Einzelnen gemacht ist. Seine Erzählungen lassen durch diese Personalisierung die Möglichkeit offen, alles hätte auch anders sein können.“ Seine Leser wird Johann Reißer damit allemal erreichen - und irgendwann vielleicht auch das Esslinger Theaterpublikum. Jedenfalls findet Streeruwitz: „Schön wäre es, diese Personalisierung von Lebensentwürfen und die Verwendung konkreter Orte auch für das Theater produktiv gemacht zu sehen.“

Die nötigen Kontakte kann der Autor bequem herstellen, denn zur Begrüßung gab’s von OB Jürgen Zieger neben freundlichen Worten und edlen Esslinger Tröpfchen auch Eintrittskarten für diverse Kultureinrichtungen. Die wird Johann Reißer gewiss nutzen, doch seine literarische Arbeit wird er darüber nicht vergessen. Zieger jedenfalls wünschte dem „Bahnwärter“, er möge „in Esslingen die nötige Ruhe und Unruhe finden, die er braucht, um seinen Roman fertigzustellen und um neue Ideen zu tanken“. Die Stadt biete ihm dafür ideale Voraussetzungen.

Diesen Eindruck teilt der neue Stipendiat, der 1979 in Regensburg geboren wurde und mittlerweile als freier Autor sowie Theatermacher „in Berlin und anderswo“ lebt, schon nach den ersten Tagen: „Die Kombination von Industrie, Tradition und Natur, die man in Esslingen findet, finde ich sehr ansprechend.“ Dieses Spannungsfeld spiegle sich auch im Bahnwärterhaus, das zwischen Eisenbahnlinie und Merkelpark liegt und in den kommenden Monaten Reißers Domizil sein soll. Wie sehr ihn das dortige Ambiente bereits inspiriert hat, bewies der junge Autor bei seiner Vorstellung in der Galerie Villa Merkel, wo er einen spontan am Vormittag geschriebenen Text zum Besten gab: Ein surreales Märchen mit dem Titel „Unsichtbarer Waschgang“, das bereits ahnen ließ, dass Johann Reißer seine Zeit in Esslingen kreativ zu nutzen versteht.

Bahnwärter-Stipendium auf einen Blick

Spielregeln: Die Stadt Esslingen schreibt seit 1992 ein Bahnwärter-Stipendium für Literatur und bildende Kunst aus. Anfangs wurde die Förderung im halbjährlichen Wechsel vergeben - mittlerweile wechseln sich die Stipendiaten jährlich ab. Jedes Stipendium ist mit 6000 Euro dotiert. Außerdem stellt die Stadt den Stipendiaten für die Dauer ihres Aufenthalts in Esslingen eine Wohnung zur Verfügung. Der Autor Johann Reißer, der gestern vorgestellt wurde, residiert während seines Aufenthalts im Bahnwärterhaus.

Ziel: Neben einer finanziellen Unterstützung soll das Stipendium „den Bekanntheitsgrad der Autorinnen und Autoren sowie der Künstlerinnen und Künstler im Hinblick auf eine breite Öffentlichkeit fördern“.

Namen: In der Liste der Stipendiaten finden sich Autoren wie Judith Hermann, Catalin Dorian Florescu, Joachim Zelter und die spätere Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe. Zu den bildenden Künstlern gehörten zuletzt Lennart Alves, Tobias Rosenberger und Emeka Udemba.