Pater Anselm Grün fesselt die Zuhörer in der Stadtkirche. Foto: Dietrich Quelle: Unbekannt

Von Peter Dietrich

„Wir schenken Ihnen heute eine sehr gut besetzte Kirche“, sagte Dekan Bernd Weißenborn zum Benediktinerpater Anselm Grün. Er beschrieb ihn als „gefragtesten geistlichen Schriftsteller unserer Zeit“ und „Manager mit Mönchskreuz“. Dann sprach Grün in der Stadtkirche St. Dionys zum Thema „Aus Glauben leben“.

„Die große Entdeckung von Martin Luther war, dass wir Gott nichts beweisen müssen“, begann Grün nach dem Gesang der Schola Gregoriana vom Münster St. Paul seinen Vortrag. „Glauben heißt, sich bedingungslos geliebt wissen. Ich bin angenommen von Gott. Diese Erfahrung ist heilsam. Für mich hat Glauben immer auch eine therapeutische Dimension.“

Heute gehe es - anders als zu Luthers Zeiten - weniger darum, alle möglichen Gesetze zu erfüllen, um Gott zu gefallen. „Aber wir müssen ganz viel an uns herumändern.“ Manche Firmen hätten vor lauter Veränderungen immer unzufriedenere Mitarbeiter. „Ich kenne viele Menschen, die ändern alle zwei Jahre ihre Ernährung und ihren Sport, und es ändert sich doch nichts.“ Warum? Weil im Verändern Aggression liege: „Ich muss ein anderer Menschen werden.“ Die christliche Antwort sei Verwandlung: „Sie geschieht, wenn wir alles, was in uns ist, Gott hinhalten. Wir sind nicht perfekt und müssen es vor Gott auch nicht sein.“

Was sagt Grün zu denen, die ihm sagen, sie könnten nicht glauben? „Probiere es einfach mal. Nimm Psalm 23 und tue eine Woche lang einmal so, als ob es stimmt: ‚Der Herr ist mein Hirte‘.“ Jeder Mensch habe zwei Pole: Glauben und Unglauben, Vertrauen und Angst. „Wenn wir den Unglauben in uns akzeptieren, hat er die Aufgabe, unseren Glauben zu reinigen.“ Der Glaube sei kein Besitz, sondern müsse immer wieder neu erworben werden. „Im Fundamentalismus muss man aus Angst vor dem Unglauben die andern töten, weil sie einen verunsichern würden, weil sie anders glauben. Wer den Unglauben verdrängt, muss immer Angst haben, dass sein Glauben nicht hält und muss die andern bekämpfen.“

Im Evangelium nach Johannes werde Glauben als neues Sehen beschrieben. Es gehe darum, die ganze Welt mit anderen Augen zu sehen, auch den anderen Menschen. „Wenn ich an Gott glaube, muss ich auch an den Menschen glauben.“ Wie drückt sich der Glaube konkret aus? Zum einen im Gebet, nicht nur im vorformulierten. „Das Gebet muss nicht immer fromm sein, es muss ehrlich sein.“ Das Vaterunser mit der Bitte um das „tägliche Brot“ hat Grün als sehr existenziell erlebt - als der Vater nach dem Krieg durch schlecht zahlende Kunden mit seinem Elektrogeschäft in Konkurs ging und die Bank das Haus mit sieben Kindern versteigern wollte.

Glaube drücke sich auch in Ritualen aus. „Wenn ich jeden Tag eine heilige Zeit habe, die der Welt entzogen ist, wird auch die andere Zeit kein Hamsterrad für mich sein.“ Viele kämen am Abend nicht zur Ruhe und grübelten. „Wir dürfen glauben, dass Gott alles was war in Segen verwandeln kann.“

Zum Schluss ging Grün auf das heilsame Kirchenjahr ein. C. G. Jung habe dieses als „therapeutisches System“ bezeichnet. Sucht sei immer verdrängte Sehnsucht und die Adventszeit die Kunst, die Sucht wieder in Sehnsucht zu verwandeln. Weihnachten sei „die Verheißung, dass unser verletztes innere Kind von Gott umarmt wird, dass wir es selber auch umarmen“.