Von Petra Weber-Obrock

Um das Jahr 1200 trieb ein enormer baulicher Wandel die Veränderung der Siedlung hin zur Stadt voran und prägte so das Gesicht Esslingens. Die Archäologin Michaela Jansen hat diese Entwicklung in ihrer Dissertation untersucht und die Ergebnisse jetzt im Alten Rathaus vorgestellt.

Michaela Jansen hat in Freiburg und Rom studiert und war verantwortlich tätig bei Grabungen in Esslingen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Konstanz. Heute lebt sie bei Osnabrück. Neben Esslingen untersuchte sie in ihrer Dissertation auch die baulichen Veränderungen in Zürich und Breisach um 1200. Esslingens Umstrukturierung war laut Jansen gravierend: „Heute wäre Ähnliches sowohl finanziell als auch rechtlich nicht zu stemmen“, sagte die Archäologin.

Zu Beginn ihres Vortrags gab sie einen kurzen Überblick über die historischen Eckdaten bei der Entwicklung Esslingens zur Stadt, also etwa die Erwähnung als „Cella über dem Fluss Neccra“ im Jahr 777 durch Abt Fulrad von St. Denis in seinem Testament, die Verleihung des Marktrechts durch Ludwig den Deutschen im Jahr 866 und die Bezeichnung als „Oppidum“ im Jahr 1077 unter Rudolf von Rheinfelden. Ab 1281 findet Esslingen unter der Herrschaft König Rudolfs von Habsburg als „Reichsstadt“ Erwähnung und schon im 9. bis 11. Jahrhundert habe ein Siedlungsschwerpunkt auf den Schwemmfächern des Geiselbachs existiert, wo sich heute der Marktplatz und die Stadtkirche befinden.

Aber auch im Bereich der östlichen Altstadt sowie im Umfeld der heutigen Pliensaustraße lassen sich Reste mittelalterlicher Bebauung identifizieren. Hier dehnte sich die Bautätigkeit bald auch auf hochwassergefährdete Lagen aus. „Schon da muss der Ort über ein prosperierendes Gemeinwesen verfügt haben“, sagte Jansen. Doch die Bauwut zu Beginn des 12. Jahrhunderts stellte alles Dagewesene in den Schatten. Die Initialzündung dafür war der Bau der Stadtmauer, die den Siedlungsraum nun klar definierte. Für den Mauerbau wurden Planierungen und Nivellierungen vorgenommen, die sich vor allem auf dem Gelände des Dominikanerklosters nachweisen lassen.

Anfang des 13. Jahrhunderts wurde der Geiselbach verdohlt und unterirdisch unter dem Marktplatz weitergeführt. In diese Zeit fallen auch der Bau des Spitals und der Baubeginn der heutigen Stadtkirche St. Dionys. Auch am Alten Rathaus fanden massive Erdbewegungen statt. Besonders am Rossneckar trug der Bau der Stadtbefestigung zur Trockenlegung des Geländes bei, was den Hochwasserschutz und die Wasserversorgung verbesserte.

Ein Netz von Straßen wurde angelegt, das der Stadt ihr charakteristisches Gesicht verlieh. „Das ist kein Einzelphänomen“, meinte Jansen und erklärte ähnliche Entwicklungen am Beispiel von Zürich, Lübeck und Osnabrück.

Diese Expansionsbestrebungen entsprachen einer neuen Auffassung von der Stadt als irdischer Verkörperung eines himmlischen Jerusalems und wurden nahezu zeitgleich in vielen Städten vollzogen - so auch beispielhaft in Esslingen. „Die Stadt macht ihren Status deutlich, indem sie eine geistige Utopie in gebaute Realität überführt“, interpretierte Jansen die Vorgänge. Das habe nur durch die Förderung einer städtischen Elite geschehen können und habe durch den prosperierenden Handel einen enormen Bevölkerungszuwachs und wachsenden Wohlstand zur Folge gehabt.