Tai Chi oder Chi Gong? Hier wird jedenfalls noch nicht auf Adler und Wildsau gezielt. Horst Ohnheißer (rechts) macht mit Gästen und Betreuerinnen des Tagestreffs erst einmal einfache Entspannungsübungen. Weitere Ehrenamtliche mit weiteren Angeboten sind gefragt. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Claudia Bitzer

Monika Wedde und ihr Mann sind an diesem Morgen fast nicht losgekommen. Jetzt sitzt sie mit einer guten Handvoll anderer Frauen beim Angehörigentreffen im Untergeschoss des Malteser Tagestreffs Margarete und Fritz Faber in der Weiler Klosterallee. Erst vor wenigen Monaten ist das landesweit erste Angebot eröffnet worden, das sich an Menschen in der Frühphase einer Demenz richtet und nach den Prinzipien der Silviahemmet-Stiftung arbeitet. Diese wurde von der schwedischen Königin Silvia gegründet. Eberhard Wedde trinkt seinen Kaffee einen Stock höher. „Er hat wieder die Autoschlüssel genommen“, erzählt die 62-Jährige.

Eigentlich liegen die immer im Tresor, seit der 75-Jährige vor drei Jahren zwei Mal Fahrerflucht begangen hat. Das war zugleich der Auslöser, der die Diagnose für ein Verhalten brachte, das ihr und ihrer Tochter immer rätselhafter geworden war. Der Masseur, der mit seiner Frau 40 Jahre lang eine eigene Praxis betrieben hatte, leidet an einer sogenannten Frontotemporalen Demenz. „Menschen mit diesem Krankheitsbild sind ganz lange orientiert und geistig beweglich, aber sie haben kein Unrechtsempfinden, keine Empathie mehr“, erzählt sie. Diese seltenere Form von Demenz wird oft mit psychischen Störungen verwechselt, weil Betroffene sich auffällig und unsozial verhalten, mit ihrem Gedächtnis aber kaum Probleme haben.

Erste Verdachtsmomente, dass da etwas nicht mehr stimmen konnte, hatte Monika Wedde, als ihr der erste Zahlungsbefehl ins Haus flatterte. „Er hat Probleme nur noch verdrängt und alle Rechnungen in eine Schublade gesteckt. Was er nicht gesehen hat, war nicht da.“ Die Folgen waren verheerend. Die wirtschaftlichen, aber auch die seelischen. Die Praxis in der Bahnhofstraße mussten sie aufgeben. Zweimal in der Woche kann Eberhard Wedde noch Hausbesuche machen und Lymphdrainagen durchführen. Seine Frau freut sich, dass zahlreiche Kunden die Stufen in den vierten Stock zu ihrer Wohnung in Kauf nehmen, in der sie medizinische Fußpflege anbietet. Das ist nicht immer einfach, ihr Mann „fuhrwerkt mir ständig im Haushalt herum“, schläft viel, hat keine Tagesstruktur, steht auch schon mal plötzlich nur spärlich bekleidet vor ihrer Kundschaft.

„Große seelische Entlastung“

Jetzt besucht er zwei Mal in der Woche den neuen Tagestreff, was seine Frau als „große seelische Entlastung“ beschreibt. „Er kommt so gerne hierher, ist begeistert von den Mitarbeiterinnen, geht gerne spazieren. Es sind die einzigen Tage, an denen ich den Rücken frei habe.“ Demenz hat viele Gesichter. Oft sind es Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis oder mit der Orientierung, die im Frühstadium der Krankheit auftreten, erzählt Gabriele Benninger, die den Tagestreff leitet. Es hapert an der Merk- und Konzentrationsfähigkeit, es tauchen vermehrt sprachliche Probleme auf. „Wir haben einen Gast, der spricht jetzt wieder mehr, weil er die Wörter umschreibt, die ihm fehlen. Er hat jetzt den Mut, sich das zu trauen.“

Dabei hilft die feste Zeit- und Gruppenstruktur des Tagestreffs, der bislang an drei Tagen in der Woche von 9 bis 15 Uhr geöffnet ist. Pro Tag kommen bis zu acht Gäste, manche machen sich wie Eberhard Wedde zweimal in der Woche in die Klosterallee auf. Der Tag beginnt mit einem gemeinsamen Frühstück, danach geht es darum, die noch vorhandenen Ressourcen der Teilnehmer zu aktiveren. „Wir haben zum Beispiel einen Bayer, der ein Knödel-Rezept noch aus seinem Kopf abrufen kann. Oder jemanden, der sehr gerne wandert“, erläutert Benninger. Andere wollen über Kunst oder Politik sprechen. Dem Silviahemmet-Konzept zufolge soll jeder das tun können, was er am liebsten mag und noch kann. Und nicht mit Angeboten zwangsbeglückt werden, die ihm keine Freude machen. Auch an den Herd wird keiner verdonnert, obwohl es immer ein selbstgemachtes Zwei-Gänge-Menü gibt. Benninger: „Wir haben drei Damen, die sehr gerne in der Küche arbeiten.“ „Das Fortschreiten der Demenz kann durch diesen Ansatz deutlich verlangsamt werden“, heißt es in dem Flyer der Malteser. Auch Monika Wedde hat positive Auswirkungen bei ihrem Mann festgestellt: „Er beteiligt sich wieder viel mehr am Leben.“ Auch wenn es freilich nie mehr so sein wird wie vor der Krankheit. Seit Neuestem bereichert mit Horst Ohnheißer auch ein Ehrenamtlicher das Team um die drei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und einen Bufdi. Er macht mit den Tagesgästen Chi Gong und Tai Chi. Immer angepasst auf das, was bei ihnen noch geht. „Wenn ich ihnen sage, dass wir mit einer bestimmten Bewegung auf Adler und Wildsau zielen, kommt das immer sehr gut an“, veranschaulicht er sein Konzept. „Wir würden uns sehr freuen, wenn wir noch weitere Ehrenamtliche für unseren Tagestreff fänden. Wir sind auch sehr offen, was ihre Angebote anbelangt“, wirbt Carmen Kieninger, Silviahemmet-Trainerin bei den Maltesern, um weitere Mithelfer. Der Tagestreff endet um 15 Uhr immer mit einem gemeinsamen Kaffeetrinken.

Extra Angebote für Angehörige

Zweimal haben sich die Angehörigen der Tagesgäste bislang vormittags getroffen. „Wir denken aber daran, diese Treffen künftig eher abends anzubieten,“ sagt Tagestreff-Leiterin Benninger. Solche Angebote sollen dem Austausch untereinander dienen und ein weiteres Entlastungsmoment schaffen. Es geht um theoretische und praktische Unterstützung, geplant sind auch Infoabende über demenzielle Erkrankungen und ihren Verlauf sowie Schulungen, wie man mit den Betroffenen richtig umgeht.

Zudem wollen die Malteser das Untergeschoss in der Klosterallee gerne für die Senioren im Stadtteil zu einem Begegnungstreff machen. Auch dafür werden Ehrenamtliche gesucht. Näheres und Kontaktadressen im Anhang „Malteser wollen ihren Stützpunkt in Weil noch mehr für den Stadtteil öffnen“.

Malteser wollen ihren Stützpunkt in Weil noch mehr für den Stadtteil öffnen

Der Tagestreff Margarete und Fritz Faber, der sich an Menschen in der Frühphase einer Demenz richtet, ist eine Abteilung des Ambulanten Pflegediensts der Malteser, der ebenfalls in der Weiler Klosterallee 1 untergebracht ist. Der Dienst, der vom Untergeschoss aus agiert, bietet Grund- und Behandlungspflege sowie hauswirtschaftliche Leistungen an. Des Weiteren sind verschiedene Möglichkeiten der häuslichen Betreuung gegeben.

Dazuhin gibt es eine spezielle Beratung für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Zudem finden in der Klosterallee ein- bis zweimal wöchentlich Erste Hilfe- Kurse statt. Ab 2017 wollen die Malteser hier auch die sozialpflegerische Ausbildung anbieten.

Über die eigenen Angebote hinaus würden die Malteser das Untergeschoss gerne vermehrt als Begegnungsstätte für die Menschen im Stadtteil Weil öffnen. „Es gibt hier auffallend viele Bewohner, die mehr als 65 Jahre alt sind, aber es gibt hier kaum eine soziale Infrastruktur. Außerdem fehlt es bisher an einer Quartiersmitte mit entsprechenden Kommunikationsorten. Dem versuchen wir mit verschiedenen Angeboten entgegenzuwirken, um Möglichkeiten der Begegnung gerade für die zahlreichen älteren und allein lebenden Menschen in Weil zu bieten“, sagt Malteser-Sprecherin Petra Ipp-Zavazal. Man wolle gerne eine Art Quartiersmanagement aufbauen und die entsprechenden Angebote weiter ausbauen. „Leider fehlen uns hierfür noch entsprechende finanzielle Mittel.“ Bislang gibt es im Untergeschoss bereits dienstags einen Spielenachmittag, ein „Café Plausch“ öffnet immer am letzten Montag im Monat, ein ökumenischer Tagesausklang beschließt jeden zweiten Montagabend. Zudem gehen diverse Feiern und Feste dort über die Bühne. Zwei Tage haben die Malteser auch schon testweise ein gemeinsames Mittagessen für Senioren angeboten, was von mehr als 30 Gästen goutiert wurde. Daraus soll in Zukunft möglichst ein dauerhaftes Angebot entstehen. Zudem ist eine Vortragsreihe geplant. Auch für diese offene Begegnungsstätte suchen die Malteser noch Ehrenamtliche, die Ideen, Anregungen und ihre Mithilfe einbringen.

Öffnungszeiten: Der Tagestreff für Menschen in der Frühphase einer Demenz ist bislang montags, dienstags und donnerstags geöffnet. Angestrebt werden auch der Mittwoch und Freitag. Wer Kontakt mit Leiterin Gabriele Benninger aufnehmen oder zu einem Schnuppertag kommen möchte, kann sie montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr unter Tel. 0711 / 39 69 90 33 erreichen.

Ehrenamtliche, die sich in den Tagestreff oder in die offene Begegnungsstätte einbringen wollen, melden sich am besten bei Regine Martis-Cisic unter Tel. 0711 / 92 58 23 9 oder per E-Mail an regine.martis-cisic@malteser.org, mehr Infos sind auch unter www.malteser-tagestreff-esslingen.de erhältlich.