Wenn der Zoll auf die Baustelle kommt, haben die Beamten immer wieder etwas zu monieren. Doch die Besuche sind in den vergangenen Jahren immer seltener geworden. Foto: oh Quelle: Unbekannt

Für behinderte Menschen ist es oft schwierig, einen normalen Arbeitsplatz zu finden. Dabei ist gesetzlich geregelt, dass Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern mindesten fünf Prozent der Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderung besetzen müssen. Laut der jüngsten Statistik der Arbeitsagentur vom März 2014 lag die Quote allerdings nur bei 3,8 Prozent.

Von Gesa von Leesen

Warum Unternehmen ihrer Pflicht nicht nachkommen und stattdessen eine Strafe zahlen, hat vielfältige Gründe. „Viele Arbeitgeber haben immer noch Vorurteile“, sagt Rainer Lippmann, Teamleiter Reha-Schwerbehinderung in der Arbeitsagentur Göppingen und damit auch für Esslingen zuständig. „Oft glauben sie, Menschen mit Behinderung seien öfter krank, nicht so leistungsfähig und sie glauben, sie könnten diese Mitarbeiter nicht mehr entlassen.“ Das sei allerdings falsch. „Wenn der behinderte Mensch den passenden Arbeitsplatz hat, bringt er oft die gleiche Leistung, häufig höre ich auch, dass diese Kollegen besonders motiviert sind“, unterstreicht Lippmann. Zwar gelte für schwerbehinderte Menschen ein erweiterter Kündigungsschutz, „aber wenn die Kündigung begründet ist, stimmt das Integrationsamt, das man fragen muss, auch zu“. In der Regel haben kleinere Betriebe größere Vorbehalte gegen die Beschäftigung behinderter Menschen als große, in denen es oft auch eine Schwerbehindertenvertretung gibt, die sich um die arbeitsalltäglichen Belange der betreffenden Kolleginnen und Kollegen kümmert.

„Sie wird behindert“

Wie sieht das Arbeiten mit Menschen mit Behinderung nun aus? Für Daniel Kowalewski ganz normal. Er ist Gründer und Chef von Wasni (Abkürzung für: „Wenn anders sein normal ist“), laut Eigenwerbung „Deutschlands erstes Integrationsunternehmen, das Kleidung herstellt“. Integrationsunternehmen gehören zum ersten Arbeitsmarkt und verpflichten sich, zwischen 25 und 50 Prozent der Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderung zu besetzen. Bei Wasni werden nach den Vorgaben der Kunden T-Shirts und Sweater gefertigt. Zu dem vierköpfigen Team gehört Nadine Feist, Maßschneiderin und Modedesignerin. Ihr Handicap: Mit 1,30 Meter ist die 22-Jährige kleinwüchsig. „Eigentlich ist Nadine nicht behindert. Sie wird behindert“, findet Kowalewski. „Bei ihr geht es nur um ergonomische Fragen.“ So hat die Arbeitsagentur die Anschaffung der höhenverstellbaren Nähmaschinen bezuschusst, auch das Bügelbrett ist eine Sonderanfertigung. „Und den Zuschneidetisch hat mein Vater gebaut“, erzählt die Modedesignerin.

Kleinwüchsige Menschen hätten extreme Probleme, im Handwerk zu arbeiten, weiß die junge Frau. „Die meisten gehen ins Büro, da ist es am einfachsten. Das kam für mich aber nie in Frage.“ Bei Wasni passe alles, sagt sie.

Auch die Einarbeitung der Kollegin Cukurova, die gehörlos ist, klappte schnell. Anfangs wurde dem Unternehmen eine Gebärdendolmetscherin gestellt. Kowalewski: „Aber von den 100 bewilligten Stunden hätten wir nur vier gebraucht.“ Nach einem Volkshochschulkurs in Gebärdensprache und durch den täglichen Austausch lerne man das schnell.

Der studierte Betriebswirt Kowalewski hofft, mit dem im September vorigen Jahres eröffneten Unternehmen im Spätjahr in die schwarze Null zu kommen. „Die Nachfrage ist da.“ Dann natürlich mit der Option, mehr Leute einzustellen und auch mal mehr Gehalt zahlen zu können. „Wir alle bekommen Mindestlohn“, erzählt er.

Geduld und Zeit

Nur wenige Meter entfernt in der Küferstraße gibt es ein weiteres Unternehmen, in dem Menschen mit Behinderung arbeiten: Das Kaffeehaus Sonne ist eine Außenstelle der Werkstätten Esslingen-Kirchheim. Im Kaffeehaus sorgen sechs geistig behinderte Menschen für Kaffee, Tee und Kuchen. Teamleiterin ist Nadine Loser. Die Arbeit mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mag sie sehr. „Die Leute sind so dankbar.“ Loser hat bis vor wenigen Monaten als Verkaufsleiterin bei einem Discounter gearbeitet. „Da ging es nur um Zahlen, Leistung, Geld. Hier geht es um die Menschen.“ Klar, man brauche viel Geduld und Zeit: „Sie fragen bei allem immer wieder nach, obwohl sie es eigentlich wissen, wie es geht.“ Jeder Mitarbeiter werde nach seinen Fähigkeiten eingesetzt: Der eine könne die Kaffeemaschine bedienen, die andere komme gut mit der Kasse klar. „Und wir üben bestimmte Dinge, zum Beispiel, Rührei kochen oder S-Bahn-fahren“, so Loser.

Ob ihre Mitarbeiter auch in einem „normalen“ Betrieb schaffen können? Die Teamleiterin denkt nach, wirkt skeptisch. „Im Moment denke ich, bei einem könnte es klappen.“

999 Menschen ohne Job

Laut der Agentur für Arbeit Göppingen waren im April diesen Jahres 999 Menschen mit Behinderung arbeitslos gemeldet. Wie Rainer Lippmann erläutert, gibt es keine Zahlen über die Anzahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Menschen mit Behinderung für den Landkreis. Bis 31.März jeden Jahres müssen Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern anzeigen, ob sie Menschen mit Behinderung beschäftigen. Beratung für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung gibt es beim Integrationsamt in Plochingen.