Von Christian Dörmann

Charles Henrywood ist stets eine treibende Kraft, wenn es um die Aussöhnung von Nationen geht, die sich einst als Kriegsgegner gegenüber gestanden haben. Er selbst hat den Zweiten Weltkrieg in England als kleiner Junge erlebt, und als er schließlich Bürgermeister von Esslingens britischer Partnerstadt Neath in Wales wurde, hat er sich mit großem persönlichen Engagement dafür eingesetzt, aus Partnern Freunde zu machen. Schon aus dieser Lebensleistung heraus ist die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen „einer der traurigsten Tage meines Lebens“. Ähnliche Gefühle haben Charles Henrywood, der heute keine offiziellen Ämter mehr hat, bewegt, als der Rat der seit 1996 mit Port Talbot zusammengeschlossenen Stadt beschloss, alle Städtepartnerschaften aufzukündigen - auch die seit 1958 bestehende mit Esslingen. „Aus finanziellen Gründe“, wie es heißt. Am Ende haben sich die Stimmen aus Port Talbot gegenüber denen aus Neath durchgesetzt, die gern weiterhin die partnerschaftlichen Bande pflegen wollten. Ein Argument für die „Kündigung“ war übrigens auch der Hinweis, durch die Mitgliedschaft Englands in der EU seien die traditionellen Städtepartnerschaften nicht mehr notwendig.

„Freunde werfen keine Bomben auf dich.“ Von diesem Satz hat sich Charles Henrywood leiten lassen. Umso tiefer sitzt seine Enttäuschung über das Ergebnis des Referendums auf der Insel. Eine Entscheidung, die aus seiner Sicht „an mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unumkehrbar ist“, wie er sich gestern gegenüber der EZ ausdrückte. Das, was sich in England während der vergangenen Wochen vor allem bei den Anhängern der Leave-Kampagne abgespielt hat, empfand Henrywood geradezu als Kampf. Die eingesetzten Waffen: „Desinformation, Vorurteile und Hass.“

Der ehemalige Bürgermeister aus Esslingens mutmaßlich ehemaliger Partnerstadt Neath Port Talbot weiß um die Bedeutung der Erkenntnis, wonach „Hass nur Hass erzeugt“. Deshalb ist es ihm gerade auch unter einem europäischen Dach wichtig, andere Menschen unabhängig von Rasse, Religion oder Hautfarbe zu verstehen und zu respektieren.

England hat sich mit knapper Mehrheit für den Brexit entschieden und vom Rat der Gesamtstadt Neath Port Talbot gibt es keine Unterstützung mehr - zumindest für das offizielle partnerschaftliche Miteinander zwischen der walisischen Stadt und Esslingen. Eine beängstigende Parallele - und Charles Henrywood wirbt dafür, dem nicht tatenlos zu begegnen: „Wir in Neath müssen Wege erarbeiten, damit unsere Mitbürger - vor allem junge Leute - unsere Freunde auf dem europäischen Festland kennenlernen.“ Charles Henrywood geht es um gegenseitiges Verständnis, „wir müssen eine gemeinsame Brücke finden“.

Welche Brücke die Stadt Esslingen finden wird, damit die langjährige Partnerschaft zunächst nur mit Neath und später dann mit Neath Port Talbot nicht komplett den Bach hinuntergeht, wird die Zukunft zeigen. An den Menschen in Neath werden weitere Begegnungen auch außerhalb eines offiziellen Protokolls jedenfalls nicht scheitern. Charles Henrywood: „Ich kann den Esslingern versichern, dass ich in Neath nicht ihr einziger Freund bin.“