Der Rohbau der neuen KSK-Hauptstelle steht - nun wird die Fassade mit Naturstein verkleidet. Rechts der neu aufgebaute „Falken“. Fotos: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Petra Weber-Obrock

Gestern wurde in der Synagoge im Heppächer nach traditionellem jüdischem Ritus der letzte Tag des eine Woche währenden Laubhüttenfests „Sukkot“ gefeiert. Im Hof der Synagoge hatte man aus verschraubten Holzplatten eine imposante Laubhütte (Sukka) gebaut, die mit Tannenreisig gedeckt war. Zum Fest waren auch Gäste aus der Gemeinde Reutlingen und weitere Besucher eingeladen worden. Vor dem gemeinschaftlichen Essen fand ein feierlicher Gottesdienst statt, in dem auf Hebräisch aus der neuen Thorarolle gelesen wurde. Rabbiner Yehuda Pushkin rief dazu auch eine Reihe jüdischer Männer ans Lesepult, die ergriffen aus der heiligen Schrift zitierten. Ganz leicht fand sich dabei der Minjan zusammen, die Zehnergruppe aus mündigen Männern, die für einen vollständigen Gottesdienst benötigt wird. Wie es im orthodoxen Ritus üblich ist, trennte ein Vorhang die Männer von den Frauen.

Für Besucher aus dem christlichen Kulturkreis erscheint im jüdischen Gottesdienst vieles, aber nicht alles fremd. Inmitten des hebräischen Sprachflusses schwebt immer wieder das Wort „Adonai“, das hebräische Wort für Gott und seine Gegenwart, durch den Raum. Auch die Wörter „Elohim“, „Hosianna“ und das abschließende „Amen“ verdeutlichen die gemeinsamen Wurzeln der beiden Religionen. Als besonderes Symbol trugen die Männer der Gemeinde bei einem Umzug den gebundenen Feststrauß „Arba‘ a minim“ vor sich her und grüßten damit die Himmelsrichtungen. Stellvertretend für die vier in Israel wachsenden Pflanzenarten, besteht er aus einer Zitrusfrucht, Myrten, Palm- und Bachweidenzweigen. Nach dem Ende des Gottesdiensts begann das Fest mit einer rituellen Handwaschung.

In der Stadt verankert

In der Sukka selbst, die Ähnlichkeit mit einem schwäbischen Festzelt hat, standen der Austausch und die Freude an der Begegnung im Vordergrund. Sie teilte auch Renate Dreyer, die als christliche Besucherin beim Gottesdienst war. „Ich war schon oft hier und auch in Israel“, berichtete sie. Dass es wieder eine Synagoge und jüdisches Leben in Esslingen gibt, freute sie. „Es ist ein Zeichen von Gemeinsamkeit.“ Marcus Gundlach, der zur jüdischen Gemeinde gehört, konnte dem nur zustimmen. „Die eigene Selbstwahrnehmung hat sich verändert, seitdem die Gemeinde mit so viel Unterstützung durch bürgerschaftliches Engagement aus Esslingen die Thorarolle kaufen konnte“, sagte er. Er selbst fühle sich nicht mehr als Exot, und die jüdische Gemeinde sei stärker in der Stadt verankert.

Die Gäste wurden mit koscheren, nach speziellen Reinheitsgeboten zubereiteten Speisen und dem süßen Hefebrot, der „Challa“, bewirtet, die am Sabbat und an Festtagen serviert wird. Für Rabbiner Yehuda Pushkin hat das Fest eine tiefe spirituelle Bedeutung. „Das Laubhüttenfest erinnert uns Menschen daran, dass der Segen immer von oben kommt, auch wenn wir glauben, alles zu besitzen.“ In diesem Jahr habe man die Sukka vergrößert, weil viele Gäste erwartet wurden, darunter 19 Gemeindemitglieder aus Reutlingen und eine Abordnung des Arbeitskreises „Ehemalige Synagoge“ aus Öhringen, der sich für das Gedenken an die jüdischen Mitbürger in ihrer Stadt engagiert.

In Esslingen existiert nur die eine große Laubhütte im Hof der Synagoge. Iris Schweikert, die in der jüdischen Gemeinde als Sozialarbeiterin tätig ist, berichtete, dass in Israel jede gläubige Familie ihre eigene Laubhütte baut, teilweise seien abenteuerliche Konstruktionen zu bewundern. „Eine Woche lang findet für viele Familien das ganze Leben in der Sukka statt“, erzählte sie. Sie habe zwar einigermaßen feste Wände, sei aber zum Himmel hin nur ganz locker abgedeckt.

Seit dem Hochmittelalter haben Menschen jüdischen Glaubens die Kultur und die Wirtschaft Esslingens mitgeprägt. Die Nationalsozialisten haben die jüdische Gemeinde in Esslingen ausgelöscht. Vor allem Zuwanderer aus den GUS-Staaten prägen die heutige Gemeinde, die mehr als 300 Mitglieder hat. In der EZ-Serie „Jüdisches Leben in Esslingen“ werden verschiedene Aspekte des jüdischen Alltags sowie Menschen vorgestellt, die sich in der Gemeinde engagieren.

Fest des Einsammelns

Das hebräische Wort „Sukkot“ bedeutet „Hütten“, im Singular „Sukka.“ Das Laubhüttenfest ist mit Pessach und Schawuot eines der drei jährlichen jüdischen Wallfahrtsfeste und war traditionell mit einer Pilgerreise verbunden, an der jeder männliche Israelit teilnehmen sollte. In der Bibel geht es auf das 2. Buch Mose zurück, in dem es „Fest des Einsammelns“ genannt wird. Im 3. Buch Mose wird es als „Laubhüttenfest“ bezeichnet und war ein Fest zum Dank für das Einbringen von Obst und Wein, also ein Erntedankfest. Erst nach dem babylonischen Exil erinnert es auch an den Auszug der Israeliten aus Ägypten. Heutzutage ist Sukkot es ein überaus fröhliches Fest im jüdischen Jahreskalender. Es wird im Herbst im Monat Tischri gefeiert und dauert sieben Tage. Immer noch bauen gläubige Juden Unterstände mit Dächern aus Ästen, Zweigen oder Laub, die unter freiem Himmel stehen müssen. Die Seitenwände können aus Holz, Zeltplanen oder Decken bestehen. Die Laubhütte steht für das Unterwegssein des Menschen unter dem Schutz Gottes.