„Wir dürfen in unseren Anstrengungen nicht nachlassen“, sagt Professorin Gabriele Gühring. Quelle: Unbekannt

Viele Frauen bringen zwar beste schulische Voraussetzungen für ein Ingenieurstudium mit. Doch nur wenige entscheiden sich dafür. So liegt der Frauenanteil in den klassischen Ingenieurstudiengängen an der Hochschule Esslingen noch immer unter zehn Prozent. Wie es sich anfühlt, in der Minderheit zu sein, hat Professorin Gabriele Gühring während ihres Mathe- und Physikstudiums selbst erlebt. Die immer noch geringe Präsenz von Frauen in den Ingenieurwissenschaften hält nach Ansicht der stellvertretenden Gleichstellungsbeauftragten der Hochschule potenzielle Studentinnen ab. Deshalb gelte es nicht nur, für ein technisches Studium zu werben, sondern in diesen Fachbereichen auch die Zahl der Professorinnen zu erhöhen.

Seit vielen Jahren unternimmt die Hochschule Anstrengungen, um den Frauenanteil in den Ingenieurwissenschaften zu erhöhen. Hat das Früchte getragen?

Gühring: Auf jeden Fall, aber leider noch nicht in dem Maß, in dem wir uns das wünschen. In unseren klassischen Ingenieurfächern, etwa im Maschinenbau, der Mechatronik und der Fahrzeugtechnik, haben wir immer noch einen Frauenanteil von unter zehn Prozent. Beim Maschinenbau liegt er bei fast zehn Prozent, in der Mechatronik bei acht Prozent und in der Fahrzeugtechnik derzeit bei etwas über sechs Prozent.

Gibt es auch Ingenieurstudiengänge mit höherem Frauenanteil?

Gühring: Unsere Statistiken belegen, dass zum Beispiel der Studiengang der Gebäude- und Umwelttechnik einen höheren Frauenanteil von zurzeit rund 15 Prozent hat. Im Wirtschaftsingenieurwesen und in der Wirtschaftsinformatik liegt der Frauenanteil inzwischen bei 20 bis 25 Prozent.

Woran liegt es, dass manche Ingenieurwissenschaften offenbar besser bei Frauen ankommen als andere?

Gühring: Studien belegen, dass Frauen gerne Fächer studieren, die auch gesellschaftspolitisch relevant sind. Und das ist, zumindest vom Namen her, bei der Umwelttechnik eher der Fall als bei der Fahrzeugtechnik. Der eine Studiengang hat also eine bessere Marketingwirkung als der andere. Daran sollten wir hier an der Hochschule arbeiten. Denn in der Fahrzeugtechnik beschäftigt man sich ja nicht nur mit den klassischen Motoren, sondern vermehrt mit alternativen Antrieben und Elektromobilität.

Spielt bei der Wahl des Studiengangs manchmal auch eine vorangegangene betriebliche Ausbildung eine Rolle?

Gühring: Das spielt gerade bei uns als ehemalige Fachhochschule eine große Rolle. Fast 50 Prozent all unserer männlichen Studienanfänger haben eine Lehre gemacht. Bei den Frauen sind es aber nur 15 Prozent. Da Frauen in den technischen Ausbildungsberufen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert sind, kommen auch weniger über den zweiten Bildungsweg zu uns. Frauen mit Abitur, die gut in Mathe und Physik sind, werden zwar über derzeit bestehende Maßnahmen angesprochen. Doch konkurrieren wir auch mit den klassischen Studienfächern Mathematik oder Physik an den Universitäten. Als Hochschule für angewandte Wissenschaften sollten wir uns daher auch dafür engagieren, dass sich der Frauenanteil in den technischen Ausbildungsberufen erhöht.

Sie erwähnten die Mathematik. Wie wichtig ist die fürs Ingenieurstudium?

Gühring: Gute Mathematikkenntnisse und ein gutes mathematisches Verständnis sind die besten Voraussetzungen für ein erfolgreiches Ingenieurstudium.

Es hält sich ja hartnäckig das Gerücht, dass Frauen mit Mathe nichts anfangen können...

Gühring: Wenn man sich den Frauenanteil in den Mathematikstudiengängen anschaut, dann weiß man, dass das nicht der Realität entspricht. Denn in Mathe liegt der Frauenanteil bei rund 50 Prozent. Von daher kann der geringe Frauenanteil bei uns also nicht an mangelnden Mathematikkenntnissen der Frauen liegen.

Woher kommt es, dass sich so wenige Frauen trotz bester Voraussetzungen gegen ein Ingenieurstudium entscheiden?

Gühring: Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es eine gewisse Hürde ist, einen Studiengang zu beginnen, von dem man weiß, dass man als Frau in der Minderheit ist. Da geht es nicht darum, dass man es sich nicht zutraut. Aber es ist einem unter Umständen unangenehm, immer in der Minderheitenposition zu sein. Nach meiner Erfahrung agieren Männer und Frauen in Studiengängen, in denen ihr Geschlecht stark repräsentiert ist, deutlich selbstbewusster. Deshalb müssen wir daran arbeiten, dass sich der Frauenanteil in den Ingenieurwissenschaften an unserer Hochschule auf mindestens 30 Prozent, das gilt gemeinhin als magische Grenze, erhöht. Der geringe Frauenanteil ist meiner Einschätzung nach derzeit die größte Hemmschwelle für Frauen, Ingenieurwissenschaften zu studieren.

Inwiefern spielen bei der Wahl des Studienfachs denn Erfahrungen eine Rolle, die Ingenieurinnen später im Beruf machen?

Gühring: Aus der Wirtschaft kommen sehr positive Signale. Die Unternehmen suchen gut ausgebildete Frauen. Dabei spielt nicht nur der Fachkräftemangel eine Rolle. Die Unternehmen wissen, dass eine gewisse Diversität, gerade auch im Ingenieurbereich, bessere Ergebnisse bringt. Und die größeren Unternehmen haben eigene Kitas und engagieren sich stark beim Thema Familienförderung.

Welche Bedeutung haben spezielle Frauenförderpreise wie der Bosch-Preis?

Gühring: Nach meiner Erfahrung ermuntert es Frauen durchaus, wenn sie für ihr Studienvorhaben einen Preis bekommen. Weniger des Geldes, sondern eher der Anerkennung wegen. Denn dadurch bekommen sie die Bestätigung, dass sie fachlich gut und somit auch im richtigen Studienfach sind. Deshalb war es mir wichtig, dass der Preis im Grundstudium vergeben wird und nicht erst für die Absolventinnen. Am allerliebsten hätte ich auch Stipendien, die speziell an Frauen in den Ingenieurwissenschaften vergeben werden.

Aus anderen Bereichen, in denen Frauenförderung ein Thema ist, weiß man, dass Vorbilder wichtig sind, weil sie Frauen motivieren und Mut machen. Wie viele Professorinnen hat die Hochschule Esslingen zurzeit in den Ingenieurwissenschaften?

Gühring: In der Fakultät Soziale Arbeit hat die Hochschule natürlich einen sehr hohen Frauenanteil. In allen anderen Fakultäten sind wir im Augenblick 16 Professorinnen, das entspricht einem Anteil von rund zehn Prozent am Kollegium. Wir werden aber mehr. Gerade in den letzten zwei Jahren wurden drei Professorinnen berufen, und zwar just in technischen Studiengängen.

Wird es als Signal wahrgenommen, wenn Professorenstellen im technischen Bereich mit Frauen besetzt werden?

Gühring: Auf jeden Fall. Mir berichten Kolleginnen, dass die Frauen ihres Studiengangs oft mit Fragen auf sie zukommen. Deshalb müssen wir auch an dem Ende arbeiten und schauen, dass wir unseren Anteil an Professorinnen gesteigert kriegen. Das ist auf die Schnelle natürlich nicht so einfach. Deshalb sollten wir uns darum bemühen, mehr weibliche Lehrbeauftragte zu bekommen. Das ist zwar nicht die Lösung schlechthin, um den Frauenanteil in den Ingenieurwissenschaften zu erhöhen. Aber es ist ein weiterer wichtiger Mosaikstein. Denn Studien belegen: Wenn wir in unseren Anstrengungen nachlassen, dann sinkt der Frauenanteil.

Die Fragen stellte Dagmar Weinberg

Zur Person

Professorin Gabriele Gühring hat Mathematik und Physik an der Universität Tübingen studiert und an der University of Oxford einen Masterabschluss in Mathematical Finance gemacht. Nach ihrer Promotion im Fach Mathematik arbeitete sie sieben Jahre lang als Managerin und Unternehmensberaterin und hat deutschlandweit Banken und Industrieunternehmen beraten. Seit 2008 ist Gabriele Gühring Professorin an der Hochschule Esslingen für die Fachgebiete Mathematik für Wirtschaftsinformatiker/Wirtschaftsingenieure, Statistik, Operations Research und Finanz- und Risikomanagement. An der Hochschule Esslingen ist sie stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte und betreut Projekte für MINT-Studentinnen und Frauen in Ingenieurberufen. Seit September 2014 ist die promovierte Mathematikerin auch Sprecherin der Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften und Duale Hochschulen Baden-Württemberg.