Jede halbe Stunde wurde Andreas Kiefer vom Schlauchboot aus mit Wasser, Power-Gel und manchmal einer halben Banane verpflegt. Quelle: Unbekannt

Der gebürtige Esslinger Andreas Kiefer hat die Straße von Gibraltar durchschwommen: Für die 16,3 Kilometer lange Strecke zwischen dem afrikanischen und dem europäischen Kontinent, zwischen Tarifa in Spanien und der marokkanischen Küste, hat der 52-Jährige vier Stunden und 18 Minuten benötigt. Im EZ-Interview erklärt Kiefer, der seit fast 20 Jahren in Südostasien lebt und für einen Elektronik-Konzern tätig ist, was das Schwimmen im Freiwasser so schwierig macht und von welchen Eigenschaften eines Langstrecken-Athleten er im Alltag profitiert.

Was hat Sie am Durchschwimmen der Straße von Gibraltar gereizt?

Kiefer: Ich bin in der Vorbereitung zwischen 20 und 30 Kilometer pro Woche geschwommen, zuhause im 50-Meter-Pool, in Seen und Baggerseen und einmal in Thailand an der Küste entlang. Die Distanz hab’ ich also drauf. Aber mit dem Schwimmen im offenen Meer, mit den Wellen, der Strömung und der Kälte kamen einige Dinge zusammen, die mir fremd sind. Und genau das hat mich gereizt. Darüber hinaus ist die Durchquerung dieser Meerenge etwas ganz Spezielles: Hier trifft das Mittelmeer auf den Atlantik. Ich schwimme von einem Kontinent auf den anderen. Ich schwimme über das offene Meer, das hier bis zu 900 Meter tief ist.

Sie sind im Neopren-Anzug geschwommen?

Kiefer: Aufgrund meiner körperlichen Voraussetzungen bin ich für die etwas kühleren Temperaturen nicht geschaffen, im Freibad beginne ich bei einer Wassertemperatur von 22 Grad nach einer halben Stunde zu frieren. Laut Protokoll hatte das Wasser am 1. August, als ich geschwommen bin, zwischen 19 und 22 Grad. Und zwischendurch habe ich gespürt, dass ich durch noch kältere Strömungen schwimme. Ohne Neopren-Anzug geht das bei mir also nicht. Deshalb kann ich auch den Ärmelkanal nicht durchschwimmen, denn dort darf man nicht mit Anzug antreten.

Ist stets ein Begleitboot dabei?

Kiefer: Ja, sogar zwei. Das größere Boot fährt etwa 50 bis 70 Meter vorneweg. Es gibt mir die Richtung an, es lotst mich durch die Strömung und navigiert mich durch den Schiffsverkehr. Auf diesem Boot waren meine Tochter und meine Schwester. Das kleinere Boot, ein Schlauchboot, fährt etwa zwei bis zehn Meter neben mir.

Sie werden während des Schwimmens verpflegt?

Kiefer: Ja, die erfahrene Crew verpflegt mich vom Schlauchboot aus. Ich habe vorher den Rhythmus vereinbart: Die erste Stunde schwimme ich durch, danach Verpflegung alle halbe Stunde. Ich schwimme ans Boot hin, darf mich aber nicht daran festhalten. Dann wird mir ein aufgerissenes Päckchen mit Power-Gel gereicht, ein energiereicher Kohlenhydratmix speziell für Ausdauersportler, ein paar Schlucke Wasser aus der Trinkflasche hinterher und manchmal eine halbe Banane. Dann geht es weiter.

Was waren die größten Schwierigkeiten auf der Strecke?

Kiefer: Die Wassertemperatur und die Wellen. Beim Start wurde mir gesagt, dass ich die erste Meile ohne Pause durchschwimmen müsste, weil die Strömung so stark sei, dass wir bei einem Stopp abgetrieben werden könnten, was eine zusätzliche halbe Stunde kosten würde. Da dachte ich mir: „Das fängt ja prima an.“ Und auf den ersten beiden und auf den letzten beiden Kilometern der Strecke sind die Wellen unberechenbar: Sie brechen ständig, kommen eigentlich aus allen Richtungen und haben keinen Rhythmus. Das ist ein bisschen wie eine Waschmaschine. Weiter draußen sind die Wellen zwar höher, aber sie sind sanft, so dass man mit ihnen schwingen und einen Rhythmus finden kann.

Sind Sie körperlich an Ihre Grenzen gegangen?

Kiefer: Ich hatte in der ersten halben Stunde ein paar Probleme. Ein Krampf im Bein machte mir vor allem mental zu schaffen, weil man nur noch daran denkt, wie man den wieder los wird. Aber da sagt man sich: Hei, du bist deswegen hierhergekommen, jetzt musst du damit klarkommen. Manche Schwimmer werden wegen der Wellen seekrank und müssen sich übergeben. Dieses Problem hatte ich nicht. Und was die Kraft angeht: Nach drei Stunden habe ich gemerkt, dass ich mit meinen Ressourcen haushalten muss, aber ich war mir bewusst, dass ich es schaffen werde. Aufgeben war nie eine Option, das gibt es für einen Triathleten und Ultra-Marathonläufer einfach nicht.

Mit rund 300 Frachtern pro Tag ist die Straße von Gibraltar einer der meistbefahrenen Schifffahrtswege der Welt. Haben Sie die großen Schiffe vorbeifahren sehen?

Kiefer: Ja, durchaus. Besonders interessant ist, dass ich sie zuerst alle vor mir sah. Und irgendwann kam der Punkt, an dem ich die ersten haushohen Containerschiffe hinter mir gesehen habe. Das hat mir einen richtigen Schub gegeben: Wow, ich komme voran. Die Bugwelle dieser großen Schiffe ist durchaus zu spüren. Das muss aber für den Schwimmer nicht allzu unangenehm sein. Bei diesen großen Wellen geht es bergauf und bergab, aber sie unterbrechen den Schwimm-Rhythmus nicht.

So eine lange Strecke schwimmt man nur im Kraul-Stil?

Kiefer: Ja, man kommt kontinuierlich und kraftsparend voran. Man sollte damit vertraut sein, auf beiden Seiten atmen zu können. Sonst kann es kritisch werden, wegen der Wellen, weil die Sonne einen blendet und wegen der Verpflegungsaufnahme. Und vor allem: Wenn man stundenlang schwimmt und nur auf einer Seite atmet, wird man einseitig, asymmetrisch und verliert seinen Stil.

Wie viel von der Umgebung haben Sie während des Schwimmens wahrgenommen?

Kiefer: Ich musste mich die ersten 20 Minuten wirklich darauf konzentrieren, was ich mache: Die Umstände, die Kälte, die Wellen, der Krampf im Bein, das Zusammenspiel mit den beiden Booten. Nach der ersten Stunde und dem ersten Verpflegungsstopp war ich in meinem Rhythmus drin. Da konnte ich abschalten und meine Kilometer machen. Ab da hatte ich mich freigeschwommen. Das ist wie Meditation oder Trance, wie beim Langstreckenlaufen auch, da kann man den Gedanken freien Lauf lassen.

Wie ist das am Ziel?

Kiefer: Nach dreieinhalb Stunden war dann der letzte Verpflegungsstopp, da hab‘ ich das Ziel schon vor Augen gehabt. Es ist je nach Wetterbedingungen unterschiedlich, wo man anlandet. Bei mir war es ein Fels: Den schwimmt man an, ich war kurz dran, hatte marokkanischen Boden unter den Füßen, aber die Strömung und die Gischt waren ziemlich stark. Dann wurde ich ins Schlauchboot gezogen, bin aufs Hauptboot umgestiegen, und wir sind zurückgefahren. Dabei haben wir übrigens Delfine gesehen.

Gibt es Eigenschaften eines Langstrecken-Athleten, die Ihnen auch im Alltag zugute kommen?

Kiefer: Da gibt es viele: Eine gewisse Disziplin. Biss haben. Ziele eher langfristig sehen. Sich von Rückschlägen nicht aus der Bahn werfen lassen. Herausforderungen sind spannender als das Normale.

Sie sind jetzt 52 Jahre alt ...

Kiefer: ... ja, ich werde auch nicht jünger (lacht). Wobei ich jetzt körperlich sogar in besserer Verfassung war als bei meinem ersten Versuch vor drei Jahren, den ich dann wetterbedingt nicht starten konnte. Und mental ist man mit zunehmendem Alter für solche Dinge besser gerüstet. Als 30-Jähriger stürmt man los, obwohl man genau weiß, dass es falsch ist. Heute sehe ich das gelassener. Ich lasse die Jüngeren losrennen, weil ich weiß, dass ich die meisten sowieso wiedersehe, bevor ich ins Ziel komme.

Welche Herausforderung reizt Sie als nächstes?

Kiefer: Ich habe einen Kumpel in Esslingen, Reinhard Schmid, der hat den Spartathlon schon gefinisht. Bei diesem härtesten Ein-Tages-Lauf der Welt werden innerhalb von 36 Stunden die 246 Kilometer von Athen nach Sparta gelaufen. Das ist eine Idee, die mich reizt, die habe ich auf dem Zettel. Schön wäre, wenn Reinhard und ich gemeinsam an der Startlinie stehen.

Das Interview führte Gaby Weiß.

Andreas Kiefer und sein Projekt im Kurzporträt

Der Sportler: Andreas Kiefer läuft bereits seit seiner Jugend Langstrecke. In den 70er-Jahren ging er für die LG Esslingen an den Start, später trug er die Farben der LG Filder. Der mittlerweile 52-Jährige war auch mit dabei, als 1983 der Ausdauersportverein SG Triathlon Esslingen, später Nonplusultra Esslingen, gegründet wurde. Und 1988 war Andreas Kiefer der erste Esslinger, der den legendären „Ironman“ auf Hawaii erfolgreich beendet hat: 3,86 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,2 Kilometer Laufen waren da zu absolvieren.

Der Veranstalter: Die Asociaciòn Cruce a Nado del Estrecho de Gibraltar (Acneg) organisiert die Durchquerung der Straße von Gibraltar für Schwimmer. Am 1. August war Andreas Kiefer der einzige, der die Meerenge durchschwommen hat. Zum Preis von 2000 Euro holt der Veranstalter von den spanischen und marokkanischen Behörden und Küstenwachen sämtliche Genehmigungen ein, beobachtet die Gezeiten, das Wetter und die Strömung, stellt die beiden Begleitboote samt erfahrener Besatzung und verleiht hinterher ein Zertifikat über die erfolgreiche Durchquerung. Der Starter muss ein Gesundheitszertifikat vorlegen und einen Nachweis, dass er in der Lage ist, über einen längeren Zeitraum mit einer Geschwindigkeit von drei Stundenkilometern zu schwimmen.