Flagge eines sogennanten "Reichsbürgers" Foto: DPA - Nicolas Armer

Von Thomas Burmeister

Stuttgart - Wie viele „Reichsbürger“ verfügen über Waffen? Ganz genau wissen das in Baden-Württemberg bislang weder Verfassungsschutz, noch Polizei oder Innenministerium. Klar ist aber: Der Entzug von Waffenscheinen und Waffen ist im Gange - und wohl nicht immer ungefährlich.

Die Erkenntnis kam recht spät, aber das Ziel ist nun umso klarer: Weil „Reichsbürger“ die Gesetze der Bundesrepublik ablehnen und sie möglicherweise aktiv bekämpfen, sollen sie keinesfalls über Waffen verfügen. Schon gar nicht mit einer amtlichen Erlaubnis. Dennoch haben einige dieser Extremisten Pistolen oder Gewehre samt Waffenschein. In den 44 Land- und Stadtkreisen Baden-Württembergs laufen Bemühungen, sie ihnen wieder abzunehmen.

Die vollständige Umsetzung eines entsprechenden Erlasses von Innenminister Thomas Strobl (CDU) vom 20. Januar hat bislang kaum eine Waffenbehörde nach Stuttgart gemeldet, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. Allerdings enthält die Minister-Anordnung auch kein konkretes Zieldatum. Meldungen über „Reichsbürger“ mit Waffenschein und entsprechende Konsequenzen sollten „zu gegebener Zeit“ erfolgen, heißt es. „Wir haben noch keine Ergebnisse“, räumt Innenministeriumssprecher Renato Gigliotti ein. „Wenn sie am 20. Januar etwas in die Behörden steuern, reagieren die natürlich sofort. Die Umsetzung ist aber eine etwas andere Geschichte.“

Keine homogene Szene

Im Innenministerium geht man bei der Zahl von „Reichsbürgern“ mit Waffenscheinen von einem „niedrigen zweistelligen Bereich“ aus - vorbehaltlich neuer Erkenntnisse. Die Gesamtzahl der „Reichsbürger“ in Südwesten schätzte man vor einiger Zeit auf 650. Inzwischen heißt es: „Das könnten durchaus mehr sein.“ Homogen ist die Szene keinesfalls. Ein internes Papier des Ministeriums listet etliche Gruppen auf - mit vielsagenden Namen wie „Amt Deutscher Heimatbund“, „Deutsches Reich heute“ oder „Exilregierung Deutsches Reich“.

Nachfragen bei einzelnen Waffenbehörden ergaben, dass viele bereits aktiv sind und konkrete Angaben ermittelt haben. In Stuttgart wurden kurz nach dem Erlass vom Ordnungsamt 100 Verdächtige überprüft. Bei der Umsetzung der Ministeranweisung sei allerdings Vorsicht geboten, erklärte ein Mitarbeiter, der namentlich nicht genannt werden wollte. Es gebe die Befürchtung, dass sich bewaffnete „Reichsbürger“ verbarrikadieren und dann sehr gefährlich werden könnten.

Im Landkreis Karlsruhe hat man rund 60 Menschen im Visier. Sechs von ihnen seien waffenrechtlich registriert: Drei hätten einen kleinen Waffenschein und weitere drei eine Waffenbesitzkarte, sagte der stellvertretende Landrat Knut Bühler. „Erst muss geklärt werden, ob die Betroffenen tatsächlich verfassungsfeindliche Bestrebungen haben“, fügte Bühler hinzu.

Auch im Zollernalbkreis hat die Waffenbehörde ihre Hausaufgaben gemacht, jedoch unter den rund 40 in Frage kommenden Personen keine Waffenbesitzer gefunden. Der Landkreis Reutlingen hat unter 60 potenziellen „Reichsbürgern“ einen Waffenbesitzer ausgemacht und ein Verfahren zum Einzug der Waffe eingeleitet. Das Landratsamt Tübingen stieß auf einen „Reichsbürger“ mit zwei Schusswaffen. Ein Verfahren zur Einziehung sei derzeit im Gange hieß es.

Mancherorts haben Waffenbehörden nicht erst auf eine Anordnung von oben gewartet. Nachdem im vergangenen Oktober ein „Reichsbürger“ in Bayern einen Polizisten erschossen hatte, wurden sie von sich aus aktiv.

Waffenarsenal bei 69-Jährigem

So nahm in Freiburg das Amt für öffentliche Ordnung kurz danach einen Abgleich von bekannten Extremisten mit allen Waffenbesitzkarten und Jagdscheinen vor. „Dabei wurden wir auf einen verdächtigen 69-jährigen Jäger aufmerksam“, berichtet Stadtsprecherin Edith Lamersdorf. „Bei einer Hausdurchsuchung im Dezember fand die Polizei ein großes Arsenal von Waffen, die nicht auf seiner Waffenbesitzkarte eingetragen waren.“

Der Fall zeigt, dass Überprüfungen nicht nur Hinweise auf bislang legalen, sondern möglicherweise auch auf illegalen Waffenbesitz durch Extremisten ergeben können. Ob die von bewaffneten „Reichsbürgern“ ausgehende Gefahr über- oder unterschätzt wird, kann aber auch der Verfassungsschutz noch nicht sagen.

Bis November 2016 hatten sich die Geheimdienstler nur mit jenen „Reichsbürgern“ befasst, bei denen konkrete Anhaltspunkte für Rechtsextremismus vorlagen. Inzwischen werde die Gesamtszene beobachtet, sagte Georg Spielberg vom Landesamt für Verfassungsschutz. „Das ist ja alles erst noch im Entstehen, so dass wir die Größenordnung bewaffneter ,Reichsbürger’ noch nicht beziffern können“. Bei der Aufgabe, exakte Angaben zu potenziell bewaffneten „Reichsbürgern“ zu ermitteln, sollen die Kreise Amtshilfe vom Landeskriminalamt und vom Landesamt für Verfassungsschutz erhalten.

Nach der Erfassung des Personenkreises, dem Waffenscheine zu entziehen wären, muss jeweils im Einzelnen die rechtliche Voraussetzung geprüft werden. Dies hält man im Innenministerium allerdings für problemlos. Es genüge bereits der Nachweis, dass sich jemand zu den „Reichsbürgern“ bekannt hat. „Wir haben den Waffenbehörden entsprechende Argumentationshilfen an die Hand gegeben“, sagt Ministeriumssprecher Carsten Dehner. „Reichsbürger“ würden bekanntlich weder die Existenz der Bundesrepublik noch ihrer Gesetze anerkennen. „Und wer ihre Gesetze nicht anerkennt, der hat automatisch nicht die notwendige Zuverlässigkeit für Waffenbesitz.“