Von Hermann Neu

Stuttgart - Die Landesregierung wird im Kampf gegen sogenannte Gefährder einer Verschärfung des Kurses wohl nicht im Wege stehen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) warnte gestern in Stuttgart zwar vor „irgendwelchen aufgeregten Konsequenzen“ wie dem Umbau des gesamten Sicherheitssystems etwa beim Verfassungsschutz. Beim Kampf gegen islamistische Gewalttäter könne man aber „an die Grenze des verfassungsrechtlich Möglichen gehen“.

Nach dem Attentat des aus Tunesien stammenden islamistischen Gewalttäters Anis Amri auf einen Berliner Weihnachtsmarkt mit zwölf Toten mehren sich die Forderungen nach Zentralisierung von Behörden wie dem Verfassungsschutz. Gefordert wird unter anderem eine zentrale Einheit nach dem Vorbild des amerikanischen Geheimdiensts FBI anstelle der Ämter auf Landesebene. Kretschmann sagte dazu, er könne nicht sagen, dass Staaten mit zentralisierten Sicherheitsbehörden erfolgreicher seien. Auf organisatorischem Weg könne mit Absprachen der einzelnen Behörden ohne grundlegenden Umbau viel erreicht werden.

Generell warnte der Chef der ersten grün-schwarzen Landesregierung vor panischen Reaktionen, bevor man über die Umstände des Attentats nicht genau Bescheid wisse. Er hoffe, dass das Vorgehen der Landesregierung, sich nicht an irgendwelchen „wilden Debatten“ zu beteiligen, „stilbildend“ wirke.

Kretschmann signalisierte auch Offenheit der Landesregierung bei der Einführung der elektronischen Fußfessel für Terrorverdächtige. Für die Fahndungsmöglichkeiten der Behörden könne dies aber auch Nachteile haben, weil die Betroffenen wüssten, dass sie beobachtet werden. Gegenüber dem möglichen Ausbau der Videoüberwachung zeigte Kretschmann Offenheit. Bisher gebe es jedoch keine konkreten Anforderungen für zusätzliche Überwachungskameras.

Die Landesregierung will laut Kretschmann weiter auf Vorbeugung setzen. Zudem werde man etwa beim Ausländerrecht schauen, wo auch mit vergleichsweise geringem Aufwand Verbesserungen möglich sind. Als Beispiel nannte der Regierungschef, dass im Südwesten bei Asylsuchenden ohne Pass nicht erst nach dem Abschluss des Asylverfahrens Ersatzdokumente erstellt werden. Beginne dieser Prozess sofort, werde später möglicherweise wertvolle Zeit gewonnen. „Einen Pass braucht man immer, egal ob man abgeschoben wird, oder bleiben kann.“

Kretschmann bekräftigte gleichzeitig den Kurs der Landesregierung, die nordafrikanischen Staaten Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsländer einzustufen. Diese Linie habe die Landesregierung schon vor dem Anschlag in Berlin vertreten. Zuvor habe der Bund zugesagt, dass in diesen Staaten besonders gefährdete Gruppen wie Homosexuelle oder Journalisten ausgenommen sind. Dies sei ein respektabler Kompromiss. Für die Ausweitung sprächen auch die niedrigen Anerkennungsquoten für Asylbewerber aus Nordafrika, die in der Regel unter einem Prozent liegen. Die Ausweisung der Maghreb-Staaten ist bei den Grünen parteiintern heftig umstritten. Im Bundesrat hat sich dafür bislang noch keine Mehrheit gefunden. Länder mit Regierungsbeteiligung von Sozialdemokraten und Grünen stellen sich bislang gegen die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer.

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) hat seiner Partei derweil empfohlen, Gesetzesverschärfungen im Sicherheitsbereich mitzutragen, um Terroranschläge zu verhindern. „Gefährder gehören ins Gefängnis, da kann man auch als Grüner Ja dazu sagen“, sagte Palmer gestern dem SWR. Er hielte es demnach für richtig, wenn die Grünen bei den Vorschlägen der übrigen Parteien mitmachten und gleichzeitig darauf achteten, dass das Pendel nicht zu weit in Richtung Überwachungsstaat ausschlage.