Von Roland Böhm

Heilbronn/Winnenden - Was wollte der Vater des Amokläufers mit seiner Klage gegen die Psychiater seines Sohnes erreichen? Mehr Schadenersatz für die Opfer und Hinterbliebenen der Bluttat vom 11. März 2009, wie es sein Anwalt sagt? Oder wollte er sich aus der Verantwortung stehlen, Millionenforderungen weiterreichen? Letzteres hat er zunächst mal nicht geschafft: Ärzte und Therapeuten des Amokläufers von Winnenden müssen sich nicht am Schadenersatz für die Opfer und Hinterbliebenen der Bluttat mit 16 Toten beteiligen, entscheidet gestern das Landgericht Heilbronn.

Wenige Monate vor dem Amoklauf in einer Realschule in Winnenden bei Stuttgart unterhielten sich die Experten des Zentrums für Psychiatrie mehrfach mit Tim K., dem späteren Amoktäter. Er habe oft Gedanken „andere umbringen zu wollen“, ist in Protokollen festgehalten. Auch von „alle erschießen“ ist die Rede. Er wiederholte die gruseligen Absichten aber in keinem weiteren Gespräch. Eine konkrete Ankündigung für eine Tat hat es somit nicht gegeben, meint das Gericht. Und macht sich die Meinung des jugendpsychiatrischen Gutachters Helmut Remschmidt zu eigen: Es gibt keine denkbare Diagnose, „keine einzige“, die Ärzte ein solches Verbrechen auch nur ahnen lässt. Die Ursache für die Bluttat mit 16 Toten sei allein der freie Zugang zu Waffen im Elternhaus des Täters. Die Tatwaffe lag offen im Kleiderschrank des Vaters, einem passionierten Sportschützen. Das Landgericht Stuttgart verurteilte ihn deshalb später wegen 15-facher fahrlässiger Tötung zu einer 18-monatigen Bewährungsstrafe. Schon damals ließ er sich vom Prozess freistellen, in Heilbronn fehlte er ebenfalls. Offene Reue vermissen Hinterbliebene bis heute. Aber führte der ehemalige Unternehmer die Klage jetzt nur, um mehr Schadenersatz für die Opfer zu erzielen? Das sagt sein Anwalt.

Mehrere Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen sind bereits beglichen: Zwei Millionen Euro flossen von der Versicherung des Vaters an 30 Opfer und Hinterbliebene, 400 000 Euro an die Stadt. Forderungen der Unfallkasse für Heilbehandlungen von Schülern, Eltern und Lehrern über eine Million Euro stehen noch aus. Remschmidt erkennt durchaus Behandlungsfehler der Experten: So hätten die Therapeuten nach den Tötungs-Äußerungen durchaus weiter nachfragen können und vielleicht sogar müssen. Auch nach dem Zugang zu Waffen hätten sie fragen müssen. Zudem seien Tests falsch ausgewertet worden. Unter dem Strich steht aber für das Gericht fest: Selbst perfekte Ärzte hätten die Gefahr, die von dem 17-Jährigen ausging, nicht erkennen müssen.

Selbst wenn die Experten gewusst hätten, dass Tim K. daheim freien Zugang zu Waffen hat, hätte dies „nicht den Rückschluss zugelassen, dass eine Amoktat im Raum steht“, heißt es in einer Mitteilung des Landgerichts. Auch Gisela Mayer, die am 11. März 2009 ihre Tochter Nina verlor, spricht sieben Jahre nach der Tat von einer „Naturkatastrophe, gegen die man machtlos ist“. Sie engagiert sich bis heute in der „Stiftung gegen Gewalt an Schulen“ des Aktionsbündnisses Amoklauf Winnenden.

Die Fehler der Ärzte seien „gravierend genug, um eine Verurteilung des Klinikums und seiner behandelnden Ärzte und Therapeuten zu begründen“, sagt der Anwalt des Vaters, Erik Silcher, am Dienstag. Gut möglich, dass er in die nächste Instanz zieht. Über eine Berufung sei noch nicht entschieden. Silcher verweist aber noch mal auf die hehren Ziele seines Mandanten: Es gehe allein darum, mehr Schadenersatz zu erzielen, welcher dann „allein den Opfern der schrecklichen Amoktat vom 11. März 2009 zugute hätte kommen sollen“.