Von Jürgen Ruf

Freiburg - Blumen, Kerzen und Abschiedsbriefe erinnern am Tatort an das Geschehene. Dazu die Reste eines rot-weißen Absperrbandes der Polizei, das um einen Baum gewickelt ist und wie eine Mahnung wirkt. Der Mord an einer Studentin in Freiburg und die Festnahme eines jungen Flüchtlings haben die Stadt im Südwesten in Unruhe versetzt und sie über Nacht in den Fokus gerückt. Fünf Monate nach der Tat normalisiert sich die Situation. Doch der Mord und die Debatte danach haben Freiburg verändert.

„Freiburg hat einen kühlen Kopf bewahrt“, sagt Ulrich von Kirchbach (SPD), Sozialbürgermeister der Stadt. Mitte Oktober 2016 war nachts am idyllischen Dreisamuferweg, direkt neben dem Stadion des Fußball-Erstligisten Sportclub Freiburg, eine 19 Jahre alte Studentin vergewaltigt und ermordet worden. Sieben Wochen später nahm die Polizei einen Flüchtling fest. Hussein K. war im November 2015 ohne Papiere nach Deutschland gekommen und lebte in Freiburg als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling unter Aufsicht des Jugendamtes bei einer Pflegefamilie.Körperspuren von ihm fand die Polizei am Tatort.

Der Fall löste, noch vor dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember, überregional Debatten über die deutsche Flüchtlingspolitik aus. Hass-Mails von Flüchtlingsgegnern und anderen erreichten massenweise das Freiburger Rathaus, das von Idylle geprägte öffentliche Bild der knapp 230 000 Einwohner zählenden Stadt im Schwarzwald bekam Risse. Das Sicherheitsgefühl verschlechterte sich deutlich, wie Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) feststellen musste.

Polizei und Politik haben reagiert. Die grün-schwarze Landesregierung schickt dauerhaft mehr Polizisten nach Freiburg, die Stadt stellt zusätzlich kommunale Ordnungshüter ein, zudem ist der Ausbau der Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten geplant.

„Ziel ist es, den Menschen in Freiburg wieder ein besseres Gefühl zu geben“, sagt Innenminister Thomas Strobl (CDU). Das subjektive Sicherheitsempfinden in der viertgrößten Stadt im Land habe durch den Mord an der Studentin und durch weitere schwere Straftaten in dieser Zeit stark gelitten.

Hinzu kommt: Freiburg ist seit Jahren die Stadt im Südwesten mit der höchsten Kriminalitätsrate. Rufe nach mehr Polizei für die Stadt waren bei der Regierung in Stuttgart vor dem Mord jedoch ungehört verhallt.

Nicht wesentlich verändert hat sich das Engagement in Freiburg für Flüchtlinge, sagt der Sozialbürgermeister. Einen grundlegenden Stimmungswandel gegen Flüchtlinge in der als linksliberal und weltoffen geltenden Stadt habe es nicht gegeben. „Die Menschen hier sind sehr realistisch mit dem Thema umgegangen und sehen, dass es die Tat eines Einzelnen war“, sagt der SPD-Politiker. Der Mord werde in der Stadt nicht verharmlost, aber eben auch nicht verallgemeinert. Das berichten auch die örtlichen Gruppen der Flüchtlingshilfe.

Gewandelt habe sich das Bild, das viele Menschen von Freiburg haben, sagt der Oberbürgermeister: „Es wurde vielleicht zum ersten Mal in größerem Rahmen sichtbar, dass wir eine ganz normale Großstadt mit leider großstadttypischen Problemen sind.“ Verändert habe sich auch das Verhältnis vieler Menschen zur Polizei. Der Mord an der Studentin habe eine Sicherheitsdebatte ausgelöst und ein Umdenken verursacht. Galt die Polizei in früheren Jahrzehnten häufig als Gegner oder Feindbild, werde sie nun mehrheitlich als Partner und Beschützer wahrgenommen.

„Die Forderung nach mehr Polizei ist heute in Freiburg unbestritten, auch in meiner eigenen Partei“, meint der Grünen-Politiker. „Früher hätte es beim Ruf nach mehr Polizei große Kritik und einen Aufschrei gegeben, weil Freiheitsrechte in Gefahr seien.“ Dies sei nun nicht mehr der Fall. „Die Bürger freuen sich und sind dankbar, wenn es eine deutlich sicht- und spürbare Polizeipräsenz gibt.“

Die Polizei selbst registriert dies an den Reaktionen, sagt Freiburgs Polizeipräsident Bernhard Rotzinger. „Wir haben nach der Festnahme des Tatverdächtigen im Mordfall an der Dreisam eine große Zahl E-Mails von Menschen bekommen, die sich bedankt haben“, sagt er. Frauen schrieben, dass sie nun wieder beruhigt allein zum Joggen gehen könnten. Die Aufklärung des Mords sei für ein besseres Sicherheitsgefühl ein erster, wichtiger Schritt gewesen. Nun gehe es darum, die Alltagskriminalität stärker einzudämmen.

„Mehr Polizei in der Stadt führt mit Sicherheit zu einer höheren Aufklärungsquote von Verbrechen“, hofft der Oberbürgermeister. Unaufgeklärt ist ein weiteres schweres Verbrechen. Drei Wochen nach der Studentin in Freiburg wurde im nicht weit entfernten Endingen eine 27 Jahre alte Joggerin vergewaltigt und ermordet. In diesem Fall gibt es von dem unbekannten Täter, dem auch der Mord an einer jungen Frau im Januar 2014 in Kufstein zur Last gelegt wird, noch immer keine konkrete Spur.