Kunden kaufen im Dorfladen in Jagsthausen ein. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Sönke Möhl

Jagsthausen/Stuttgart - Bäcker und Metzger machen fast gleichzeitig dicht, den Tante-Emma-Laden gibt es schon lange nicht mehr, und der nächste Supermarkt ist kilometerweit weg. Dem kleinen Ort Jagsthausen nördlich von Heilbronn drohte 2011 Verödung und damit das Schicksal vieler Dörfer. Ein paar Jahre später ist die hübsch im Tal der Jagst gelegene Gemeinde mit knapp 1900 Einwohnern Vorbild in Baden-Württemberg. Rund 330 Frauen und Männer betreiben als Genossenschaft einen Dorfladen, der Gewinne abwirft und sogar investieren kann.

Gerda Kunowski packt an einem sonnigen Wintermorgen Gemüse, Fleisch und Brot in ihren Einkaufstrolley. „Ich bin froh, dass ich nicht zum Supermarkt muss“, sagt die 76-Jährige, die ihr ganzes Leben in Jagsthausen verbracht hat. Alleine könnte sie den zwölf Kilometer entfernten Discounter auch gar nicht erreichen. Sie wäre auf ihren Sohn angewiesen. „Hier gibt es alles“, sagt sie, zeigt auf volle Regale und in Richtung des kleines Cafés, das im vergangenen Jahr angebaut wurde, grüßt zum Abschied freundlich, setzt eine Wollmütze auf und macht sich auf den kurzen Heimweg.

Viele Kunden kommen fast jeden Tag, weiß die Leiterin des Dorfladens, Annette Hofmann. Nicht nur zum Einkaufen. Das Geschäft, in dem es wie in einem kleinen Supermarkt fast alles für den täglichen Bedarf gibt, ist auch ein gesellschaftlicher Treffpunkt. Man kennt sich mit Namen, plaudert über das Wetter oder die Gesundheit und tauscht ein paar Neuigkeiten aus. „Der Umgang mit den Kunden ist ganz anders“, sagt die Marktleiterin.

Manche Dorfladenprojekte scheitern. Warum ist die Genossenschaft in Jagsthausen erfolgreich? Weil die Gemeindeverwaltung und die Bevölkerung dahinterstehen, ist Geschäftsführer Ralph Matousek überzeugt. „Ein Controlling ist wichtig und zeigt Schwachpunkte bei der Belieferung, dem Kundenverhalten oder dem Personaleinsatz auf, die existenzielle Auswirkungen haben.“ Als Kämmerer, der für die Gemeindekasse verantwortlich ist, weiß er, wovon er spricht.

Der Abteilungsleiter für die Gründung von Genossenschaften beim Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband, Michael Roth, kennt auch einzelne gescheiterte Projekte. Die Gründe seien unterschiedlich und reichten von der Eröffnung eines Discounters im Ort bis zum Fehlen von Genossenschaftsmitgliedern, die im Vorstand oder Aufsichtsrat Verantwortung übernehmen wollen.

Auch in Jagsthausen gab es anfangs Schwierigkeiten, etwa mit der Preiskalkulation. Nach zwei Jahren suchte sich die Genossenschaft einen neuen Lieferanten. Jetzt gibt es sogar Dividende in Form von Einkaufsgutscheinen. Mit inzwischen mehr als 1,2 Millionen Euro Umsatz im Jahr ist der Dorfladen, der auch eine kleine Postagentur einschließt, der größte unter den genossenschaftlich organisierten in Baden-Württemberg.

Zum Erfolg tragen auch regionale Produkte wie Honig oder Erdbeeren bei. Ein großer Salat- und Gemüseproduzent mit Sitz in Jagsthausen hat seinen Fabrikverkauf in den Dorfladen integriert. Brot und Brötchen liefert ein Bäcker aus einem Nachbarort, Fleisch und Wurst kommen von einem Metzger aus der Region. Zum Umsatz tragen auch Touristen bei. Jagsthausen liegt an einem beliebten Fahrradweg, und im Sommer locken Festspiele in der berühmten Götzenburg, dem letzten Wohnsitz des kürzlich gestorbenen ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, tausende Gäste an. Herzog gehörte als Mitglied der Genossenschaft von Anfang an zu den Unterstützern des Geschäfts, in dem er auch gerne einkaufte.

Dorfläden seien von jeher Treffpunkte in den Dörfern gewesen, unterstreicht der für den ländlichen Raum zuständige Minister Peter Hauk (CDU). „Man trifft sich, man hilft sich und man ist füreinander da.“ Die Landesregierung unterstütze das Überleben dieser Läden.

Zwischen 2012 und 2016 förderte das Land 21 Projekte mit mehr als einer Million Euro. Die Genossenschaft in Jagsthausen bekam für ihre Erweiterung im Jahr 2015 mehr als 39 000 Euro Zuschuss zu den Gesamtkosten von gut 271 000 Euro.

Das Projekt in Jagsthausen ist nach Roths Einschätzung vorbildlich in Baden-Württemberg. Es übertreffe die anderen 23 genossenschaftlichen Dorfläden im Südwesten auch beim Umsatz deutlich. Als untere Grenze der Wirtschaftlichkeit geht der Genossenschaftsverband in der Regel von 250 000 Euro Jahresumsatz aus, im Durchschnitt kämen die Geschäfte auf gut 400 000 Euro. Drei weitere Dorfladengenossenschaften im Südwesten seien in Gründung.

In Einzelfällen rate der Verband aber auch von einer Gründung ab. „Wenn es zu klein gedacht ist, nur die Chancen und nicht die Risiken bedacht sind, dann müssen wir auch mal sagen, dass die genossenschaftliche Rechtsform nicht die passende ist“, sagt Roth. Wichtig sei ein positives Standortgutachten des Handelsverbands. Und das Engagement der Gemeinde.

Genossenschaft

Wenn sich kein Unternehmer findet, um ein Lebensmittelgeschäft in einer kleinen Gemeinde zu betreiben, bietet sich oft die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft (eG) an. Welche Vorteile und Risiken hat das?

Ein Vorteil ist nach Auskunft des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands, dass sich viele Menschen gemeinsam auf unkomplizierte Art an einem Wirtschaftsprojekt beteiligen können. Bei einem Dorfladen werden die Kunden so zu Besitzern des Geschäfts. Das Ein- oder Austreten ist einfach. Wie jedes andere Unternehmen unterliegt eine eG dem wirtschaftlichen Risiko. Ohne ausreichenden Umsatz und Gewinn kann sie nicht bestehen. Nach Angaben des Verbands ist eine eG aber wegen ihrer demokratischen Struktur und gründlicher Prüfungen bei Gründung und während des Betriebs die insolvenzsicherste Rechtsform. Die Zahl der Genossenschaften in Baden-Württemberg hat zugenommen. Sie stieg nach Verbandsangaben in den vergangenen zehn Jahren um 270 auf 830. Alleine im Zuge der Energiewende seien fast 150 Energiegenossenschaften entstanden. Fast 3,5 Millionen Menschen in Baden-Württemberg sind Mitglied einer Genossenschaft, rund 450 000 mehr als vor zehn Jahren.