Der Angeklagte im Gerichtssaal mit seinem Anwalt sowie Justiz- und Polizeibeamten. Foto: dpa Foto: Symbolbild: dpa

Von Birgit Ellinger

Marktoberdorf/Tettnang - Der ältere Herr in der Ecke schaut neugierig auf, als Stephan Vogt den Raum betritt. „Sie kenne ich, Sie waren schon einmal bei uns, oder?“, fragt er vorsichtig. Als Vogt den Mann namentlich begrüßt, erntet er erleichtertes Lächeln. Einmal in der Woche findet in Pfronten ein Treffen für Demenzkranke statt. Hier wird zusammen gesungen, gespielt, Kaffee getrunken und geredet. Vogt, der in Tettnang am Bodensee lebt, besucht regelmäßig solche Treffen im Ostallgäu. „Die Kontaktpflege mit unseren Demenzbegleitern ist wichtig. Außerdem mache ich mir gerne selbst ein Bild davon, welche Anliegen und Bedürfnisse die Betroffenen haben“, sagt der 46-Jährige. Er ist der Demenzbeauftragte des Kreises.

„Wir wissen, wie wichtig bei der Diagnose Demenz frühe Beratung und konkrete Unterstützung vor Ort sind“, sagt die Ostallgäuer Landrätin Maria Rita Zinnecker (CSU). Deshalb habe der Landkreis - den Angaben zufolge als erster in Bayern - ein Demenzkonzept entwickelt und für dessen Umsetzung einen Beauftragten bestellt.

„Geschaffen wurden unser Demenzkonzept und die Stelle, um direkt in den Gemeinden zu helfen, denn dort leben die Demenzkranken. Dort gehen sie zum Bäcker, zum Arzt, zum Wertstoffhof.“ Das Konzept trage den Titel „Einfach dazugehören“ - das sei das Ziel. Nach Angaben des Bayerischen Landkreistages gibt es inzwischen auch in anderen Landkreisen ähnliche Angebote. Ob die Ostallgäuer die ersten waren, sei nicht bekannt.

Vogt steht im engen Kontakt zu Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, ambulanten Diensten, ehrenamtlichen Nachbarschaftshilfen und Gemeinden. Er berät und begleitet sie bei ihrer Arbeit mit Demenzkranken und deren Angehörigen. Und er sorgt dafür, dass sie zusammenwirken und dadurch das Netz der Kontaktstellen eng gespannt wird. „Gerade in den Städten gibt es schon sehr viele Projekte und Angebote. Da müssen wir Orientierungshilfe geben und dafür sorgen, dass die Möglichkeiten auch bei den Bürgern vor Ort ankommen. Und wir müssen noch weiter in die Fläche kommen“, sagt er.

Vogts Vision ist, in den Dörfern wieder eine Gemeindeschwester einzurichten. „So ein Gesicht vor Ort ist wichtig. Eine Person, die meine Sprache, meinen Dialekt spricht - das schätzen die Leute sehr.“ Auch das Thema selbstbestimmtes Wohnen für Demenzkranke steht ganz oben auf Vogts Agenda. Etwa durch den Ausbau ambulant betreuter Wohngemeinschaften. Dieses geförderte Konzept passe gut in den ländlichen Raum. „Die Menschen wollen da bleiben, wo sie aufgewachsen sind. Dafür müssen die Voraussetzungen geschaffen werden.“ Institutionen wie Pflegeheime oder Krankenhäuser würden bei vielen das Gefühl von Ohnmacht auslösen.

Der Familiengesundheitspfleger hat die mit EU-Mitteln geförderte Koordinations- und Vermittlungsrolle im Ostallgäu seit November inne. Vorher war er im Bezirkskrankenhaus in Memmingen tätig und hat verschiedene Projekte im Bereich der Demenzhilfe betreut. Erste Begegnungen mit der Krankheit hatte er während des Zivildienstes. „Die Gespräche mit einem alten Mann waren ein prägender Moment für mich. Seine Art, aus seiner Jugendzeit zu erzählen als sei es gestern gewesen, hat mich damals sehr berührt.“ Zu Vogts Aufgaben zählt auch, die Sensibilität für die Krankheit zu stärken, von der immer mehr Menschen betroffen sind.

„Wir müssen Demenzbetroffene als Teil der Gemeinschaft sehen. Die Krankheit betrifft jeden von uns. Jeder kann aus der Familie oder aus der Nachbarschaft etwas darüber berichten“, sagt er.

Vogt hat seine demenzkranke Mutter gepflegt. Diese Erfahrung helfe ihm bei seiner Arbeit. „Mir als Profi ging es damals genauso wie anderen Angehörigen. Ich habe erst sehr spät erkannt, dass meine Mutter dement ist.“ Auch über die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Pflege habe er damals viel gelernt, sagt der vierfache Vater. „Ich habe versucht, alles an Hilfe zu aktivieren, was möglich war.“

Deutschlandweit gibt es 1,5 Millionen Menschen mit Demenzerkrankungen, die meisten haben Alzheimer. Demenz ist ein Sammelbegriff für viele Krankheiten, die in der Regel bei älteren Menschen auftreten. Gemeinsam ist ihnen der fortschreitende Untergang von Nervenzellen im Gehirn. Geistige Fähigkeiten, Sprache und Motorik lassen nach, die Betroffenen können den Alltag bald nicht mehr bewältigen. Die Ursachen sind weitgehend unbekannt.