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Von Bettina Grachtrup

Stuttgart - Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg kommt auf den letzten Drücker: Kurz vor der dritten Sammelabschiebung nach Afghanistan am Mittwochabend entscheiden die Richter in Mannheim, dass ein Mann mit türkischer und afghanischer Staatsangehörigkeit zunächst nicht nach Kabul zurückgebracht werden darf. Die Auswirkung der Abschiebung auf seine zwei minderjährigen Kinder in Deutschland - der 14 Jahre alte Sohn ist laut Gericht schwerbehindert - sei nicht ausreichend geprüft worden.

In der bundesweit einzigen grün-schwarzen Koalition auf Landesebene führt das zu Verwerfungen. Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Uli Sckerl hält Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) „katastrophale Pannen“ bei der Auswahl von abgelehnten Asylbewerbern für die Abschiebung nach Afghanistan vor. Denn vereinbart haben Grüne und CDU eigentlich, dass vorrangig Straftäter und alleinlebende Männer auf die Liste gesetzt werden können. Von den 18 Männern, die nun nach Kabul abgeschoben worden sind, kamen vier aus dem Südwesten.

Thema gehört zur DNA der Partei

Schleswig-Holstein und andere rot-grün regierte Bundesländer beteiligen sich derzeit nicht an Abschiebungen nach Kabul. Die Grünen-Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt, lobt dies ausdrücklich. Viele Grünen-Mitglieder sind in der Flüchtlingsarbeit engagiert. Das Thema gehört quasi zur DNA der Partei. Auch in der Grünen-Landtagsfraktion in Stuttgart hat es Forderungen gegeben, die Abschiebung von Afghanen auszusetzen. Dann hat sich die Fraktion entschieden, die Linie von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zu unterstützen, der die Bundesregierung auffordert, die Sicherheitslage in dem Land neu zu bewerten.

Die Bundesländer können Abschiebungen aussetzen, aber nicht auf Dauer. Für Kretschmann ist das kein Thema. Er sagt, dass ein Bundesland einen Spielraum bei der Auswahl der abzuschiebenden Menschen habe - nicht beim Zielland, denn das sei Sache des Bundes. Doch diese Erklärung ist für viele Menschen an der Grünen-Basis nicht nachzuvollziehen. Es bleibt eine Diskrepanz zwischen dem, was Regierungs-Grüne etwa im Südwesten zusammen mit der CDU machen, und dem, was viele Mitglieder eigentlich für geboten halten. Grünen-Spitzenleute räumen ein, dass sich das auf Dauer zum Problem entwickelt. Da müsse es eine Lösung geben.

Offensichtliche Pannen wie bei dem eigentlich zur Abschiebung vorgesehenen Familienvater nähren den Verdacht der Gegner, dass es mit den versprochenen sorgfältigen Einzelfallprüfungen nicht weit her ist. Über alledem bleibt das Bild, dass bei dem Thema bei den Grünen quer durch Deutschland ein großes Durcheinander herrscht.

Experte sieht Riesenkluft

Der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider erinnert daran, dass sich die Regierungs-Grünen im Land bei der inneren Sicherheit insgesamt pragmatischer verhalten als ihre Kollegen im Bund. Ansonsten könnte ihnen im Bundestagswahlkampf leicht vorgeworfen werden, mit schuld an den Sicherheitsproblemen in Deutschland zu sein. „Aber ein Problem ist, dass es eine Riesenkluft gibt zwischen dem Verhalten der Grünen auf Bundesebene, die stärker ideologisch geprägt sind, und dem Verhalten von Grünen in den Ländern.“ Im Bundestagswahlkampf könne das schwierig werden. „Die politischen Gegner könnten darauf verweisen, dass die Grünen bei dem Thema nicht einheitlich agieren und nicht wissen, wohin sie wollen.“

Der islamistische Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 mit zwölf Toten habe die gesamte politische Agenda verschoben - Sicherheitsthemen werden nach Brettschneiders Einschätzung deshalb auch den Bundestagswahlkampf dominieren. Die innere Sicherheit samt Abschiebungen sei zwar kein Thema, bei dem die Grünen viele Wählerstimmen hinzugewinnen könnten. „Aber sie müssen verhindern, dass es ein Thema wird, wegen dem sie verlieren.“