Ute Vogt in ihrem Wahlkreis Stuttgart, hier mit dem Grünen-Politiker Cem Özdemir. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Mitleid habe sie nicht mit Nils Schmid, das sei das falsche Wort. Aber Vogt weiß genau, wie es sich anfühlt. Auf Erheiterung über die Prognose von 30 Prozent für die SPD im Bund erwidert sie: „Da muss man nicht lachen.“

Von Ulrike Bäuerlein

Stuttgart - Ihr Lachen hat sich nicht verändert. Es ist laut, ansteckend und herzlich, die Augen strahlen wie früher. 15 Jahre ist es her, dass dieses Strahlen der damals 36-jährigen Badenerin die Hoffnung der SPD in Baden-Württemberg war. Damit wollte die SPD die zementierte CDU-Herrschaft aufbrechen und den damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel aus dem Amt jagen. Es wurde nichts draus. Ute Vogt holte zwar 33,3 Prozent, ein Ergebnis, das die SPD davor und danach nie wieder hatte und mit dem sie bei der Landtagswahl vor sechs Wochen stärkste Partei geworden wäre. Aber damals reichte es bei weitem nicht. 2006 versuchte sie es noch einmal als Spitzenkandidatin im Land, gegen Günther Oettinger, aber die SPD fiel auf 25,2 Prozent. Ute Vogt, obwohl im Landtag als Fraktionschefin gewählt, galt als erledigt.

Zumindest für diejenigen in der SPD, vor allem einige Platzhirsche in der Landtagsfraktion, die sie von Anfang an hinter den Kulissen bekämpft hatten. Von den Grabenkämpfen zermürbt trat Vogt später zurück - erst als Fraktionsvorsitzende, später als Landesvorsitzende. Schon wollte sie der Politik ganz den Rücken kehren - bis die Stuttgarter SPD anfragte. 2009 ließ sich Vogt für den Wahlkreis Stuttgart I über die Landesliste wieder in den Bundestag wählen, dorthin, wo ihre politische Laufbahn 1994 begonnen hatte, 2013 wurde sie wiedergewählt. Seitdem hat sie sich freigemacht von den Erwartungen anderer, sich neue Themen - Umwelt, Atom, Reaktorsicherheit, Endlagersuche - und damit einen guten Ruf erarbeitet, sie ist Fraktionsvize ihrer Partei im Bundestag. Bei der Landes-SPD ist sie als Bundestagsabgeordnete kooptiertes Mitglied, in Stuttgart ist sie heimisch geworden und will hier bleiben. Ansonsten verdächtigt sie niemand mehr, noch etwas werden zu wollen oder zu müssen. Die SPD-Politikerin Ute Vogt ist 51 Jahre alt und frei, zu sagen, was sie denkt.

Manche der Genossen von damals, die Vogts Vertreibung aus der Landespolitik mitbetrieben, sind gerade wieder in den Landtag gewählt worden. Und manche aus dieser Rumpf-Fraktion fordern auch jetzt wieder Köpfe: den des gescheiterten Spitzenkandidaten Nils Schmid und den seiner Generalsekretärin Katja Mast gleich dazu. 12,7 Prozent - ein historisches Debakel, und das, obwohl die SPD mitregierte und mit Schmid den amtierenden Wirtschafts- und Finanzminister sowie stellvertretendem Regierungschef ins Rennen schickte. Nicht auszudenken, was Ute Vogt mit einem solchen Ergebnis geblüht hätte in ihrer Partei, erst recht in der Fraktion.

Mitleid habe sie nicht mit Nils Schmid, das sei das falsche Wort, sagt Vogt in ihrem Abgeordnetenbüro am Stuttgarter Wilhelmsplatz, nur wenige Hundert Meter vom Landtag entfernt. Aber sie weiß genau, wie es sich anfühlt. „Man will unbedingt wieder gut machen, was man mitverantwortet hat“, sagt sie auf die Frage, warum es so schwer ist, nach einer Niederlage einfach zurückzutreten. „Aber ein neuer Kopf“, sagt sie, würde das Problem in der Landes-SPD nicht lösen. „Fast die gleichen Leute, die heute den Rücktritt von Nils fordern, haben das bei mir damals auch gefordert. Und ich habe nun wahrlich ein völlig anderes Profil. Mein Weggang hat aber nicht dazu geführt, dass die Partei danach besser dastand.“

Die SPD in Baden-Württemberg brauche keine Personaldiskussion - „die ist auch nur legitim, wenn man für eine Person redet, nicht gegen eine“ - sondern vor allem eine neue Form der Zusammenarbeit. Da sei Nils Schmid als Landesvorsitzender auf einem guten Weg mit dem Aufarbeitungsprozess, den er jetzt in allen Kreisverbänden diskutiere. Vor allem brauche die Partei eine inhaltliche und strukturelle Erneuerung. „Ganz am Ende des Prozesses kann eine andere Person stehen, aber es kann auch Nils Schmid sein“, sagt sie.

Und wie ist es mit der SPD im Bund? Die Sozialdemokraten regieren mit, aber sie sind bis zur Unkenntlichkeit gepresst in die Handlungszwänge einer Großen Koalition. Es gibt nicht wenige, die ihnen bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 das gleiche Schicksal voraussagen wie der SPD in Baden-Württemberg: deutlich unter 20, vielleicht sogar 15 Prozent, weiter weg von der Volkspartei denn je. „Die 30 Prozent, die Thomas Oppermann ausgegeben hat, halte ich für ein realistisches Ziel“, beziffert Ute Vogt, wo sie die SPD im Bund sieht. Und auf Erheiterung über diese Prognose reagiert sie nicht verärgert, sondern sagt ernsthaft: „Da muss man nicht lachen.“

Wie sie dann den Glauben an ihre Partei begründet, Fehler analysiert und Möglichkeiten aufzeigt, gibt es viele Parallelen zwischen Land und Bund. Aber nur wenige zu der fröhlichen, unbekümmerten Ute Vogt des Jahres 2001. Dass die SPD zu taktisch geworden sei, zu sehr nach Zielgruppeninteressen und Umfragewerten geschielt habe. Dass sie aus den Augen verloren habe, was Sozialdemokratie und deren Stärke immer ausgemacht habe. Klare Haltung, klare Werte. Kampf für soziale Gerechtigkeit, für Bildung und Chancengleichheit, für Schwache und Unterdrückte. Auch: für das friedliche Zusammenleben der Menschen und die Chance auf ein menschenwürdiges Dasein, nicht nur in Europa. „Erfolgreich waren wir immer dann, wenn wir nicht einzelne Zielgruppen im Auge hatten, sondern eine Idee davon hatten, was die Gesellschaft als Ganzes voranbringt“, sagt Ute Vogt.

Bei der Erbschaftssteuer etwa sei es eindeutig, was sozialdemokratisch sei: „Dass derjenige, der ohne Eigenleistung etwas erbt, das auch entsprechend versteuert.“ Nils Schmid sei als Wirtschaftsminister da den Unternehmen und dem Mittelstand entgegengekommen. „Das kam nicht gut an bei unseren Leuten.“ Die SPD müsse wieder Position beziehen. „Auch, wenn Teile der möglichen Wähler eine andere Meinung haben.“

Für den Bund ist Vogt nicht bang, weil die SPD dort weiter sei als in Baden-Württemberg. In der Bundestagsfraktion, die 2013 junge, unverbrauchte Köpfe dazubekam, sei das Bewusstsein da, dass eine Regierungsbeteiligung kein Argument für den Wähler ist, sagt Vogt. „Wer Fehler macht, wird abgewählt. Aber wer alles richtig macht, wird deswegen nicht automatisch gewählt. Wir müssen uns deutlicher äußern, auch in den Streit gehen“, sagt Vogt. Gabriels Forderung, im Wahlkampf hinzugehen, wo es stinkt und kracht, kommt ihr entgegen. Schließlich ist sie nicht nur Sozialdemokratin, sondern auch immer noch leidenschaftliche Motorradfahrerin.