Der Landeschef der Freien Wähler, Wolfgang Faißt, freut sich über das Treffen von Wolfgang Grupp und Winfried Kretschmann (von links). Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Oliver Stortz

Esslingen - Ein paar vertrauliche Sätze, getuschelt im Vorbeigehen: Das Wahlergebnis gebe ihm ja recht, hört man Wolfgang Grupp schäkern. Ein Händedruck. Dann gehen der Trigema-Chef und der Ministerpräsident wieder getrennter Wege. Kurz vor der Landtagswahl hatte der bekennende Konservative überraschend eine Wahlempfehlung für Winfried Kretschmann abgegeben. Die scheinbar zufällige Begegnung am Samstag ist nun die erste der beiden ungleichen Männer nach dem Triumph des Grünen am 13. März. Eingefädelt haben das Aufeinandertreffen - in einem kleinen logistischen Kraftakt - die Freien Wähler, die in der Osterfeldhalle in Esslingen-Berkheim den 60. Geburtstag ihres Landesverbands feiern.

Kretschmann, nach seinem Grußwort schon hastig auf dem Sprung nach Ludwigsburg zur Verleihung des Landesverdienstordens, trifft im Foyer auf Grupp, der die Festrede halten soll und gerade erst mit seinem Hubschrauber nebenan auf dem Sportplatz Holzäcker gelandet ist. Wolfgang Faißt, Landeschef der Freien Wähler, strahlt sichtlich zufrieden über den kleinen Coup.

Stachel im Fleisch der Regierenden

Reichlich Prominenz und ein Prise Glamour - bei den Parteilosen geben sich die Gratulanten die Klinke in die Hand. Fürs Staatstragende ist Kretschmann zuständig; er lobt die Wählervereinigungen als „starke Stimme der Vernunft, der Besonnenheit und des pragmatischen Fortschritts“. Als stärkste Kraft in den Gemeinderäten im Südwesten hätten sie großen Anteil am gewachsenen Miteinander des Landes und der Kommunen. Die Freien Wähler seien ja keine Partei und wollten es auch nicht werden, sagt Kretschmann. „Darüber bin ich nicht unglücklich“, schiebt er keck hinterher. Die Lacher hat er auf seiner Seite; das Bekenntnis hat eine gewisse Tradition: Schon die bis 2011 dauerregierende CDU empfand eine Landtagswahlteilnahme der überwiegend bürgerlich geprägten Freien Wähler über Jahrzehnte als Damoklesschwert.

Auch wenn Grün-Schwarz noch nicht besiegelt ist, verspricht Kretschmann namens der künftigen Regierung schon mal, den Dialog mit dem Landesverband fortzusetzen. Zu besprechen gibt es da aus Sicht der Freien Wähler einiges: Kretschmanns schulterzuckende Aussage zum Beispiel, das Land sei in der Flüchtlingspolitik gemeinsam mit den Kommunen „am Ende der Wirkungskette“. Das wollen viele nicht gelten lassen - sie pochen für ihre Gemeinden auf mehr finanzielle Unterstützung für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen vom Land. Auch Esslingens Landrat Heinz Eininger (CDU), in der Flüchtlingspolitik immer wieder auf Distanz zur Landesregierung, haut in seinem Grußwort in diese gleiche Kerbe. Doch Kretschmann ist da längst nicht mehr da.

Für den Landesvorsitzenden der Freien Wähler, der in Berkheim ein Jahr nach seiner Wahl seine erste Grundsatzrede hält, steht das „Zukunftsland Baden-Württemberg“ vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen: die Digitalisierung, die alle Lebensbereiche von der Verkehrsplanung bis hin zur Gesundheitsversorgung erfasse, das Bildungssystems, wo die Gemeinschaftsschule jetzt gleichberechtigt mit anderen Schularten weiterentwickelt werden müsse, die direkte Demokratie, die die Kommunalverwaltung nicht immer einfacher und effektiver mache. Und nicht zuletzt der demografische Wandel: „Wir werden langsam weniger, schneller älter und rasant bunter“, attestiert Faißt und sieht die Städte und Gemeinden vor einem Spagat zwischen Familienpolitik, Sozialpolitik und Integrationspolitik.

Glamour kommt von Grupp

Der Renninger Bürgermeister setzt die kommunale Daseinsvorsorge in den großen Kontext und wandelt dabei auf dem Grat, die Interessen der örtlichen Wählervereinigungen aus den kleinen Gemeinden, wo die Freien Wähler besonders erfolgreich sind, mit denen aus den großen Städten unter einen Hut zu bringen, wo sie endlich erfolgreicher werden wollen.

Für den Glamour ist schließlich Grupp zuständig. Im Zweireiher doziert der Burladinger Textilfabrikant über Unternehmer („viele dem Größenwahn verfallen“), Familie („wer keine hat, wird automatisch zum Egoisten“), Verantwortung („zurück zu den Prinzipien des ehrbaren Kaufmanns“) und sich selbst („Kapitalist“). Was Grupp über die Freien Wähler weiß, behält er für sich. In seiner Festrede kommen sie nicht vor. Oder doch?

Mal derb, mal schrill, nicht immer politisch korrekt, aber stets kurzweilig, zeichnet der 74-Jährige mit dem Hang zum exzentrischen Auftritt ein Bild von Baden-Württemberg als Erfolgsland. Warum er hier im Südwesten produziere? „Weil die Menschen hier noch normal sind“, sagt Grupp. Da fühlen sich die Parteilosen, die sich ihrer Bodenständigkeit stets gerne brüsten, einfach mal gemeint.