Archivfoto: Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut im Gespräch mit EZ-Chefredakteur Gerd Schneider Foto: Bulgrin - Bulgrin

Esslingen - Es war eine Überraschung: Die Ernennung von Nicole Hoffmeister-Kraut zur Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau sorgte für viele verwunderte Gesichter. Die 44-jährige politische Quereinsteigerin ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin, arbeitete für Ernst&Young als Analystin und war Aufsichtsrätin des Waagen-Herstellers Bizerba. In die CDU trat die dreifache Mutter erst 2009 ein. „Sie wird abgehen wie eine Rakete“, prophezeite Innenminister Thomas Strobl. Nach einem Jahr im Amt hat Hoffmeister-Kraut noch immer Lust auf Politik, manches nervt sie aber auch.

Auf der Homepage der CDU-Fraktion steht unter Ihrem Profil der Satz: „Nur wer selbst brennt, kann Feuer in anderen entfachen.“ Nach einem Jahr als Wirtschaftsministerin: Brennen Sie noch?

Hoffmeister-Kraut: Diesen Satz hat mein Vater immer verwendet. Und ja, ich brenne noch. Ich habe viele Ideen und Vorstellungen , die ich umsetzen will. Und als Ministerin habe ich durchaus viele Gestaltungsmöglichkeiten. Die Arbeit macht mir viel Freude.

Sie kommen aus der Wirtschaft, sind erst 2009 der CDU beigetreten. Gibt es denn etwas, das Sie so richtig nervt am Politikbetrieb?

Hoffmeister-Kraut: Manches geht mir zu langsam. Der politische Abstimmungsprozess ist oft langwierig. Wenn etwas in der Sache klar ist, dann möchte ich das auch umsetzen. Das geht im politischen Prozess oft nicht so schnell. Entmutigen lasse ich mich dadurch aber nicht.

Ministerpräsident Kretschmann bindet die großen, publikumswirksamen Automobilthemen gerne an sich. Was bleibt für die Wirtschaftsministerin übrig?

Hoffmeister-Kraut: Alles rund um das Automobil ist natürlich essenziell für Baden-Württemberg. Ich bin im engen Austausch mit der Automobilindustrie und setze beispielsweise mit dem einberufenen Transformationsbeirat auch eigene Initiativen um. Die großen Themen in der Wirtschaftspolitik sind die Digitalisierung und die Elektromobilität. Aber auch die Stärkung der dualen Ausbildung und der Wohnungsbau liegen mir am Herzen. Die duale Ausbildung ist ein absoluter Wettbewerbsvorteil für Deutschland. Und ich treibe Nischen-Themen wie die Förderung von Startups voran, die dadurch plötzlich viel größere Aufmerksamkeit erfahren.

Kretschmann begleitete Sie auch nach Israel, dort haben Sie sich die Startup-Szene angeschaut. Erklärtes Ziel der Landesregierung ist es, die Gründertätigkeit in Baden-Württemberg zu erhöhen. Wie gelingt das?

Hoffmeister-Kraut: Gründer schaffen die Arbeitsplätze von morgen. Es werden neue Ideen geboren, die sich dann weiterentwickeln. Wir wollen die Szene noch mehr unterstützen und haben eine Microcrowd-Finanzierung entwickelt. Sie kombiniert ein Darlehen der L-Bank mit einer crowd-basierten Finanzierung. Im Juli wird es einen Startup-Gipfel geben, dort werde ich unsere neue Gründerinitiative vorstellen, zu der auch ein neuer VentureCapitalFonds zählt.

Gestern fand ein Automobilgipfel in Stuttgart statt. Wie steht Baden-Württemberg im Bereich Elektromobilität und Konnektivität da?

Hoffmeister-Kraut: Das Treffen hat gezeigt, dass wir da auf einem guten Weg sind und unsere Branche die Themen mit Milliarden-Investitionen vorantreibt. Wir brauchen aber eine Parallelstrategie, um schnell unsere Klimaschutz- wie Luftreinhalteziele zu erreichen: nämlich die Optimierung des Verbrennungsmotors bei gleichzeitigem Ausbau der Elektromobilität. Und klar ist auch: Wir kriegen nur mehr E-Autos auf die Straße, wenn auch die Infrastruktur stimmt. Deshalb werden wir als Land in den nächsten Jahren 2000 neue Ladesäulen aufstellen.

Auf Bundesebene wurde das Ziel von einer Million E-Autos bis 2020 wieder kassiert. Warum geht der Ausbau der Elektromobilität nur schleppend voran?

Hoffmeister-Kraut: Der Markt und die Technologie müssen sich entwickeln. Das muss ineinandergreifen, deshalb kann niemand sagen, wie schnell es vorangeht. Daimler-Chef Dieter Zetsche vergleicht den Wandel hin zur Elektromobilität mit einer umgedrehten Ketchup-Flasche: Irgendwann kommt etwas raus, man weiß nur nicht wann und wie viel.

Hätten die Autohersteller die Ketchupflasche nicht schon viel früher umdrehen müssen?

Hoffmeister-Kraut: Die Unternehmen, die diese Forschung und Entwicklung aus eigener Kraft finanzieren, haben diesen Prozess eng beobachtet und sind jetzt auch zum richtigen Zeitpunkt eingestiegen. Man muss am Ende des Tages auch Geld verdienen. Die Entwicklung der Elektromobilität wird mit dem Verbrennungsmotor querfinanziert. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten hat man sich vernünftig verhalten.

Hier in der Region hängen viele Jobs am Verbrenner. Die Angst geht um, dass durch die Elektrifizierung auch viele Arbeitsplätze in Gefahr sind. Ist diese Angst berechtigt?

Hoffmeister-Kraut: Wir sind mitten im Transformationsprozess, wichtig ist, dass wir diesen Prozess gestalten und uns nicht treiben lassen. Deshalb gibt es auch eine enge Abstimmung mit Autoherstellern und Zulieferern. Der Wandel muss mit Maß und Ziel erfolgen, es soll ein evolutionärer und kein revolutionärer Prozess werden

Das heißt für die Arbeitsplätze?

Hoffmeister-Kraut: Nimmt man den Arbeitseinsatz für den elektrischen Antrieb, dann herrscht dort in der Tat ein Verhältnis von 1:7 zum Verbrennungsmotor. Aber der Motor ist ja nur ein Teil des Automobils.Durch diesen Strukturwandel können auch ganz neue Beschäftigungspotenziale entstehen

In welchem Bereich denn zum Beispiel?

Hoffmeister-Kraut: In der Batterieproduktion. Die Technologie ist eine Kernkompetenz für den elektrischen Antrieb, da werden Arbeitsplätze der Zukunft geschaffen. 30 bis 40 Prozent der Wertschöpfung am Gesamtfahrzeug werden mit der Batterie erreicht. Die Batterie-Zelle nimmt hierbei 70 bis 80 Prozent der Wertschöpfung ein. Dieses Potenzial dürfen wir nicht alleine den Asiaten überlassen. Bei einer der wichtigen Zukunftstechnologien muss es unser Anspruch sein, diese selbst zu beherrschen. Der Aufbau einer deutschen Batteriezellenproduktion ist deshalb von entscheidender Bedeutung auch für den Standort Baden-Württemberg. Im Bereich der wirtschaftsnahen Forschung haben wir schon viel investiert, jetzt müssen wir gemeinsam mit der Wirtschaft den nächsten Schritt gehen.

VW-Skandal, Feinstaubalarm und nun drohende Fahrverbote: Der Ruf des Diesels steht nicht zum Besten. Sie warfen Ihrem grünen Kabinettskollegen Winfried Hermann Diesel-Bashing vor. . .

Hoffmeister-Kraut: Die Fahrzeuge unserer Hersteller erfüllen die aktuell geltenden gesetzlichen Vorschriften. Was wir benötigen, ist ein konstruktiver, gemeinsamer Dialog. Ich setze auf Nachrüstung und technologischen Fo rtschritt - und nicht auf Fahrverbote und das Schlechtreden einer Technologie. Das schadet dem Standort Baden-Württemberg, unseren Unternehmen und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Sie sehen also eine rosige Zukunft für den Diesel?

Hoffmeister-Kraut: Es geht darum, anzuerkennen, dass wir den Verbrennermotor als Übergangstechnologie noch viele Jahre brauchen werden. Dabei werden die Motoren ständig weiterentwickelt und immer sauberer. Aber klar: Es wird auf lange Sicht alternative Antriebsarten geben, die Elektromobilität wird wachsen.

Sie sind Mutter von drei minderjährigen Töchtern. Das Amt der Wirtschaftsministerin kostet sehr viel Zeit. Wie ist das für Sie vereinbar?

Hoffmeister-Kraut: Es ist eine Herausforderung und nicht immer einfach. Ich mache meine Arbeit sehr gerne und versuche, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.

Und wie gelingt das?

Hoffmeister-Kraut: Unter der Woche ist der Terminkalender voll, da geht es quasi von morgens bis in die Nacht hinein. Ich versuche, meine Kinder morgens in die Schule zu bringen. Mir ist es wichtig, dass wir zumindest morgens zusammen frühstücken. Ab und an versuche ich auch, schon um 20 Uhr zuhause zu sein. Und am Wochenende überlege ich mir genau, welche Termine ich wahrnehme und welche nicht. Manchmal passieren ungeplante Dinge, da muss ich mir spontan Zeit nehmen. Eine meiner Töchter musste vergangene Woche beispielsweise zum Arzt.

Die Fragen stellte Sabrina Erben.

Nicole Hoffmeister-Kraut

Nicole Hoffmeister-Kraut ist 1972 in Balingen geboren. Von 1992 bis 1998 studierte sie BWL an der Universität Tübingen, anschließend promovierte sie an der Universität Würzburg. Von 2002 bis 2005 arbeitete sie als Analystin bei Ernst & Young, London und Frankfurt. Seit 12. Mai 2016 ist sie Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau. Seit 1998 ist Hoffmeister-Kraut Gesellschafterin des Waagen-Herstellers Bizerba, der sich in Besitz der Familie Kraut befindet. Von 2014 bis 2016 war sie dort Mitglied des Aufsichtsrates.

Hoffmeister-Kraut trat 2009 in die CDU ein und wurde Mitglied des Gemeinderats der Stadt Balingen. Von 2014 an war sie Mitglied im Kreistag des Zollernalbkreises. Aus beiden Gremien schied sie anlässlich ihrer Ernennung zur Ministerin aus.

Hoffmeister-Kraut ist verheiratet und hat drei Töchter im Alter von neun, elf und vierzehn Jahren.