Von Susanne Kupke

Karlsruhe - Die Nabelschau missfällt Emil. Der neun Tage alte Winzling läuft rot an. Er gibt alles, damit sein Protest gehört wird. Hebamme Frauke Jünger besänftigt ihn. Noch Herztöne messen. Dann legt sie den Kleinen in die Tasche für die Federwaage - und Ruhe ist. Dort ist es gemütlich, fast wie in Mamas Bauch. Emils winzige Beinchen schauen entspannt hervor. 3680 Gramm. Die Hebamme ist zufrieden. Sie plaudert mit Emils Mutter, zeigt ihr, wie sie den Rest Käseschmiere von der Geburt mit Öl entfernt, damit der Säugling nicht wund wird. „Insgesamt alles soweit in Ordnung“, beruhigt Frauke Jünger die Eltern.

Ein ganz normaler Nachsorgeeinsatz in Ettlingen im Kreis Karlsruhe. Nur dass es solche Hebammen-Dienstleitungen nicht mehr für jede junge Familie gibt. „Wir müssen momentan neun bis zehn Frauen pro Woche ablehnen, die anrufen“, sagt Frauke Jünger. Ihre Zweierpraxis ist Ende April schon bis in den November hinein ausgebucht. Jede Absage tut ihr leid. Doch die 44-Jährige arbeitet schon so oft zehn Stunden am Stück. Manchmal auch mehr. „Mehr geht nicht.“

Kein Einzelfall, sagt der Deutsche Hebammenverband. Vielen der bundesweit 20 000 Hebammen gehe es ähnlich. Laut einer Umfrage des Verbandes haben die meisten mehr Anfragen für Wochenbettbetreuungen, als sie annehmen können. Fast zwei Drittel müssen pro Monat im Schnitt bis zu fünf Frauen ablehnen.

Die AOK reagiert auf solche Zahlen zurückhaltend: „Sollten sich Versicherte bei uns melden, sind wir gerne bereit, bei der Suche nach einer Hebamme behilflich zu sein“, sagt ein Sprecher. Ein konkreter Fall sei aber nicht bekannt. Die AOK sieht Hebammen und Kassen bei Geburtshilfe, Schwangerenvorsorge und Nachsorge gemeinsam in der Pflicht.

Personalabbau und Arbeitsverdichtung in den Kliniken, immer mehr zu tun und zunehmende Hürden für freiberufliche Hebammen sind aus Sicht des Hebammenverbandes auf Dauer frustrierend. Solche Arbeitsbedingungen vergraulen auch den Nachwuchs. Das ist der Grund, warum es für Frauke Jünger und ihre Kolleginnen nicht leichter wird. „Hebammen brauchen bessere Rahmenbedingungen“, fordert Verbandspräsidentin Martina Klenk fast schon gebetsmühlenartig.

Zwar ist es Hebammen gelungen, nach jahrelangem Streit den mächtigen Krankenkassen erfolgreich mehr Geld abzutrotzen - ein Teil der massiv gestiegenen Kosten für die Berufshaftpflichtversicherung wird nun ausgeglichen. Doch das ist laut Klenk „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“.

„Hebammen geraten im medizinischen System zwischen die Stühle“, sagt Manuela Rukavina, die Vorsitzende des Landesfrauenrats. „Wir sehen das mit Sorge.“ Auch den Mechanismus dahinter: „Es ist typisch, dass Frauenberufe nicht gut vergütet werden.“ Dass am Ende darunter Schwangere und junge Mütter leiden, findet sie besonders schlimm. „Wir sind so ein reiches Land.“

Emils Mutter Miriam hat Glück gehabt. Die 31-Jährige hat schon zu Beginn der Schwangerschaft den Kontakt zu Wunschhebamme Jünger gesucht. Sie war all die Monate jederzeit für sie da. „Wenn ich ihr eine SMS geschrieben habe, hat sie gleich zurückgerufen.“

Frauke Jüngers Hebammenpraxis im Souterrain eines Ärztehauses ist in gedämpftes Licht getaucht. Überall Kissen, liebevolle Deko und Kerzenschein. Die Frauen, die zur Schwangerschaftsgymnastik kommen, sind gerne hier. Genauso wie die Schwangere, die in der 25. Woche zur Vorsorge da ist. „Hebammen sind ein Stabilitätsfaktor für Schwangere und Mütter. Das kann man in Kliniken nicht leisten“, meint Rukavina.

Frauke Jünger liebt auch nach mehr als zwei Jahrzehnten ihre Arbeit, den Umgang mit Müttern und Kindern, den intensiven Kontakt zu Menschen verschiedenster Herkunft. Finanziell kommt sie gut zurecht, sie sagt aber: „Freizeit habe ich kaum.“ Sie kann verstehen, wenn Jüngere keine Lust mehr auf den Beruf haben. „Manchmal“, sagt sie, „würde ich gerne nach acht Stunden nach Hause gehen“.