Wolfgang Drexler hält die Frage der Abgeordnetenpensionen für eine Fehleinschätzung der beteiligten Parteien. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Stuttgart/Esslingen - Der frühere Landtagsvizepräsident Wolfgang Drexler (SPD) wirft den Grünen, der CDU und seiner eigenen Partei bei der Frage der Abgeordnetenpensionen eine Fehleinschätzung vor. Der Konflikt um die mögliche Rückkehr zu Staatspensionen sei wegen der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung der Altersvorsorge so hochgekocht. Drexler, Vorsitzender des Untersuchungsausschusses des Landtags, der Kontakte der NSU-Rechtsterroristen ins Land untersucht, warnt vor Radikalisierung am rechten Rand, die erneut zu Gewalt führen könne.

Der Wirbel um die Rückkehr der Landtagsabgeordneten zu Staatspensionen statt privater Vorsorge hält an. Sie waren als Landtagsvizepräsident 2008 an der Neuregelung beteiligt und haben sich nun bei der teilweisen Rückabwicklung als einziger in der SPD-Fraktion enthalten. Warum sind Sie mit Ihrer Ablehnung nicht durchgedrungen?

Drexler: 2008 war ich schon Befürworter der Idee, von der staatlichen Pensionsregelung für Abgeordnete Abstand zu nehmen. 2015 haben wir den Vorschlag vorgelegt, die Altersvorsorge für die Abgeordneten anstatt über Pensionen oder individuelle private Lösungen mit dem gleichen Geld wie bisher über das Versorgungswerk Nordrhein-Westfalen zu organisieren. Das hat die SPD-Fraktion in dieser Form auch in die jetzige Diskussion eingebracht. Allerdings wurde diese Idee von den anderen Fraktionen nicht für gut befunden. Um die aktuell gültige Regelung - die tatsächlich keine optimale Regelung darstellt - doch noch verändern zu können, gab es dann eine Einigung auf die Pensionsregelung. Den meisten Abgeordneten schien wohl dieser Vorschlag besser, als gar keine Veränderung der Situation. Im Übrigen: da ich seit 1988 Mitglied des Landtags bin, bin ich selbst als „Altfall“ von den aktuellen Neuregelungen nicht betroffen.

Grüne, CDU und SPD sind nach massiver Kritik von ihrem Vorhaben abgerückt, der politische Flurschaden gilt aber als immens. Das Konfliktpotenzial lag doch auf der Hand, wie die umgehende Reaktion von Verbänden, Gewerkschaften oder Medien belegt. Warum hat das Frühwarnsystem der Politik nicht funktioniert?

Drexler: Es gab im Vorfeld selbstverständlich kritische Stimmen. Und doch kam es dabei ganz offensichtlich zu einer Fehleinschätzung. Das hängt aus meiner Sicht mit der rasant zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung der Altersvorsorge zusammen. Im Wahlkampf habe ich beispielsweise bei vielen Hausbesuchen bemerkt, wie wichtig das Thema Altersvorsorge für die Menschen insgesamt geworden ist. Offensichtlich haben viele Abgeordnete die große gesellschaftliche Bedeutung dieses Themas unterschätzt. In den letzten Jahren hat sich da etwas verschoben: Nicht nur bei den Diäten, sondern auch in Bezug auf die Altersversorgung gibt es in der Zwischenzeit ein großes öffentliches Bedürfnis nach transparenten und nachvollziehbaren Regelungen. Das hat mit der Summe der individuellen Erfahrungen zu diesem Thema in der Bevölkerung zu tun.

Nun soll ein Expertengremium die Kohlen aus dem Feuer holen. Was halten Sie für den wesentlichen Aspekt einer Neuregelung? In Nordrhein-Westfalen gibt es ein Versorgungswerk für Abgeordnete, die CDU im Land lehnt solch ein Modell bisher ab. Könnte das eine Lösung sein?

Drexler: Wesentlicher Aspekt einer Neuregelung ist für mich, dass es keine einfache Rückkehr zur staatlichen Pensionsregelung gibt. Wie gesagt: ich halte die Option mit dem Versorgungswerk NRW für einen vernünftigen Ansatz. Es ist aus meiner Sicht sinnvoller, dass das Geld für die Altersvorsorge von allen Abgeordneten in ein System eingezahlt wird - und nicht bei allen Abgeordneten individuell bei privaten Anbietern. Das führt dazu, dass bei gleichem Mitteleinsatz die Altersversorgung der Abgeordneten besser wird. Es wäre auf jeden Fall ein System, das auch den individuellen Erfahrungen der Bevölkerung eher entsprechen würde, als eine staatliche Pensionsregelung.

Der NSU-Ausschuss des Landtags tagt unter Ihrer Leitung nach der Neuauflage in der aktuellen Wahlperiode nun bald ein Jahr. Die Suche gilt Unterstützern, die die NSU-Rechtsterroristen im Land gehabt haben. Es gab offensichtlich zu Dutzenden Kontakte ins Land und eine Tat wie der Mord an der Polizistin Kiesewetter in Heilbronn war gewiss kein Zufall. Aber die Sensation eines wirklichen Netzwerks lässt sich bisher nicht belegen. Täuscht der Eindruck?

Drexler: Die Klärung der Frage nach möglichen Unterstützern des NSU in Baden-Württemberg stellt einen der zentralen Komplexe unseres Untersuchungsgegenstandes dar. Der Ausschuss steht am Anfang der Aufarbeitung dieses Bereiches, eine Vielzahl an Zeugen sind noch zu vernehmen, umfangreiches Aktenmaterial ist noch zu sichten. Die Einschätzung, ob von einem „wirklichen Netzwerk“ gesprochen werden kann, wäre daher zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht. Dass die Terroristen Kontakte zu Personen aus der rechtsradikalen Szene Baden-Württembergs hatten, kann jedoch als gesichert gelten. Zum Beispiel die nachweislichen Verbindungen des „NSU“ zur sogenannten „Spätzles-Connection“. Außerdem haben ausweislich von Zeugenaussagen allein von 1993 bis 2001 etwa 30 Besuche des Trios in Ludwigsburg stattgefunden. Das ist ein deutlicher Hinweis, dass es sich lohnt, genau hinzuschauen.

Verschwörungstheoretiker und Krimiautoren freuen sich: Bereits vier potenzielle Zeugen für den Ausschuss sind in zum Teil jungen Jahren ums Leben gekommen. Zuletzt eine 1970 geborene Frau. Die einstige Rechtsextremistin und Freundin von Beate Zschäpe ist in einem Pflegeheim gestorben. Was haben Sie von dieser Zeugin erwartet?

Drexler: Voranstellen möchte ich, dass ich den Tod dieser Frau auch mit Blick auf deren Angehörige sehr bedauere. Auch kann man aktuell nicht mit Sicherheit sagen, dass sie als „Freundin“ Zschäpes bezeichnet werden kann. Mit Sicherheit kann gesagt werden, dass die aus Ostdeutschland stammende Frau zumindest in den 1990er-Jahren Kontakt zu einer Gruppierung von Neonazis im Raum Ludwigsburg hatte. Die Gruppierung stand im persönlichen Austausch mit den Neonazi-Szenen Jena und Chemnitz. Das spätere NSU-Terroristentrio soll ab 1993 und auch noch nach seinem Untertauchen mehrmals in Ludwigsburg und Stuttgart bei dieser Clique zu Besuch gewesen und hierbei in Kontakt mit der Verstorbenen gekommen sein. Die Befragung der bislang polizeilich nicht vernommenen Zeugin hätte möglicherweise neue Erkenntnisse zu Verbindungen, Aufenthaltsorten und potenziellen Unterstützer des „NSU“ in Bezug auf Baden-Württemberg liefern können.

Bis zur Sommerpause sind weitere sechs Sitzungen vorgesehen. Was werden für Sie die interessantesten Aspekte?

Drexler: Gerade die Befassung mit potenziellen Unterstützern des NSU wird sich als sehr umfangreich gestalten. Als zentral betrachte ich die Frage nach möglichen Hilfeleistungen für die Terrorgruppe NSU bei dem Polizistinnenmord in Heilbronn im Jahr 2007 und weiteren Straftaten sowie bei seinem Leben im Untergrund. Hierbei werden wir beispielsweise neben zentralen Musik- und Skinheadnetzwerken auch den Ku Klux Klan sowie etwaige Bezüge des NSU in die Rockerszene und die organisierte Kriminalität in den Blick nehmen. Ebenso ist es wichtig, die Ermittlungen der Behörden genau anzuschauen. Falls sich hier weitere Versäumnisse zeigen, müssen daraus auch Schlüsse für die Zukunft gezogen werden.

Die Taten des NSU-Trios waren Folgen einer Radikalisierung in den 1990er-Jahren in einer Phase wachsender Ausländerfeindlichkeit. Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass der erneut wachsende Hass auf Flüchtlinge heute ähnliche Effekte nach sich zieht? Wissenschaftler haben im Ausschuss ja bereits auf solche Bedrohungen hingewiesen.

Drexler: Zum Zwecke der vermeintlichen Rechtfertigung seiner Gewalttaten bediente sich der NSU rassistischer Ideologien, wie sie fester Bestandteil der rechten Szene sind. Diese Ideologien begegnen uns in aktuell laufenden Debatten immer wieder. Es gab laut dem Verfassungsschutz 2015 eine Zunahme von über 42 Prozent bei rechtsextremen Gewalttaten. Bei fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten wurde 2015 die höchste Zahl seit Einführung der Statistik im Jahr 2001 registriert. Das Bundesamt weist ausdrücklich darauf hin, dass auch aktuell Hinweise zu Ansätzen von rechtsterroristischen Strukturen vorliegen. Je stärker sich rassistische Ideologien in der Mitte unserer Gesellschaft breit machen, desto eher muss auch damit gerechnet werden, dass es an den Rändern eine Radikalisierung gibt, die zu Rechtsterrorismus führt. Beim Thema „Reichsbürger“ - mit einem Polizistenmord! - wird das ja offensichtlich. Vor diesen Tendenzen muss deutlich gewarnt werden.

Die Fragen stellte Hermann Neu.