Den Blick in die Zukunft gerichtet: Leni Breymaier. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

„Ich habe mir überlegt, ob ich noch mal etwas Neues machen will - und das mache ich jetzt.“ „Es gibt tausend Gründe sich über die SPD zu ärgern, aber keinen einzigen, aus ihr auszutreten.“

Von Ulrike Bäuerlein

Ludwigsburg - Es ist hart, in diesen Tagen SPD-Mitglied zu sein und an die Zukunft zu glauben. Die Turnhalle riecht, als ob hier schon zu August Bebels Lebzeiten geschwitzt wurde, jede Kletterwand an der Seite hat mehr Sprossen, als die SPD bei der vergangenen Landtagswahl Prozente holte, und von den etwa 120 Parteimitgliedern aus dem Kreisverband, die an diesem Abend in die Eichendorffschule nach Ludwigsburg gekommen sind, ist keine Handvoll unter Dreißig. Als Leni Breymaier hereinkommt, flotten Schritts und wachen Blicks, schlägt ihr Neugier entgegen und ein Hauch von Trotz - wie überall auf ihrer Vorstellungstour im Land. Sie sucht Augenkontakt, freundliches Nicken hier, Händeschütteln dort, sie setzt sich und wartet auf das Ende der Begrüßung und ihren Einsatz. Dann nimmt sie, eine mittelgroße 56-Jährige mit rotbraunem Kurzhaarschnitt, Brille und Kostüm passend, das Mikrofon und schießt ihre ersten Worte mitten ins wunde Herz ihrer Zuhörer. „Es war soooo bitter“, sagt sie als erstes, und von jedem der gedehnten Vokale tropft kübelweise Frust und Enttäuschung. Das dumpfe Ächzen, das ihr als Antwort entgegenkommt, zeigt ihr, dass genau hier der Schmerz sitzt: bei den verheerenden 12,7 Prozent für die SPD bei der Landtagswahl als Lohn für fünf als erfolgreich empfundene Regierungsjahre und für den ganzen Einsatz im Wahlkampf; bei dem Bild vom strahlenden Schwan Kretschmann, der stolz und geräuschlos in die grün-schwarze Koalition hinübergleitet und die SPD als gerupftes Huhn untergehen lässt. Sie redet von ihrer Partei als Partei des Leidens, die sich immer wieder quält und zermürbt, aber dann sagt sie den entscheidenden Satz: „Es gibt tausend Gründe sich über die SPD zu ärgern, aber keinen einzigen, aus ihr auszutreten.“ Damit hat sie das Hoffnungsfenster weit aufgestoßen. Jetzt erst stellt sich Leni Breymaier vor und erklärt, warum sie Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin für den Bundestag werden will, was die Partei für sie ist und wie sie sein soll: „Ich bin seit 34 Jahren in der Gewerkschaft und in der SPD, seit 14 Jahren in Führungspositionen, und im Nebenberuf bin ich Diplom-Feministin, und das schon ziemlich lange.“ Leni Breymaier formuliert klar und spricht mit unverfälschter schwäbischer Färbung von ihrem Werdegang: In Ulm geboren, Einzelhandelskauffrau gelernt, immer schon „eine große Klappe“ gehabt und von Klassensprecherin bis zur Betriebsrätin alles mitgemacht. Das Elternhaus war nicht klassisch sozialdemokratisch, wohl aber die Werte: „Man hat mir beigebracht, dass man einerseits vor Menschen Respekt haben, ordentlich mit ihnen umgehen muss, aber dass man andererseits nicht devot und zu unterwürfig sein darf.“ Ungeduldig war sie immer schon, und weil es in ihrem Betrieb keine weiblichen Führungskräfte gab, wechselte sie zur Gewerkschaft und machte dort Karriere. Seit 2007 ist sie Verdi-Landeschefin, zuletzt wiedergewählt mit 96,5 Prozent, seit 2009 stellvertretende SPD-Landesvorsitzende. Als nach dem Wahldebakel klar war, dass es mit Nils Schmid nicht weitergeht an der Spitze der Landespartei, trat sie aus der Deckung. „Ich habe nicht in den letzten zehn Jahren davon geträumt, an die Spitze der SPD in Baden-Württemberg zu kommen. Ich komme mit 56 Jahren nicht mehr aus dem Frischefach des Kühlschranks. Ich habe immer klare Ansagen gemacht und war nie besonders diplomatisch. Aber ich habe mir überlegt, ob ich noch mal was Neues machen will - und das mache ich jetzt“, sagt sie.

Viele in der SPD waren froh über die Kandidatur. Aber mit ihrem Profil - linke, kämpferische Gewerkschaftsfrau - hadern einige. Dass die Frauenpolitikerin Breymaier die SPD-Landtagsfraktion gelegentlich als frauenfeindlichen Hort älterer Männer bezeichnete, kam dort nicht gut an, und auch ihre Entscheidung, dem Parteitag die 31-jährige Linke Luisa Boos als Generalsekretärin vorzuschlagen, wird nicht nur bei den Abgeordneten kritisch gesehen. Lieber hätte man einen Fraktionsvertreter - etwa den redegewandten Sascha Binder - auf dieser Position gesehen. Fraktionschef Andreas Stoch indes schätzt Breymaiers Art durchaus - und auch Breymaier weiß, dass sie die Fraktion braucht. „Wir sind ein Team“, sagt sie über ihr Verhältnis zu Stoch. „Die neue Rolle wird eine andere sein, eine politischere, darüber bin ich mir im Klaren. Aber deswegen werde ich mich nicht neu erfinden.“

Ihre Kandidatur sieht sie als deutliches Signal an ihre Partei - und verweist darauf, dass sie eine gesicherte berufliche Position aufgibt. SPD-Landesvorsitz und Gewerkschaftschefin geht nicht zusammen. Zwar will Breymaier im kommenden Jahr an der Spitze der Landesliste für den Bundestag kandidieren - „den Machtanspruch habe ich“ - aber bis dahin muss sie einen kleinen Brotjob bei der Gewerkschaft aushandeln. „Ich habe mich entschieden - ich glaube an meine SPD“, sagt sie. Und wie sie so spricht von ihrer Partei, flackert tatsächlich allmählich wieder ein kleiner roter Funke durch die Turnhalle. „Mein Bild der SPD ist, dass sie für alle da ist, die ihre zwei Hände und ihren Kopf verkaufen müssen und sich nicht auf ihren Vermögenswerten ausruhen können. Solange ich nicht morgen aufhören kann zu arbeiten, solange ist die SPD die Partei, die für mich zuständig ist.“ Breymaier will die Worthülse von der sozialen Gerechtigkeit mit konkreten Inhalten füllen und die SPD wieder mit Emotionen verbinden. Illusionen macht sie sich aber nicht. „Wenn ich gewählt werde, ist die Welt keine andere. Wir müssen über eine lange Strecke glaubwürdige Politik machen“, sagt sie. „Dazu gehört, den Menschen zu vermitteln, die eigene, vielleicht umständehalber schwierige Lebenssituation nicht als persönliches Lebensversagen zu begreifen.“ Die Partei wird dieser Tage neu aufgestellt, diesen Prozess hat Nils Schmid mit seiner ebenfalls scheidenden Generalsekretärin Katja Mast noch eingeläutet. Es ist deutlich weniger Geld da, die Strukturen wurden durchleuchtet, die Basis besser eingebunden.

Loyal will Breymaier sein als Landesvorsitzende gegenüber der Parteilinie, aber auch eigene Akzente setzen. Ein ausgeglichener Haushalt per se ist für Breymaier etwa kein erstrebenswertes Ziel. „Die schwarze Null wird angebetet wie ein Götze“, sagt sie - aber dass man doch lieber den Kindern ein modernes, zukunftsfähiges Haus hinterlassen solle, an dem man noch abzuzahlen habe, als eine baufällige, aber schuldenfreie Hütte. Und überhaupt schlägt sie Töne an, die so schon lange nicht mehr von führenden SPD-Politikern im Land zu hören waren. Plötzlich klingt der Begriff „soziale Verantwortung“ nicht mehr wie eine überkommene Worthülse aus goldenen SPD-Zeiten. „Wir haben die Aufgabe, eine gerechtere Welt zu hinterlassen und dafür zu kämpfen, auch, wenn wir selbst nichts mehr davon haben.“ Wie Leni Breymaier da so redet, wird die Atmosphäre in der Turnhalle allmählich heimeliger. Und schließlich reckt sie das Kinn vor. „Ich werde mich nicht verbiegen lassen“, verspricht sie. „Wenn man mir sagt, mach langsam, nicht alles auf einmal, dann sage ich: Das bin ich nicht. Ich fange knackig an.“ Da glimmt der Funke in der Turnhalle schon ein wenig heller und wird von einem Hauch frischer Hoffnung und zartaufloderndem Kampfgeist genährt. Und dem vagen Gefühl: Mit der Leni könnte es gehen.