Datenschutzexperte Stefan Brink: Viele Menschen liefern sich unbedarft neuen Techniken aus. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Stuttgart - Landesdatenschutzbeauftragter Stefan Brink fordert mit Blick auf die Bundestagswahl Vorkehrungen gegen mögliche Hackerangriffe. Vom zunächst vom Bundesrat abgeblockten Vorstoß des Justizministeriums im Land, erweiterte DNA-Analysen für die Polizeiarbeit freizugeben, hält Brink nichts: Der Bundesgesetzgeber müsse eine verhältnismäßige und zurückhaltende Lösung finden.

Die Bundesregierung wird als Anpassung an EU-Vorgaben das Datenschutzrecht novellieren. Sie befürchten, dass die EU-Vorgaben verwässert werden und es beispielsweise bei der Videoüberwachung Sonderwege geben soll. Was erwarten Sie von der Novelle?

Brink: Ich erwarte wenig Gutes. Es gibt einzelne Regelungen, die sehr sinnvoll sind, wo der Bundestag Öffnungsbereiche, die die EU-Verordnung gibt, ausnutzt. Da geht es zum Beispiel darum, dass wir unser System der betrieblichen Datenschutzbeauftragtenbeibehalten dürfen. Das finde ich sehr gut. Es gibt aber eine ganze Reihe von anderen Bereichen, wo der Bundestag aller Voraussicht nach sehr intensiv in Bereiche hinein regelt, die das wesentliche Ziele der Grundverordnung in Frage stellen, nämlich ein einheitliches Recht zu haben, das europaweit gilt und einheitlich vollzogen wird. Wenn wir deutsches Sonderrecht haben, zum Beispiel für Videoüberwachung, dann ist die Gefahr groß, dass wir das wichtige Ziel, einheitliches Recht einheitlich zu vollziehen, aus dem Auge verlieren und am Ende doch wieder 20 oder 25 Sonderrechte europaweit haben, die im Prinzip nicht mehr koordinierbar sind.

Wie bewerten Sie sogenannte intelligente Videoüberwachung, die automatisch potenziell gefährliche Gegenstände wie stehengelassene Koffer, in denen eine Bombe sein könnte, oder am Boden liegende Personen erkennen kann?

Brink: Ich bin grundsätzlich gegenüber moderner Techniken sehr aufgeschlossen, sie könnte den ungesteuerten Überwachungsdruck deutlich reduzieren. Ich verspreche mir von der intelligenten Videoüberwachung einiges, unter der Voraussetzung, dass sie tatsächlich intelligent ist. Das heißt also, dass sie Gefahrensituationen erkennen kann und dann gezielt zum Beispiel aufzeichnet und im Übrigen, das gehört mit zur intelligenten Videoüberwachung dazu, alle anderen Bilder sofort verwirft.

Die Angriffe auf Daten der Bürger nehmen zu. Das Abgreifen von Informationen wird immer raffinierter. Täuscht der Eindruck, dass der Datenschutz der technischen Entwicklung oft nur noch hinterherhechelt?

Brink: Es ist tatsächlich so, dass wir bei Fragen der technischen Neuerungen und neuer krimineller Ansätze immer hinterherhinken und lernen müssen, auf was für perfide Ideen Angreifer, Hacker und ganz normale Kriminelle kommen. Was wir machen können ist, die Bürgerinnen und Bürger immer wieder auf bestimmte Gefahren hinzuweisen und ihnen klar zu machen, dass sie sich nicht naiv zum Beispiel im Internet bewegen dürfen. Die Vorstellung, das Internet sei ein freundlicher Raum, wo einem nur Gutes widerfährt und man lauter kostenlose Leistungen entgegennehmen kann, diese Vorstellung trügt.

Viele Bürger geben wegen kleiner Vorteile wie ein paar Euro Rabatt beim Einkauf ihre Daten preis. Hat sich daran durch die Warnungen Ihrer Behörde etwas verbessert?

Brink: Ich glaube, dass sich jedenfalls bei den jüngeren Generationen, die als erstes mit den neuen und modernen Anwendungen des Internets konfrontiert werden, schon ein ein Bewusstseinswandel ergeben hat. Gerade Schülerinnen und Schüler, mit denen wir viel Kontakte haben, erkennen, dass sie sich vorsichtig bewegen müssen im Internet, dass sie vorsichtig sein müssen, wenn sie Apps installieren. Insgesamt hat sich die Aufmerksamkeit erhöht. Trotzdem ist es leider immer noch so, dass sich sehr viele Menschen unbedarft neuen Techniken ausliefern.

Nach jedem Terroranschlag erfolgt der Ruf nach zusätzlicher Überwachung. Die Landesregierung hat nach dem Berliner Attentat ebenfalls eine Verschärfung verkündet, mit längeren Speicherzeiten oder der Online-Durchsuchung mit verdecktem Zugriff auf Festplatten. Notwendige Schritte oder Aktionismus?

Brink: Dass es Anlass gibt, die Sicherheitspolitik zu überdenken und möglicherweise in bestimmten Bereichen neu auszurichten, ist dem Datenschützer nicht fremd. Es ist auch nicht unsere Aufgabe, sozusagen eine bessere Sicherheitspolitik zu machen, sondern wir begleiten die Regierung bei ihren Überlegungen und versuchen im Einzelfall, die informationelle Selbstbestimmung der Bürger zu schützen. Insofern haben wir grundsätzlich Verständnis dafür, dass man auch versucht, neue und vielleicht technisch weiter gehende Überwachungswege zu gehen. Aber wir werden das sehr kritisch begleiten. Überall dort, wo wir weniger einschneidende Mittel sehen, oder wo wir der Ansicht sind, dass ins Grundrecht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung zu stark eingegriffen wird, werden wir unsere Stimme erheben.

Der Bundesrat hat am 31. März ein Gesetz passieren lassen, das unter anderem die automatische Erfassung von Autokennzeichen an den Grenzen ermöglicht. Der Datenschutz ist strikt dagegen. Warum hat sich die Politik ihren Argumenten verschlossen?

Brink: Das ist tatsächlich ein Grundproblem der Datenschützer, dass sie zwar im politischen Bereich und bei Gesetzgebungsverfahren angehört werden und ihre Argumente vorbringen können. Aber in vielen Bereichen, wo es um Sicherheitsfragen geht oder auch um besondere staatliche Interessen - das können auch finanzielle Interessen sein - wird der Datenschutz im Moment sozusagen in zu kleiner Münze gewogen. Das Problem ist aus meiner Sicht, dass wir zwar in äußerst sicheren Zeiten leben, dass aber das Sicherheitsgefühl vieler Bürgerinnen und Bürger stark angeschlagen ist, und dass man deswegen versucht, mit zusätzlichen Sicherheits- und Ordnungsmaßnahmen dieses Sicherheitsgefühl zu stärken. Wir plädieren als Datenschützer immer dafür, verhältnismäßig zu bleiben und stärker auf rationale Momente zu setzen, als nur auf das Sicherheitsgefühl zu vertrauen.

2006 gab es den spektakulären Tod eines Parkwächters an der A6 bei Satteldorf. Der Mann, der von Fernfahrern Gebühren kassieren wollte, wurde offenbar von einem Lkw-Fahrer absichtlich überfahren. Wie bei weiteren ähnlichen Fällen hätte es die Arbeit der Polizei erleichtert, wenn sie Mautdaten einiger Stunden hätte verwerten können. Ist dies nicht ein hoher Preis für den Datenschutz?

Brink: Es ist jedenfalls ein hoher Preis, den wir für den Rechtsstaat zahlen. Bei der Einführung der Maut für Lastwagen wurde von Sicherheitspolitikern hoch und heilig versprochen, dass Mautdaten für keine anderen Zwecke verwendet werden. Das Mautgesetz hätte damals keine Chance gehabt, im Bundestag durchzukommen, wenn dieses Versprechen nicht gegeben worden wäre. Die zweite Frage ist, ob man mit dieser Entscheidung zufrieden ist. Wenn der Gesetzgeber der Auffassung ist, dass er in bestimmten Bereichen den Polizeibehörden mehr Zugriffsmöglichkeiten geben muss, dann soll er einen Gesetzentwurf vorlegen und unsere Aufgabe ist es, ihn uns dann anzuschauen.

Immer mehr Privatpersonen installieren Videoüberwachungsanlagen. Dabei wird oft ein Teil des öffentlichen Raumes mit erfasst. Ist das legal? Dürfen die Behörden solche Aufnahmen etwa nach Verbrechen nutzen?

Brink: Überwachung von öffentlichem Raum durch Privatpersonen ist rechtswidrig. Der Bürger darf sich mit Videotechnik selbst schützen, solange er nicht in Rechte Dritter eingreift. Wenn er aber anfängt, Räumlichkeiten zu überwachen, die nicht seine eigenen sind, dann verletzt er das Recht der Übrigen und wird von der Aufsichtsbehörde sehr deutlich darauf hingewiesen, dass er zu weit gegangen ist. Ob die Polizei auf solche Aufnahmen zugreifen kann, ist eine andere Frage. Im Prinzip darf sie, wenn die Voraussetzungen der Strafprozessordnung vorliegen, auch auf Aufzeichnungen von Privaten zugreifen, selbst dann, wenn die illegal angefertigt wurden. Da unterscheidet sich unsere Rechtsordnung deutlich von der US-amerikanischen.

Thema Vorratsdatenspeicherung: Ende Dezember des vergangenen Jahres hat der Europäische Gerichtshof an den Beispielen Schweden und Großbritannien entschieden, dass es für die solche Datenspeicherung einen Anlass geben muss. In Deutschland ist die Reaktion kontrovers. Halten Sie die deutschen Gesetze für EU-konform?

Brink: Zum Einen: Die grundsätzliche Schranke zum Verbot von Vorratsdatenspeicherung hat ja das Verfassungsgericht errichtet. Es prüft auch im Moment die Rechtslage und wird in absehbarer Zeit für Deutschland entscheiden. Es ist außerordentlich zu begrüßen, dass auch europäische Gerichte in ähnlicher Weise mit dem Thema umgehen. Der Europäische Gerichtshof hat sich über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinaus sehr stark für den Datenschutz eingesetzt. Im Moment hat es den Anschein, dass die europäischen Gerichte noch stärker die Grundrechte betonen, als es das Bundesverfassungsgericht ohnehin schon getan hat. Das ist wie ich finde, eine sehr, sehr positive Entwicklung.

Das Justizministerium im Land will erweiterte DNA-Testergebnisse für die Polizeiarbeit freigeben, dabei geht es etwa um Kennzeichen wie die Haarfarbe. Der Bundesrat hat den Vorstoß zunächst abgeblockt. Haben auch Sie Bedenken?

Brink: Es ist grundsätzlich so, dass die Einbeziehung von DNA-Spuren in die Polizeiarbeit auch sehr tiefe Einblicke in das Leben und die Eigenschaften bis hin zu Charakter von Betroffenen gewährleisten könnte. Deswegen ist das mit Vorsicht zu genießen. Richtig ist allerdings auch, dass der Vorstoß, wie er jetzt im Bundesrat zunächst mal gescheitert ist, sich bislang festmacht an Merkmalen, die im Prinzip auch bei normaler Polizeiarbeit zu erkennen sind. Also Fragen wie Hautfarbe, Haarfarbe und ähnliches. Ich kann nur davor warnen, diesen Weg noch wesentlich weiter zu gehen. Wenn wir tatsächlich erlauben würden, DNA-Spuren in jeder medizinisch-technisch möglichen Hinsicht auszuwerten, dann bekommen wir möglicherweise ganze Persönlichkeitsprofile von Menschen, die äußerst sensibel sind. Das wird eine wichtige Aufgabe sein für den Bundesgesetzgeber, dort eine verhältnismäßige und zurückhaltende Lösung zu finden.

Mit Blick auf die Bundestagswahl warnen Experten vor Hacker-Angriffen aus Ländern wie Russland, die es ja offenbar schon im US-Wahlkampf gegeben hat. Für wie wahrscheinlich halten Sie solche Aktionen auch in Deutschland?

Brink: Für sehr wahrscheinlich, sie haben ja auch schon stattgefunden. Der Bundestag ist verschiedentlich gehackt worden. Das gehört, so muss man leider sagen, inzwischen zu unserer Realität in der virtuellen Welt dazu, dass in allen Bereichen Hackerangriffe gefahren werden. Jeder, der sich in die vernetzte Welt hineinbegibt, muss extreme Sicherheitsmaßnahmen treffen. Das gilt auch für Parteien, das gilt auch für Parlamente. Vorkehrungen müssen getroffen werden, damit wir nachher keine Zweifel haben müssen wie in den USA an der Lauterkeit des Wahlkampfs und an der Unverfälschtheit der politischen Abstimmung.

Das Gespräch führte Hermann Neu.

zur person

Der 1966 geborene Datenschutzexperte Stefan Brink wurde am 1. Dezember 2016 vom baden-württembergischen Landtag zum Beauftragten für den Datenschutz gewählt. Seit 1. Januar 2017 steht er an der Spitze der etwa 40-köpigen Datenschutzbehörde im Land.

Brink hat bei Hans Herbert von Arnim an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer promoviert. Er war unter anderem Richter am Verwaltungsgericht Koblenz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesverfassungsgericht und Leiter Privater Datenschutz beim Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Rheinland-Pfalz sowie Stellvertretender Landesbeauftragter für die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz.