Der Vize muss seinen Regierungschef verteidigen: Thomas Strobl weist im Landtag Vorwürfe der SPD zurück. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Oliver Stortz

Stuttgart - Staatsaffäre? Oder „kalter Kaffee“? Für Andreas Stoch ist die Sache klar: „Nichtachtung des Parlaments“ wirft der SPD-Fraktionschef den grün-schwarzen Koalitionären vor - und ein fragwürdiges Verhältnis zur Macht. Der Disput über Nebenvereinbarungen zum Koalitionsvertrag geht gestern im Landtag in eine neue Runde. „Geheimabsprachen 2.0“ betitelt die SPD die von ihr beantragte aktuelle Debatte. Das soll originell klingen. Und Stoch kostet es erkennbar genüsslich aus, am Nimbus Winfried Kretschmanns zu kratzen, den viele Sozialdemokraten für ihr eigenes Desaster bei der Wahl am 13. März verantwortlich machen, und dessen erstem Kabinett Stoch bis zum Regierungswechsel im Mai als Kultusminister selbst angehörte.

Nicht das Evangelium

Ein Geheimpapier von geplanten Projekten im Wert von zwei Milliarden Euro hatte die Regierung bereits veröffentlicht. Darüber hinaus getroffene Absprachen über Einsparmöglichkeiten sind dagegen nur teilweise durchgesickert - unter anderem ist von einer Erhöhung der Grunderwerbsteuer um 1,5 Prozentpunkte und dem Abbau von bis zu 5000 Stellen in der Landesverwaltung die Rede. Stoch fordert gestern, auch diese „Giftliste“ offen zu legen. Die Öffentlichkeit habe ein Recht darauf zu erfahren, was die ungleichen Regierungspartner vereinbart hätten.

Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz winkt ab, spricht mit Blick auf die bekannt gewordenen Vereinbarungen von „kaltem Kaffee“, der auch dann nicht mehr schmecke, wenn die Opposition ihn aufwärme. Von Geheimabsprachen will der Kirchheimer Abgeordnete nichts wissen, stattdessen von „Konkretisierungen des Koalitionsvertrags“, von „Leitplanken“ für dessen Auslegung „in einer gemeinsamen Sprache“. Doch auch Nuancen zwischen den Koalitionären in Parlament und Regierungszentrale werden erkennbar: Wohl eher an die eigenen Leute in der Villa Reitzenstein richtet sich Schwarz’ Bekenntnis, das Haushaltsrecht sei das Königsrecht des Landtags. „An uns Abgeordneten kommt niemand vorbei, wenn es um Ausgaben oder um Kürzungen geht.“

CDU-Fraktionsvize Winfried Mack bemüht gar die Bibel, um das ungewöhnliche Prozedere bei der Bildung des ersten grün-schwarzen Bündnisses zu rechtfertigen. „Koalitionsverträge sind weder das Evangelium, noch ein Paulus-Brief an die Korinther.“ Es komme darauf an, was umgesetzt werde, sagt Mack. Letztlich handele es sich um eine Willenserklärung der beiden die Regierung tragenden Parteien, nicht um Regierungshandeln, aus dem sich konkrete Transparenzpflichten ableiten ließen.

Mikrofon abgedreht

Allein ist die SPD im Fünf-Parteien-Parlament freilich nicht mit ihrer harschen Kritik. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke springt Stoch bei, spricht von einer „Grömaz“-Koalition: „Größte Mauschler aller Zeiten“. Und AfD-Mann Emil Sänze empört sich über eine „unglaubliche Dreistigkeit“ der Koalitionäre. „Über politische Inhalte lässt sich trefflich schreiten, aber nur, wenn alle mit offenem Visier kämpfen“, klagt er, ehe Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) ihn wegen Überziehung der Redezeit erst ermahnt und ihm dann das Mikrofon abstellt.

Kretschmann, der viel Gescholtene, muss sich im Parlament krankheitsbedingt von seinem Vize, Innenminister Thomas Strobl, verteidigten lassen. „Glücklich ein Land, das solche Probleme diskutiert“, wiegelt der CDU-Landeschef ab. Die zweite von der Opposition beantragte Landtagsdebatte zum Thema Nebenabsprachen sei die „fortgesetzte Skandalisierung einer politischen Praxis“. Eine Staatsaffäre daraus zu machen, finde er „ein bisschen sehr sehr übertrieben“. Ein wenig Einsicht zeigt er dennoch: „Manchmal ist es auch besser, man schaut sich tief in die Augen und muss nicht alles aufschreiben.“

Den Vorwurf der Demokratiefeindlichkeit, den die Sozialdemokraten erhoben hatten, will Strobl derweil nicht auf Kretschmann sitzen lassen: „Das ist absurd.“ Stoch solle sich beim Ministerpräsidenten entschuldigen, fordert er. Notfalls im Geheimen.