Die Großbaustelle Stuttgart 21. Foto: dpa - dpa

Von Hermann Neu

Stuttgart - Die Zahl 930 Millionen Euro gehört zu den Dauerbrennern der Auseinandersetzung um das Milliardenprojekt Stuttgart 21. Schon Dutzende von Malen von verschiedenen Regierungspolitikern über die Jahre hinweg bekräftigt, beschreibt sie die Summe, mit der sich das Land an dem Projekt beteiligen will. Immer, wenn von Mehrkosten die Rede ist, kommt der Kostendeckel erneut aufs Tapet. Inzwischen geht die Auseinandersetzung in eine neue Runde, die in einen Rechtsstreit einmünden wird. Jedenfalls hat die Bahn schon in der vergangenen Woche angekündigt, sie werde klagen, um einen höheren Finanzierungsanteil zu erreichen. Die Kostenprognose für Stuttgart 21 fällt mittlerweile um zwei Milliarden Euro höher aus, der Bau wird auf 6,5 Milliarden veranschlagt.

Bahn: Gemeinschaftsprojekt

Das Argument der Bahn in Grundzügen: Sie sieht Stuttgart 21 als Gemeinschaftsprojekt. Dabei seien die Partner - neben dem Land und der Bahn sind dies die Region und die Stadt Stuttgart - auch bei Mehrkosten mit im Boot. Bahnchef Rüdiger Grube sieht trotz der massiven Kostensteigerungen die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 vom November 2011 als weiterhin gültig. Die damalige grün-rote Landesregierung habe die Bürger vor der Abstimmung über Chancen und Risiken des Projekts informiert, sagte Grube den „Stuttgarter Nachrichten“. Die Bürger hätten sich eindeutig zu S21 bekannt. Das Land sieht derweil gute Chancen, aus dem Rechtsstreit siegreich herauszukommen. „Der Ball liegt einfach bei der Bahn“, erklärte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gestern in Stuttgart. Vor Gericht sei man sich zwar „nie sicher“. Er gehe aber davon aus, „dass wir gute Argumente haben“.

Die von der Bahn geforderte Verlängerung der Verjährungsfrist für mögliche finanzielle Ansprüche hat das grün-schwarze Landeskabinett in seiner gestrigen Sitzung offiziell abgelehnt. Die Reaktion erfolgte prompt: Sie sehe sich nach dem Beschluss der Landesregierung veranlasst, die „Beteiligung der Partner des Gemeinschaftsprojekts Stuttgart 21 an den Mehrkosten gerichtlich klären zu lassen“ und ziehe deshalb vor das Stuttgarter Verwaltungsgericht, teilte die Bahn wenige Stunden nach dem Kabinettsbeschluss mit. Die Klage kommt dem Regierungschef „merkwürdig“ vor: Immerhin erfolge die Zahlung der 930 Millionen freiwillig. Der Bau von Bahnhöfen sei schließlich Sache der Bahn und nicht der Länder, wird schon seit Jahren argumentiert.

Höhere Beteiligung als alle Länder

Außerdem beteilige sich das Land an weiteren Projekten der Bahn „mehr als alle anderen Länder zusammen“. Kretschmann rattert dann auch die Mitfinanzierung von Bahnprojekten durch das Land herunter - vom Ausbau der Rheintalstrecke bis zur Südbahn. Ebenfalls „merkwürdig“ kommt es dem Ministerpräsidenten daher vor, „diejenigen zu beklagen, die mitzahlen“. Merkwürdig sei auch, wenn die Bahn aus der freiwilligen Zahlung noch weitere Zahlungen abzuleiten versuche. Auch Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sieht in der Klage der Bahn ein denkbar schlechtes Signal an Länder, die bereit seien, sich freiwillig an Bahnprojekten zu beteiligen. Kretschmann erinnert sogar an seinen Vor-Vor-Vorgänger als Regierungschef, Erwin Teufel (CDU). Der hatte einstens den Anteil des Landes an Stuttgart 21 noch als Vorfinanzierung geplant, aus der dann ein verlorener Zuschuss wurde. Bei Mehrkosten in der Pflicht sieht der Ministerpräsident den Konzern selbst und dann den Bund als Eigentümer. Der Bahn-Aufsichtsrat müsse schauen, „dass die Kosten im Rahmen bleiben“.