Symbolisch wird mit Axt und Hammer auf ein Auto eingeschlagen. Fotos: dpa Quelle: Unbekannt

Von Andrea Eisenmann

Stuttgart - Zur Geduldsprobe wurde gestern Abend für viele Autofahrer die Heimfahrt durch die Innenstadt. Zwei Bürgerinitiativen hatten auf den Hauptverkehrsachsen B 27 beziehungsweise B 10/14 zu einer Demonstration gegen Feinstaub eingeladen. Nach Polizeiangaben folgten etwa 700 Teilnehmer dem Aufruf. Der Verkehr in der City kam kurzzeitig zum Erliegen.

Das Anliegen der Demonstranten ist nicht zu überhören. „Fahrverbot, Fahrverbot - Mittel gegen frühen Tod“ rufen sie im Chor. Minuten später schallt es: „Wir sind laut, wir sind hier, gegen Feinstaub kämpfen wir.“ Trommeln geben das Tempo vor, in dem die Teilnehmer des Zugs auf Höhe Etzelstraße die Haltestelle Bopser umrunden und von dort aus wieder stadteinwärts in Richtung Charlottenplatz ziehen. Husten ist aus einem Lautsprecher mit der Aufschrift „Stuttgarter Organklagen“ zu hören, viele Demonstranten tragen Mundschutz. „Ich möchte, dass meine Kinder in einer Stadt mit sauberer Luft aufwachsen. Das ist unser gutes Recht“, sagt eine Mutter, die ihren zweijährigen Sprössling im Buggy schiebt. Das Nachsehen haben die Autofahrer, die im dichten Berufsverkehr warten müssen, bis die Straßen freigegeben werden.

Die Polizei schätzt die Zahl der Demonstranten, die zu Fuß unterwegs sind, auf 500, etwa 200 hätten auf Fahrrädern an dem Zug teilgenommen. Größere Zwischenfälle habe es keine gegeben, es sei jedoch zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen gekommen. Während einige Passanten den Protestzug mit Sympathie verfolgen, ist die Verärgerung bei vielen Autofahrern groß. „Nullkommanull Verständnis“, habe er, dass eine Demo auf einer Hauptverkehrsachse zu dieser Uhrzeit genehmigt werde, formuliert ein Mann gegenüber einem Polizisten seinen Unmut.

Das Thema saubere Luft in Stuttgart stand bereits am Mittag im Zentrum einer Pressekonferenz, zu der verschiedene Verbünde eingeladen hatten. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bekräftigte dabei ihre Forderung, dass mehr gegen die Feinstaubbelastung in Innenstädten, speziell in Stuttgart, getan werden müsse. Die beschlossenen Fahrverbote für alte Diesel reichten nicht aus. Geschäftsführer Jürgen Resch sprach sich dafür aus, dieses auch auf Diesel-Fahrzeuge der Euronorm 6 auszudehnen. Messungen der Organisation hätten ergeben, dass bei der Mehrzahl der neuen Modelle die Grenzwerte bei Stickoxiden im Zeitraum zwischen Oktober bis März noch deutlicher als in den Sommermonaten überschritten worden seien. Lediglich zwei von 15 getesteten Fahrzeugen hätten den zulässigen Wert eingehalten. „Zwei der drei schmutzigsten Fahrzeuge aus deutscher Produktion stammen aus dem Hause Daimler“, stellte Resch fest.

Ewald Thoma von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrslärm Region Leonberg hat sich mit der Frage beschäftigt, welche Rolle Feinstaub bei der Grippewelle im Winter gespielt hat? Der frühere Mitarbeiter der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass zwischen Perioden hoher Feinstaubkonzentration und heftigen Atemwegserkrankungen ein Zusammenhang besteht. Diesem Verdacht müsse das Gesundheitsministerium nachgehen.

Auch die Vertreter der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart meldeten sich gestern zu Wort und forderten angesichts der ab 2018 geplanten Diesel-Fahrverbote Ausnahmen für Unternehmen. Allein in Stuttgart seien 7900 Mitgliedsbetriebe aus dem Groß- und Einzelhandel, 1900 Gaststätten und Hotels sowie 3500 Betriebe des produzierenden Gewerbes betroffen, teilte IHK-Präsidentin Marjoke Breuning mit. Nahezu alle Branchen seien vom Lieferverkehr abhängig. „Für viele Unternehmen sind ihre Fahrzeuge Arbeitsmittel und Existenzgrundlage.“ Eine Erneuerung der Flotte dürfte Jahre in Anspruch nehmen.

Zwar räumte auch Breuning die Notwendigkeit von Fahrverboten ein, der Wirtschaftsverkehr in der Innenstadt müsse jedoch „funktionsfähig“ bleiben. Für ein nachhaltiges Gesamtkonzept gelte es, Visionen zu entwickeln. Das Rosensteinviertel könnte zum Testfeld dafür werden, wie der Lieferverkehr mit Hilfe von modernen, schadstoffarmen Logistiklösungen abgewickelt werden kann. Zu den weiteren Forderungen gehörten die Förderung von Elektrofahrzeugen, der Ausbau des Park-&-Ride-Angebots und des öffentlichen Nahverkehrs.