Gruselige und glamouröse Wesen aus den Filmen von Produzent Carl Lämmle werden im Haus der Geschichte lebendig. Fotos: Eisenmann Quelle: Unbekannt

Von Andrea Eisenmann

Stuttgart - Wusch. Die weiß gekleidete Frau mit dem vernarbten Gesicht breitet ihren Umhang aus, hüllt den völlig verdatterten Besucher darin ein und schmiegt sich sehnsuchtsvoll an ihn. Dem Mann klappt die Kinnlade herunter. Hilfesuchend sieht er sich nach seinen Freunden um. Die stehen jedoch nur lachend daneben. Nach ein paar Sekunden ist das unfreiwillige Rendezvous wieder vorbei. Wusch. Frankensteins Braut hat sich ihr nächstes Opfer geschnappt.

In dieser Nacht treiben im Haus der Geschichte noch zahlreiche weitere cineastische Untote ihr Unwesen. Der Glöckner von Notre-Dame läuft gebückt durch das Foyer und gibt seltsame Laute von sich, eine Mumie ist eigens ihrem Sarkophag entstiegen, auch Graf Dracula hat sich unter die Besucher gemischt. Zum Gruseln sehen sie alle aus. Allerdings verbindet sie noch ein weiterer Umstand: Es sind alles Wesen aus Filmen, die in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts unter Leitung von Carl Lämmle gedreht worden sind. Dem 1939 verstorbenen, schwäbischen Hollywood-Produzenten ist derzeit im Haus der Geschichte eine Sonderausstellung gewidmet und so entstand die Idee, die Besucher zu einer „Nacht der Monster und Diven“ zu bitten, so Sprecher Joachim Rüeck. Schließlich müsse man den Teilnehmern der Veranstaltung etwas bieten. „Wir sind die einzige Einrichtung an der Konrad-Adenauer-Straße, die heute Abend geöffnet hat“, sagt er mit Blick auf die derzeit geschlossenen beziehungsweise noch nicht eröffneten Einrichtungen entlang der Kulturmeile.

Wusch. Die Frau in Weiß ist ins Restaurant Tempus gehuscht und hat sich unter eine Gruppe Frauen gemischt, die an den Stehtischen die Musik des DJ genießen. Der Raum ist mit Spinnweben samt Plastikbewohnern dekoriert. „Moment“, sagt eine Besucherin. „Das muss ich mit dem Handy festhalten.“ Frankensteins Braut macht die Foto-Session nur allzu gern mit. „Ich liebe diese Rolle. Das bin einfach ich“, schwärmt Dora Da Lanca-Platzgummer, die sonst als Mitarbeiterin in der Sammlung des Museums tätig ist. Mit Fotos aus den Filmen wurden alle Mitwirkenden von den Profis des Staatstheaters für den Abend geschminkt. Etwa zweieinhalb Stunden habe seine Verwandlung in eine Mumie gedauert, schätzt Andreas Fett. Während die meisten Monster auf Kostüme aus dem Staatstheater-Fundus zurückgreifen konnten, wurde bei ihm vieles selbst angefertigt. „Sogar Bettlacken von Mitarbeitern mussten daran glauben.“

Sophie Reinlaßöder durfte da schon in ein deutlich edleres Gewand schlüpfen. In einem goldschimmernden Abendkleid verkörpert sie die Stummfilm-Ikone Florence Lawrence und kann den Besuchern manch nette Anekdote zu ihrer Person erzählen. „Um sie ins Gespräch zu bringen, hat Lämmle anonym den Zeitungen den Hinweis geliefert, Lawrence wäre verschwunden.“ Was mitnichten der Wirklichkeit entsprach. Allerdings konnte der clevere Schwabe sie so kurze Zeit später mit Verweis auf seinen neuen Film der Öffentlichkeit präsentieren und die Medien der Lüge bezichtigen. „Er hat so den Star-Kult erfunden.“

Bei der langen Nacht der Museen hatten am Samstag 82 Ausstellungsorte im Stuttgarter Stadtgebiet bis zwei Uhr morgens ihre Türen geöffnet. Die Veranstalter zählten26 000 Besucher - rund 1000 mehr als im Vorjahr. Aufgrund eines Fehlalarms musste das Mercedes-Benz-Museum im Neckarpark kurzzeitig geräumt werden.