Ein Fuß auf der Straße, ein Fuß auf dem Gehweg: Der Kandelmarsch in der Esslinger Innenstadt ist alles andere als ein alter Zopf Foto: Rudel Quelle: Unbekannt

Von Hermann Dorn

Für Christian Maier aus Köngen gibt es allen Grund zum Feiern. Fast vier Jahre lang hat er an der Hochschule Esslingen gebüffelt. Lustiges Studentenleben? „Das hat es vielleicht früher gegeben“, sagt der frischgebackene Absolvent im Fachbereich Gebäude- und Umwelttechnik. In manchen Semestern standen acht Klausuren auf dem Programm. 50 Prozent der Studenten, die mit ihm am Start waren, haben in diesem Bereich wegen der hohen Anforderungen vorzeitig das Handtuch geworfen.

Bevor Christian Maier zusammen mit weiteren 484 Absolventen der Hochschule an diesem Freitag zum traditionellen Kandelmarsch in die Altstadt aufbricht, nimmt er das Zeugnis und damit den Lohn für den Fleiß und gute Leistungen in den vergangenen Jahren entgegen. Für ihn gibt es freilich noch einen weiteren Anlass zur Freude: Der Arbeitsvertrag mit einer Firma in Filderstadt ist bereits perfekt. Zufriedenheit herrscht auch in seinem Umfeld. Die meisten Studenten, die sich gestern von der Hochschule Esslingen verabschiedet haben, blicken zuversichtlich in die Zukunft. Viele haben bereits eine Stelle gefunden. Andere rechnen sich gute Chancen aus, wenn sie in den nächsten Wochen die bereits vereinbarten Vorstellungsgespräche wahrnehmen. „Ich habe drei Termine“, sagt eine jungen Frau, die technische Betriebswirtschaft studiert hat. Sie ist überzeugt, dass es mit dem Start ins Berufsleben bald klappen wird.

Gute Perspektiven

Die meisten Absolventen verlassen die Hochschule mit dem Bachelor-Abschluss. Nur 56 haben drei Semester draufgesattelt, um einen Master-Abschluss zu erreichen. Die Tatsache, dass viele Studenten in Esslingen nach dem Bachelor in die Arbeitswelt streben, hängt mit den guten Perspektiven zusammen. In der Mehrzeit handelt es sich um angehende Ingenieure, für die es sehr gute Aussichten gibt, auch ohne Master einen guten Einstieg ins Berufsleben zu schaffen.

Auffällig ist, dass es eine ganze Reihe von Bachelor-Absolventen vorzieht, das Studium an anderen Universitäten fortzusetzen. Zu ihnen gehört Nino Baldok. Er wechselt nach den Ferien nach Konstanz, wo er seinen Master-Abschluss in Biotechnologie anstrebt. Der junge Mann rechnet sich auf diese Weise bessere Chancen aus, wenn es später darum geht, Geld zu verdienen.

Bevor die nächsten Schritte in die Zukunft unternommen werden, haben die Absolventen gestern ausgiebig gefeiert. Im Mittelpunkt stand wie seit 1922 der Kandelmarsch. Den wollte sich auch Manfred Ramsaier nicht entgehen lassen, der von 1967 bis 1970 in Esslingen studiert hat. Sein Abschluss im Fachbereich Feinwerktechnik war die Grundlage für ein erfolgreiches Berufsleben.

Lebendige Tradition

Der heutige Rentner denkt gern an die Studienzeit zurück. Allerdings ärgert er sich noch heute, dass der Kandelmarsch ausgerechnet in seinem Abschiedsjahr ausgefallen ist. Weil die Studentenbewegung damals auch Esslingen erreicht hatte, wurde der Kandelmarsch als alter Zopf betrachtet. Nach einer Abstimmung blieb die Veranstaltung im Jahr 1970 auf der Strecke.

Heute erweist sich die Tradition als quicklebendig. Zwar nehmen es die Studentinnen und Studenten mit der Kleiderordnung nicht immer ganz genau. Auf den Frack verzichten viele. Weißes Hemd und Zylinder gehören aber weiter dazu, wenn die Gruppe mit Leitern durch die Altstadt zieht, wobei die Teilnehmer mit einem Fuß die Straßen und mit dem anderen die Gehwege betreten. Die Gratwanderung erinnert an den Kompromiss, den 1922 einige Studenten gewählt haben, als sie auf dem Weg vom Zollberg in die Innenstadt von zwei Polizisten mit widersprüchlichen Auflagen konfrontiert wurden: Zuerst sollten sie sich mit ihrer Leiter auf dem Gehweg, dann auf der Straße fortbewegen.

Dieses Schauspiel lockte wieder viele Angehörige der Absolventen und Freunde der Hochschule an. Viele Mitglieder der Verbindungen boten mit ihren Kostümen eine farbenprächtige Kulisse. Die Absolventen strengten sich mit oder ohne Frack an, ihren Beitrag zu leisten. Viele haben sich im Internet einen Zylinder besorgt. Andere wurden bei der Suche in der Kleiderkiste fündig. Richtig teuer wurde es dagegen für Nino Baldok. Er hat sich in einem Modehaus für 150 Euro das passende Outfit geliehen.