Der Ernte- und Trachtenfestumzug ist das Herzstück des Vinzenzifests. Fotos: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Sabine Försterling

Trotz hochsommerlicher Temperaturen ließen es sich die Trachtenträger aus Nah und Fern in ihren aufwendig gearbeiteten historischen Gewändern und teilweise kiloschwerem Kopfputz nicht nehmen, beim Vinzenzifest der Egerländer, das zum 64. Mal in Wendlingen stattfand, beim Umzug gestern ein Stück Heimat zu präsentieren. Das historische Fest hat sich zu einem Stadtfest gemausert. Am Samstagabend feierten mehr als 2000 Gäste eine Party mit DJ bis kurz vor Mitternacht. Das Vinzenzifest als gelungene Integration von Heimatvertriebenen, die einst auch auf der Flucht waren, war auch in den politischen Reden Thema.

Der Frieden war angesichts der aktuellen Situation von Flüchtlingen beim Vinzenzifest so präsent wie nie zuvor. Die Egerländer hatten vor 64 Jahren die mehr als 300 Jahre alte Tradition aus Eger mitgebracht. So wurde gestern in der Prozession zunächst die Reliquie des Heiligen St. Vinzentius nebst Erntekrone von der Kirche St. Kolumban zum Marktplatz geleitet. „Es liegt an uns, dass wir zum Frieden auf der Welt beitragen“, mahnte Dekan Paul Magino im Gottesdienst, bei dem zum Erntedank Birnen verteilt wurden. Bürgermeister Steffen Weigel strich beim Empfang die gelungene Integration der heimatvertriebenen Egerländer und den europäischen Gedanken hervor. „Europa muss wieder ein Fels in der Brandung in stürmischen Zeiten werden“, sagte Markus Grübel, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. „Denn nur ein starkes Europa kann Krieg, Flucht und Vertreibung Paroli bieten.“ Nationalstaatliches Denken in manchen Ländern bereiten ihm Sorge.

Es war eine schweißtreibende Angelegenheit für die Vereinsmitglieder, bei hochsommerlichen Temperaturen hinter dem Grill für Steak, Pommes oder heiße Wurst zu sorgen. Die Partnerstadt Dorog hatte ungarische Langos dabei, die Franzosen aus St.-Leu-la-Forêt Krabbencocktail und die Kärntner aus Millstatt eine Reinanke. „Dieser Fisch, den man nicht züchten kann, ist mit dem Felchen verwandt, kommt in Alpenseen vor und ernährt sich nur von Plankton“, erzählte Rudolf Sternig. Schnell war die geräucherte Spezialität ausverkauft, aber die saure Variante mundete ebenfalls.

Jona trug mit fünf Monaten bereits eine Trachtenhose - aber in Leinen, und nicht wie sein Vater aus Hirschleder. Er schlief beim Umzug im historischen Kinderwagen. „Ich trage die schwarze Haube der Verheirateten“, erzählte Mutter Angela Fischer. Ihr sei wichtig, dass die Jugend von Traditionen etwas mitbekomme, sagte die 34-Jährige vom Trachtenverein Dusslingen. Die Unverheirateten trugen einen Kopfputz, der an die zwei Kilogramm wog. Einige scheuten sich trotz Hitze nicht, diesen aufzusetzen. Rita Englisch reist seit Jahren von Konstanz nach Wendlingen, um ihre Patritziertracht und deren Geschichte zu zeigen. „Ich fühle mich als was Besonderes“, sagte Tatjana Hebestreit, die sich in ein elfenbeinfarbenes Kleid nebst schwarzer Perücke mit Korkenzieherlocken geworfen hat, um beim Country Club „Weisser Büffel“ mitzulaufen. Historische Traktoren knatterten auch durch die Stadt.

Der Musikverein Unterboihingen suchte Schatten in einem Privatgarten, bevor es auf die Umzugsstrecke ging. Seit neun Uhr morgens waren die Musiker am Sonntag unterwegs. Erst wurde die Prozession angeführt, dann beim Frühschoppen für Stimmung gesorgt. In Sonntagstracht hatte Renate Krispin mit den Mitstreitern des Kreisverbandes der Banater Schwaben am Samstagabend auf der Bühne vor dem Treffpunkt Stadtmitte getanzt: „Unsere Polka wird gezeppelt.“ Am Sonntag war die Gruppe im Gewand für die Kirchweih unterwegs. Die Männer trugen rosafarbene Bänder am schwarzen Hut.

Generationenwechel bei der Wendlinger Gmoi

Gelebte Patenschaft: Auf 50 Jahre gelebte Patenschaft könne man stolz sein, wies der parlamentarische Staatssekretär Markus Grübel (CDU) in seiner Vinzenzirede hin. 1966 hatte die Stadt Wendlingen die Patenschaft für die Egerländer in Baden-Württemberg übernommen. „Mein Vater Anton Rödl war damals nicht nur Vorsitzender der Egerländer Gmoi in Wendlingen, sondern auch Stadtrat“, erinnert sich Horst Rödl, langjähriger Vorsitzender und heutiger Ehrenvorsitzender. Das Vinzenzifest habe der Verein nicht alleine schultern können. „Was kostet das?“, habe der damalige Bürgermeister Helmut Kaiser gefragt, als die Stadt um Unterstützung gebeten wurde. Mit der Übernahme der Patenschaft für die Egerländer in Baden-Württemberg habe Wendlingen ein Zeichen gesetzt, fügte Sohn Mathias Rödl an, der seit März mit 34 Jahren nun als Vorsitzender die Geschicke der Gmoi leitet.

Tradition und neue Perspektiven: Vater Horst Rödl war 1946 mit seinen Eltern nach Wendlingen gekommen. Als Achtjähriger habe er um den Maibaum getanzt, wie es in seiner früheren Heimat üblich war, sagte der 78-jährige Ehrenvorsitzende. Die Egerländer pflegen nicht nur ihre Traditionen. Straßennamen in Unterboihingen sowie ein Informationszentrum im Treffpunkt Stadtmitte, die frühere Heimatstube, erinnern an die Heimatvertriebenen und ihre Kultur. Es sei ein Glücksfall, dass alle drei Söhne in seine Fußstapfen getreten sind, freute sich Horst Rödl. So bekleidet Stefan Rödl das Amt des zweiten Vorsitzenden und Ralf Rödl ist ebenfalls im Vorstandsteam. Das Vinzenzifest hat sich zum Stadtfest entwickelt. „Von der Patenschaft haben beide Seiten profitiert“, meint Horst Rödl. Und nun sind seine Söhne dran, auch innerhalb der Gmoi wieder für mehr junge Leute zu sorgen.foe