24.7.2016 Dieter Thomas Kuhn, "die singende Föhnwelle", in Esslingen zu Gast

 Foto: Engelhard

Von Alexander Maier

Es gab eine Zeit, da standen Schlager bei vielen nicht gerade hoch im Kurs. Oft und gern wurde gespöttelt, die Texte seien zu einfach und klischeebefrachtet, und die Melodien seien viel zu einfach gestrickt, als dass anspruchsvolle Kulturgenießer sie goutieren könnten. Entsprechend schwer taten sich die Vertreter der leichten Muse, beim Publikum Gehör zu finden. Doch das ist lang vorbei – und einer hat am Comeback der Schlagerseligkeit gewaltigen Anteil: Dieter Thomas Kuhn, der Mann mit dem Brusthaartoupet und dem zarten Schmelz in der Stimme, der von seinen Fans als „die singende Föhnwelle“ verehrt wird. Wenn der Schlager-König Hof hält, und das tut er jedes Jahr zur Sommerzeit ausgiebig, dann kommen seine Fans in Scharen und schwelgen mit ihm in schierer Begeisterung für eine Musik, die sie oft seit Kindertagen begleitet. So war das am Sonntagabend auf der Esslinger Burg, wo 4000 Fans ihrem Idol einen fulminanten Empfang bereiteten. Und weil auch das Wetter ausnahmsweise keine Kapriolen machte, war’s für alle Beteiligten ein gelungener Abend.

Die Sonnenblume darf nicht fehlen

Dieter Thomas Kuhns Auftritt nur als Konzert zu beschreiben, wäre entschieden zu kurz gegriffen. Denn der Meister macht jeden Abend zum großen Happening, und sein Publikum spielt dabei eine Hauptrolle: Viele kommen passend gekleidet – Schlaghosen, Flower-Power-Outfits, Blümchenblusen, Paillettensakkos, Rüschen- und Hawaiihemden gehören ebenso zur DTK-Grundausstattung wie Glitzersonnenbrillen, Schlapphüte und Blumengirlanden. Und natürlich Sonnenblumen. Ganze Felder müssen am Sonntag abgeerntet worden sein, so viele sonnengelbe Blüten reckten sich am Abend in den Himmel über der Burg.

Es ist schon ein besonderes Flair, das Dieter Thomas Kuhns Konzerte umgibt. Der Meister ist „im Auftrag der Liebe“ unterwegs – und sein Publikum liebt ihn. Der Tübinger Schnulzen-Virtuose kennt sich aus im Repertoire der leichten Muse, und er lässt in seinen Konzerten nichts aus. Bekannte Hits wie „Sag mir quando“, „Dschinghis Khan“ oder Reinhard Meys „Über den Wolken“ holt er aus dem Fundus, poliert sie mit seiner Haus- und Hof-Kapelle munter auf und drückt dabei gerne mal aufs Tempo, um dem Genre etwas von jener Behäbigkeit zu nehmen, die in den 70er-Jahren angesagt war, inzwischen jedoch nicht mehr zu heutigen Hörgewohnheiten passt.

Bei seinen Fans kommt das an: Regelmäßig tourt DTK mit seiner  Kapelle durch die Lande, und seine Konzerte sind im Handumdrehen ausverkauft. So wie das auf der Esslinger Burg, für das schon lange keine Tickets mehr zu haben waren. Manche mögen sich verwundert fragen, weshalb Dieter Thomas Kuhn derart gut ankommt – und das schon seit den frühen 90er-Jahren, als Thomas Kuhn und Philipp Feldtkeller diese Kunstfigur „zum Zwecke der Bühnendarbietung von Schlagermusik der 70er-Jahre“ entwickelten. Selbst Kulturwissenschaftler haben sich seiner angenommen und sprechen von einem „Phänomen der Postmoderne des ausgehenden 20. Jahrhunderts“ und davon, dass „die Kopie das Original in Wucht und Wirkung weit übertrifft“. Vielleicht sind solche hochtrabenden Erklärungsversuche aber auch viel zu hoch gegriffen und alles ist viel einfacher zu erklären: Entscheidend ist, dass DTK den Nerv seiner Fans perfekt trifft und genau weiß, was seinem Publikum Laune macht. Viele sind mit Schlagern wie „Schön ist es auf der Welt zu sein“, „Griechischer Wein“ oder „Ich war noch niemals in New York“ groß geworden, und indem sie Dieter Thomas Kuhn feiern, feiern sie auch ein bisschen sich selbst und die eigene Biografie. Und schon fühlt man sich auf wundersame Weise leicht und beschwingt.

Schlagerseligkeit mit Augenzwinkern

Wie war das doch gleich, als man in jungen Jahren an jedem Samstagabend andächtig vor dem Fernseher saß, Dieter Thomas Heck und seiner ZDF-Hitparade entgegenfieberte und hin und weg war, wenn Juliane Werding „Am Tag als Conny Kramer starb“ oder Daliah Lavi ihr „Willst Du mit mir geh’n“ ins Mikrofon hauchten? Natürlich wäre jeder damals bereitwillig mitgegangen – und heute geht man eben zu Dieter, der die Herzen seiner Fans in der Erinnerung an vermeintlich gute, alte Zeiten höher hüpfen lässt.

Der Tübinger Schlager-König hat die leichte Muse der 70er-Jahre genau studiert. Und er ironisiert das Genre so behutsam, dass man drüber schmunzeln kann, ohne das Gefühl zu haben, dass er die Schlagerseligkeit durch den Kakao ziehen würde. Und wenn er’s doch tut, muss es ein selbstironisches Augenzwinkern sein – zum Beispiel in seinen Moderationen, die oft so dämlich sind, dass es schon wieder köstlich ist. Seine Bühnenshow hat DTK bis zur Perfektion entwickelt: Pyroeffekte, Showtreppe, Glitzerkostüme, Video- und Lichtdesign und am Ende gar ein qualmender Flügel – Kuhn weiß, wie man’s macht.

Es ist eine Freude, „den Dieter“ auf der Bühne oder beim Bad in der Menge zu beobachten. Mindestens ebenso vergnüglich ist es jedoch, zu erleben, wie 4000 Schlager-Fans auf der Esslinger Burg einfach nur hin und weg sind – bei manchen schlägt die Begeisterung solche Wellen, dass aus Jux schon mal ein BH auf die Bühne fliegen kann. Viele tanzen und singen vom ersten Song an mit, manche lauthals und andere mit verträumtem Blick nur für sich selbst. Und während man noch staunend beobachtet, wie textsicher der eine oder andere bis in die letzte Strophe ist, ertappt man sich dabei, wie man plötzlich selbst lauthals losschmettert, weil die Extra-Portion Glücksgefühle, die DTK seinem Publikum verordnet, kaum einen kalt lässt.