16.10.2016 Gäste aus Nah und Fern haben sich das Kraut beim Filderkrautfest schmecken lassen.

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Von Thomas Krytzner

Die Organisatoren scheinen einen guten Draht nach oben gehabt zu haben. Denn am frühen Samstagmorgen waren am Himmel noch dicke Regenwolken zu sehen. Doch kurz vor dem Start des Filderkrautfestes in Oberaichen legte der Wettergott den Schalter auf Schönwetter um: Die Wolken verzogen sich und mehr und mehr blauer Himmel und Sonnenschein ließen die Herzen der Krautfreunde höher schlagen - und sorgten bei den Festgästen für gute Laune.

Oberbürgermeister Roland Klenk konnte im Festzelt in Oberaichen allerhand Prominenz aus Politik und Wirtschaft begrüßen. Der Landesvater, Winfried Kretschmann, hatte zwar zugesagt, musste aber kurzfristig umdisponieren. Dafür vertrat Michael Hennrich, CDU-Abgeordneter für den Wahlkreis Nürtingen, den Bundestag beim Krautfest. Klenk freute sich auch über den Vorstandssprecher der Stuttgarter Straßenbahnen Wolfgang Arnold und gab ihm bei der Gelegenheit gleich einen Denkanstoß mit: „Wenn schon ein Schienenleger da ist, könnte man doch über die ‚UO‘ nachdenken - die Untergrundbahn Oberaichen.“ Mit Schmunzeln spendeten die Gäste Applaus, als Wolfgang Arnold schlagfertig zurückrief: „Ihnen kraut vor gar nichts!“ Nach der Begrüßung der Delegationen aus Friedrichskoog an der Nordseeküste, aus Raesfeld (Nordrhein-Westfalen) und Wetschesch (Vecsés) in der Nähe von Budapest, eröffnete der Oberbürgermeister dann den Krautschmaus.

Beim Festzelt in Oberaichen trifft man auf das Krautkönigspaar, Erika und Otto Neuberger. Sie repräsentieren das Filderkrautfest bis weit in die Region hinein. Da sie selbst Spitzkraut anbauen, haben die beiden ein enormes Hintergrundwissen über Anbau und Ernte des Gemüses parat. Otto Neuberger fällt aber auch durch seinen schwungvollen und akkuraten Bart auf. Er gehört zum Bartclub „Belle Moustache“ in Leinfelden-Echterdingen, der laut einem Mitglied mehr als 100 Mitglieder haben soll. Zum Krautfest reiste der Krautkönig mit einem eigenem Tross an: Herbert Heider fungierte als Helfer und Bernhard Heinzmann ist der Vorsitzende des Vereinsrings Leinfelden-Echterdingen. Entspanntes Feiern war aber zunächst einmal nicht angesagt. Das Königspaar hat Stress: Gleich nach dem Schmaus gilt es, pünktlich zum Fassanstich in der Innenstadt zu sein.

Seit 28 Jahren organisiert Julia Oelgemöller vom städtischen Kulturamt das Krautfest. Trotz dieser langen Zeit ist sie das Fest noch lange nicht leid: „Mich faszinieren jedes Jahr aufs Neue die vielen Menschen, die sich für unser Kraut interessieren.“ Ihre Arbeit sieht sie als Full-Time-Koordinations-Job - mit einer neuen Dimension in diesem Jahr: „Seit Anfang September planen wir. Da sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann angemeldet hatte, gab es diesmal auch erhöhte Sicherheitsbestimmungen. Da mussten wir mit Polizei und Bodyguards alles besprechen“, erzählt Julia Oelgemöller. Leicht enttäuscht merkt sie allerdings an: „Und jetzt kam er dann doch nicht.“ Bei der Frage, wie lange sie noch in der Organisation tätig sei, lacht sie: „Jetzt bin ich nur noch zur Aushilfe dabei, bis die neue Kollegin da ist. Wenn Enkelkinder da sind, fällt mir das Aufhören leicht. Da kann ich loslassen.“ Julia Oelgemöller hat noch einen Geheimtipp: „Die kleinen Wirtschaften gefallen mir am Krautfest besonders und die Italiener in Musberg machen die beste Pizza der Stadt.“

Mittlerweile haben sich die Majestäten in die Innenstadt begeben und stehen mit weiteren Würdenträgern auf der Festbühne und warten auf den berühmten Böllerknall. Offenbar hat jedoch der Sprengmeister nicht gehört, wie die Turmuhr zwei Uhr geschlagen hat - und erst, nachdem der stellvertretende Bürgermeister Carl-Gustav Kalbfell androht, „ohne Böller kann das Filderkrautfest nicht starten“, kommt schließlich doch noch der befreiende Knall. Nachdem Kalbfell die beiden Bierprinzessinnen Alicia und Romy vorgestellt hat, kündigt er an: „Dies ist mein erstes aktives Krautfest und damit gibt es gleich auch meinen ersten Fassanstich.“ Er ruft den mehreren hundert Besuchern auf dem Festplatz zu: „Das ist unser Stadt- und Vereinsfest. Wir wollen Stimmung, Gaudi und Spaß haben.“ Danach schreitet er mit dem Holzhammer zur Tat und schafft es, mit drei Schlägen das Bierfass anzuzapfen: „A‘zapft is“, verkündet er und eröffnet damit das zweitägige Fest.

Aus Ungarn sind Alexandra und Joseph Szabados angereist. In ihrer Heimatstadt Wetschesch, die neben dem Budapester Flughafen liegt, wird ebenfalls viel Kraut angebaut. Joseph Szabados ist selbst Landwirt und erklärt: „Die Ungarn lieben Kraut auch, wir bauen aber vornehmlich Krautköpfe an.“ Die beiden sind mit einem eigenen Stand nach Leinfelden-Echterdingen gekommen und preisen ihre hausgemachten, eingelegten Spezialitäten aus Ungarn an. Die ungarische Tracht, die sie tragen, wird vor allem am Weinlesefest angezogen. Wetschesch gilt jedoch vor allem als „Kraut-Eldorado“ in Ungarn. „Vor zwei Wochen haben wir Krautfest in der Heimat gefeiert“, erzählt Alexandra und erzählt: „Wir machen auch Wettkämpfe, allerdings geht es da ums Putzen der Kohlköpfe. Und eine Miss-Wahl führen wir auch durch.“

Stolz berichtet Alexandra Szabados, dass in diesem Jahr eine große Hochzeit in donauschwäbischer Tradition aufgeführt wurde. „Da gab es einen Rundgang mit Kapelle, Braut und Bräutigam und wir tanzten die ganze Hochzeit.“ Zum Krautfest in Wetschesch kommen neben vielen Budapestern auch viele Deutsche. Zu den Spezialitäten gehören laut der Ungarin vor allem Sauerkraut und gefülltes Kraut. „Das essen wir vor allem an Weihnachten sehr häufig.“ Noch bis Montag bleiben die beiden ungarischen Gäste in der Region, danach geht es wieder zurück in die 22 000-Seelen-Stadt in Ungarn.

Das Spitzkraut ist klarer Favorit beim Filderkrautfest. Aber dennoch gibt es viele weitere landwirtschaftliche Produkte zu sehen und zu kaufen. Die Familie Bayha etwa präsentiert an ihrem Marktstand neben den diversen Krautarten auch Gemüse wie Karotten und Blumenkohl sowie verschiedene Salate. Michel Bayha erklärt, warum: „Die Nachfrage nach regionalem Gemüse ist in den letzten Jahren stets gestiegen. Die Kunden freut es, wenn wir genau sagen können, von welchem Feld die Ware kommt.“ Die Ernte in diesem Jahr bezeichnete Bayha als ertragreicher im Vergleich zum Vorjahr: „Letztes Jahr war es zu heiß. Glücklicherweise hat es in diesem Jahr immer wieder mal geregnet.“

Insgesamt ist das Krautfest eine Mischung aus Informations-, Spiel- und Gourmettag. Für Jung und Alt gibt es in den Straßen und Gassen überall etwas zu bestaunen. Karussells und Hüpfgurte locken die Jüngsten, während Mütter und Väter an den verschiedenen Ständen immer wieder Halt machen und sich mit Krautspezialitäten verwöhnen. Die Stimmung ist ausgelassen - was sicherlich nicht zuletzt dem traumhaften Wetter zu verdanken ist.