Joachim Blessing poliert einen Schrank. Im Leinensäckchen befindet sich Polierwatte, die mit etwas Schellack und Nitro-Zellulose getränkt ist. Quelle: Unbekannt

Sie könnte Kinderträume beflügeln, diese dunkle riesige Truhe, die mitten in der Werkstatt von Joachim Blessing steht. Was verbirgt der Deckel mit dem schweren Riegel und dem verzierten Schlossblech? Einen Piratenschatz auf dem Schurwald wohl doch nicht. Wahrscheinlich hat ein reicher Bauer sein Mehl darin gelagert, vielleicht auch die Aussteuer für die Tochter. Jetzt steckt jedenfalls viel Arbeit des Restaurators drin.

Wenigstens 36 Stunden hat Joachim Blessing investiert, damit die Kiste künftig eine Diele oder ein Wohnzimmer ziert. Er hat das Nadelholz mit einer leichten Alkohollösung gereinigt, innen ein fehlendes Abteil ergänzt, die Holzkufen erneuert, Spalten mit Leisten ergänzt, Löcher mit Kitt ausgefüllt und ein verwurmtes Brett mit Kunstharz gefestigt. Die Eckbeschläge sind neu, mit Salzsäure hat der Restaurator das Blech auf alt getrimmt, um es dann mit mikrokristallinem Wachs zu konservieren. Jetzt muss Blessing nur noch das Schloss einsetzen, dessen fehlenden Schlüssel der Truhenbesitzer selbst gefertigt hat.

Vor elf Jahren hat der Schreinermeister, der in der Unteren Beutau in Esslingen wohnt, eine dreimonatige Weiterbildung zum „Restaurator im Handwerk“ absolviert. Man kann das Restaurieren auch an verschiedenen Hochschulen studieren. Blessing büffelte in der Propstei Johannesberg in Fulda die bauchemischen Grundlagen, lernte, welches Material zu welcher Epoche passt, erfuhr manches über Kultur- und Stilgeschichte. In Schanbach mietete er sich in der Hinterhof-Werkstatt der Schreinerei Volmer ein, deren großen Maschinen er mitbenutzen kann.

Schellack und Knochenleim

War anfangs die Auftragslage etwas dünn, kann Blessing heute ein Fotoalbum mit vielen Arbeiten vorweisen.

Eine Kirchenbank für St. Salvator in Schwäbisch Gmünd, den Boden im Faulhaberschen Haus in Esslingen (ehemalige VHS), Geländer und Fensterläden eines Baudenkmals in Öschingen, eine Neu-Rokoko-Kommode, einen Biedermeierschrank, unzählige Stühle.

Ein seltsamer Geruch hängt in der Werkstatt. Ist es der Schellack? Joachim Blessing riecht es nicht mehr und lässt den Besucher an ein paar Fläschchen schnuppern. Fischleim? Hasenleim? Vielleicht ist es doch Haut- oder Knochenleim, den der Restaurator oft verwendet - so wie ihn früher jeder Schreiner benutzte. In den alten Zeiten musste der Lehrling morgens zuerst den Leimofen anzünden, um den Kleber flüssig zu machen. Blessing nimmt einen Fläschchenwärmer.

Traditionelle Techniken und Materialien anwenden, um den historischen Charakter eines Möbels wiederherzustellen und es als Zeitdokument zu erhalten, das ist ein Prinzip der Restaurierung. Reversibel vorgehen, ist ein zweiter Grundsatz. Das bedeutet beispielsweise einen Kleber nehmen, den man mit heißem Wasser wieder lösen kann. Vielleicht gibt es ja eines Tages eine bessere Technik. Blessing ist jedoch überzeugt, dass die über Jahrhunderte erprobten Materialien die besseren sind: „Moderne Lacke verblassen schneller.“ Mit Schellack zu grundieren, das gebe der Oberfläche „eine gewisse Tiefe“. Die orangefarbenen Plättchen, die aus dem Sekret der asiatischen Schildlaus hergestellt sind, muss der Restaurator aber zuerst schmelzen.

Um die Oberfläche dreht sich fast alles beim Restaurieren. Einfach glatt schleifen, das kommt für den Fachmann nicht in Frage. Nicht nur, dass ein Boden oder ein Möbelstück ohne Gebrauchsspuren ihren Charakter verlieren - wenn es dumm läuft, legt man sogar die Fraßgänge des Holzwurms frei. Lieber mit einer rückfettenden Marseiller Seife reinigen, notfalls auch mit Spiritus. „Wenn mit Holz und Kohle geheizt worden ist, sitzt viel Dreck auf dem Möbel drauf“, weiß Blessing.

An dem halbhohen Schrank hat das Reinigen gut geklappt. Auf einem maserierten Nadelholz-Schrank dessen schöne Holzstruktur durch die Lackierung vorgegaukelt wird, muss Blessing doch das gehärtete Leinöl anschleifen - ein Kompromiss. „Manchmal sind die Kunden enttäuscht, wenn die Maserung hinterher weg ist - aber solche Schränke sind oft nicht gemacht, um holzsichtig zu sein.“

Eine Restaurierung kann mit einer Überraschung enden. „Das ist nicht unser Schrank!“ Joachim Blessing hat diese Reaktion schon erlebt. Ein Kunde brachte einen weiß lackierten Schrank. Nachdem Blessing die weiße und eine blaue Farbschicht abgetragen hatte, kam darunter ein „wunderbares Pyramiden-Mahagoni“ hervor, das ist eine natürliche, fast gemäldeartige Maserung. Nachdem Blessing mit Schellack die Oberfläche neu aufgebaut hatte, stand der Schrank glänzend da - ganz dunkel.

Patina auf Lager

Furnierte Oberflächen zu glätten oder zu ergänzen, gehört zum Standardprogramm und erfordert spezielle Techniken. Hat das Furnier Wellen geschlagen, klemmt der Handwerker ein Sandwich aus zwei Hölzern und einem heißen Blech auf die Fläche. Die Wärme löst den Leim, eventuell spritzt Blessing frischen Leim darunter. Nach dem Erkalten klebt das Furnier plan auf dem Holz. Muss ein Stück Furnier ergänzt werden, kruschtelt Blessing in einem Kistchen mit alten Furnierresten - ein Restaurator ist auch ein Sammler und hat immer etwas für die Patina auf Lager. Moderne Wohnungen sind trocken, die Trockenrisse in massiven Holzmöbeln sind ein weiteres Aufgabenfeld für den Restaurator. Mit Haut- und Knochenleim lassen sich kleine Risse füllen, mit modernem Weißleim funktioniert es nicht, sagt Blessing. Ist der Spalt größer, fügt er eine Leiste ein.

Lohnt es sich? Diese Frage wird ihm vor der Auftragsvergabe oft gestellt. Häufig handelt es sich nicht um hochwertige Antiquitäten. Blessing antwortet diplomatisch: „Wenn Ihnen das Möbel etwas bedeutet und es hinterher gut dasteht, lohnt es sich.“ Nicht immer lohnt sich der Auftrag für ihn. „Anfangs habe ich viel Lehrgeld gezahlt - und manchmal kommt es auch heute noch vor, dass die Kosten aus dem Ruder laufen.“ Zwar warnt der Fachmann die Kunden immer, dass Unvorhergesehenes eintreten könne, aber ein Restaurator brauche auch Idealismus. Den kann er nicht in Rechnung stellen.

www.restaurator-blessing.de