In Altenriet kommt die Brezel groß raus. Foto: Gemeinde Altenriet Quelle: Unbekannt

Not macht erfinderisch. Dieser Tatsache haben die Schwaben der Legende nach ihr liebstes Gebäck zu verdanken: Einst buk Hofbäcker Frieder aus Urach so schlechtes Brot, dass er zur Strafe im Schlosskerker landete. Doch der großzügige Graf Eberhard V. gab dem Bäcker die Möglichkeit, sein Leben zu retten. Dazu müsse er ein Brot erfinden, durch das dreimal die Sonne scheint. Der Bäcker tat, wie ihm geheißen und formte ein Gebäck, das durch Überkreuzen der Enden drei Öffnungen bekam - und erfand so die Brezel. In Altenriet im Kreis Esslingen ist man sich sicher: Genau so hat die Geschichte stattgefunden, nur nicht in Bad Urach, sondern in Altenriet.

So oder so haben die Altenrieter guten Grund, eine Brezel im Wappen zu tragen: Das Laugengebäck ist für die kleine Gemeinde nicht nur identitätsstiftend, sondern durch den jährlich veranstalteten Brezelmarkt auch fest im kulturellen Leben verankert. Jedes Jahr am Wochenende des Palmsonntags dreht sich in Altenriet alles um die traditionelle Köstlichkeit. „Die Brezel hat für uns einfach großen Symbolwert“, erklärt Bürgermeister Bernd Müller. Genau wie um die Entstehung der Brezel ranken sich auch um die Geschichte des Brezelmarkts die Legenden. Einst soll nämlich der Burgherr Lutz von Riet auf seiner Burg Neuenriet mit großem Genuss Brezeln verspeist haben. Eines Tages schenkte er seinen Kindern Brida und Reinhard eine übrig gebliebene Brezel. Die beiden stritten so heftig um das Geschenk des Vaters, dass die Brezel beim Gerangel entzwei brach. Die Kinder, die beide an ihrem Teil der Brezel gezerrt hatten, stürzten von der Brücke und ertranken im Neckar. Da schwor der Burgherr, dass dergleichen nie wieder passieren dürfe und veranstaltete von da an einmal im Jahr am Palmsonntag den Altenrieter Brezelmarkt, auf dem jedes Kind eine Brezel geschenkt bekommen sollte.

Heute ist der Brezelmarkt ein Riesenevent für Groß und Klein. „Der Brezelmarkt ist jedes Jahr die größte Veranstaltung im Raum Nürtingen“, erzählt Bürgermeister Müller stolz. Vier Vereine organisieren das Volksfest, das heuer vom 7. bis zum 9. April gefeiert wird: Tennisverein, Turn- und Sportverein, Liederkranz und die Freiwillige Feuerwehr Altenriet. Die Gemeinde ist jedes Jahr Schirmherr. Ab September oder Oktober des Vorjahres trifft sich der sogenannte Brezelmarktausschuss, um das Spektakel vorzubereiten. Thomas Melchinger ist 2017 zum fünften Mal Geschäftsführer der Brezelmarktgesellschaft und bereits seit 19 Jahren im Ausschuss. Als Geschäftsführer ist er für die Pressearbeit zuständig, leitet die Sitzungen und ist verantwortlich dafür, dass am Wochenende um den Palmsonntag alle genau da sind, wo sie sein sollen. Die Organisation des Festes bedeutet für die kleine Gemeinde eine große Herausforderung - allein das Helferpersonal zu stellen, ist schwierig. Dennoch macht Melchinger seine Arbeit gerne: „Die Organisation des Brezelmarktes ist für mich kein Muss, sondern bedeutet Spaß. Da sind die richtigen Leute an der richtigen Position und deswegen funktioniert alles super.“ Müller bestätigt: „Jedes Jahr investieren wir tausende von Arbeitsstunden. Aber der Aufwand lohnt sich.“. Auf Freitag und Samstag, an denen bereits ordentlich gefeiert wird, folgt mit dem Palmsonntag der Haupttag des Brezelmarkts.

Traditionellerweise wird der Tag mit einem Frühschoppen eingeläutet, außerdem gibt es einen Krämermarkt am Festzelt sowie einen großen Umzug, bei dem ganz Altenriet auf den Beinen ist. Themenwagen greifen das aktuelle politische Geschehen auf, ähnlich wie an Fasching. „Da lassen die sich immer wieder was Neues einfallen, ich weiß auch noch gar nicht, was es dieses Jahr geben wird“, erzählt Melchinger. Die Traditionswagen sind jedes Jahr dieselben und erzählen die Legenden rund um das Laugengebäck.

Auch kulinarisch steht natürlich eines im Vordergrund: die Brezeln. Nachdem Günter Mayers Tochter Simone vor mehr als zehn Jahren zur Brezelkönigin gekürt wurde, kam dem Leiter des traditionsreichen Bäckereibetriebs Mayer die Idee, auch den Altenrieter Brezelmarkt zu beliefern. Seiner Tochter zu Ehren verfeinerte er sein Brezelrezept. „Seit diesem Moment heißt unsere Brezel Königsbrezel“, erzählt Mayer.

Der Bäckereibetrieb Mayer ist modernes Unternehmen und traditioneller Familienbetrieb in einem. Seit mehr als 250 Jahren ist die Bäckerei in den Händen der Familie Mayer. Nachdem lange Zeit in Metzingen gebacken wurde, steht die Backzentrale nun seit einigen Jahren in Kohlberg. Von dort aus unterhalten die Mayers über 40 Filialen in Baden-Württemberg. Da bleibt natürlich keine Zeit, die Brezeln alle von Hand zu schlingen. Insgesamt ist der Backprozess ein hoch modernisiertes Verfahren geworden. Eine Waage gibt genau vor, wie viel von welcher Zutat hinzugegeben werden muss. Besonders wichtig ist dabei die Zugabe von bereits vorbereitetem Teig vom Vortag. Der Gärungsprozess ist nämlich sowohl für die Frischhaltung als auch für den Geschmack ausschlaggebend, erklärt Produktionsleiter Joachim Stein. Im nächsten Schritt wird der Teig von einer Maschine in portionsgerechte Klumpen aufgeteilt, die anschließend zu einer kleinen Wurst gezogen und aufgerollt werden. Danach übernimmt die Maschine das Schlingen. Wie schwierig das ist, zeigt sich am Ergebnis: Auf höchstens zehn geschlungene Brezeln kommt eine missratene, die den ganzen Prozess erneut durchlaufen muss. Dann ist die Brezel auch fast fertig: Sie wird in Lauge getunkt, mit Salz bestreut, aufgeschlitzt, damit der weiße Bauch entstehen kann und dann in den Ofen geschoben. Die Brezeln, die nicht für die Filiale in Kohlberg gedacht sind, werden gekühlt und in die Filialen geliefert, die diese dann selbst aufbacken.

So werden zirka 2000 bis 3000 Brezeln pro Stunde gebacken. Nur einmal im Jahr laufen die Maschinen den ganzen Tag über heiß: am Wochenende vom Palmsonntag, wenn sich in Altenriet alles um die Königsbrezel dreht. Da stehen alle in Kohlberg auf Abruf bereit, wieder ein Blech in den Ofen zu schieben und die frisch gebackene Köstlichkeit direkt nach Altenriet zu fahren - schließlich sollten Brezeln nie länger als zwei Stunden stehen. Und erst recht nicht an ihrem eigenen Ehrentag.

Vom Ringbrot zur Brezel

Die Entstehung der Brezel: Legenden haben oft einen historisch wahren Kern. Was die Entstehung der Brezel angeht, ist wahrscheinlich, dass sie aus dem sogenannten Ringbrot hervorgegangen ist. Das wurde in der Antike zunächst bei kultischen Handlungen und dann beim christlichen Abendmahl eingesetzt. Im Laufe der Zeit wurde das runde Hartweizengebäck immer ungenauer geformt, sodass der Ring bald nicht mehr geschlossen war, sondern ein Ende immer weiter über den Ring reichte. Irgendwann wurden zwei dieser Ringe zusammengelegt. So entstand die Vorform der Brezel. Wer mehr über das Gebäck, seinen Geschmack und seine Formen wissen will, sollte einen Blick in „Das große Buch der Brezel“ von Irene Krauß werfen. Dort werden historische, kulturelle und technische Aspekte rund um das Brezelbacken beleuchtet.

Das Buch ist im Silberburg-Verlag erschienen und für 19.90 Euro im Buchhandel zu haben.