Maßarbeit ist vor allem bei Kleidern mit einem Korsagenoberteil das A und O. Quelle: Unbekannt

Von Dagmar Weinberg

Ob vor dem Altar oder an einem Tisch im Standesamt: Traut sich ein Paar, ist das für beide ein besonderer Tag. Und an dem will man natürlich nicht im Alltagsdress daher kommen. Wie wichtig den Bräuten ihr Kleid ist, egal ob sie ganz in Weiß oder in einer anderen Farbe den großen Tag begehen wollen, weiß Schneidermeisterin Birgit Brodbeck aus langjähriger Erfahrung. „Das Brautkleid sollte einmalig sein und es muss wie eine zweite Haut sitzen“, lautet das Credo der Fachfrau, die Obermeisterin der Damen-und-Herren-Schneiderinnung Esslingen/Göppingen ist. „Man muss sich in dem Kleid einfach rundum wohlfühlen. Da darf nichts zwicken oder stören.“ Das Angebot an Hochzeitskleidern von der Stange ist inzwischen zwar riesig - in speziellen Läden ebenso wie im weltweiten Netz. Doch passt nicht jede und jeder in das, was die Massenkonfektion gerade so auf den Markt bringt. „Es gibt nun einmal kleine kräftige, aber auch sehr schmale, zierliche oder extrem große Frauen und auch Männer, deren Figur einfach nicht den Standardmaßen entspricht“, erklärt die Handwerksmeisterin, die kürzlich mit ihrem Atelier von Esslingen nach Deizisau umgezogen ist.

Mit wie vielen Emotionen das Outfit für den Hochzeitstag verbunden ist, erlebte Birgit Brodbeck, als an ihrem Stand auf der Stuttgarter Hochzeitsmesse „Trau Dich“ plötzlich eine in Tränen aufgelöste Frau vor ihr stand. Die künftige Braut heulte nicht etwa vor Rührung, sondern aus Verzweiflung. Auf der Suche nach einem passenden Kleid war sie in vielen Geschäften gewesen. „Dort hatte man immer wieder zu ihr gesagt, dass sie mit ihren kräftigen Oberarmen keine Chance auf ein Kleid mit Ärmeln hat“, erzählt die Deizisauer Schneidermeisterin. „In ihrer Verzweiflung und aus Angst, dass es mit dem Kleid nicht mehr rechtzeitig zur Hochzeit klappt, hat sie sich dann am Ende zu einem Korsagenkleid überreden lassen, obwohl ihr selbst klar war, dass das eigentlich gar nicht geht.“ Nun hat sich Birgit Brodbeck daran gemacht zu retten, was noch zu retten ist. „Irgendwie muss ich es schaffen, an das Kleid oben was dranzunähen, so dass die Kundin doch noch zu einer glücklichen Braut wird.“

Dass ein Fehlkauf am Ende auf ihrem Schneidertisch landet, ist kein Einzelfall. „Da wird zum Beispiel ein teures Hochzeitskleid verkauft, das der Frau viel zu lang ist. Im Laden heißt es lapidar, dass man das ja ganz einfach kürzen könne“, berichtet Birgit Brodbeck. „Aber wie soll ich ein Kleid kürzen, das von oben bis unten bestickt ist?“ Um derartige Probleme zu lösen, muss die gebürtige Reutlingerin ihre ganze Handwerkskunst aufbringen. Die hat sie von der Pike auf gelernt. Nach ihrer mit Auszeichnung bestandenen Schneiderlehre studierte sie Anfang der 80er-Jahre vier Semester auf der Staatlichen Modeschule in Stuttgart. Anschließend hat die diplomierte Entwurfs- und Schnittdirektrice viele Jahre in der damals noch blühenden heimischen Textilindustrie gearbeitet und sich 1999 schließlich mit einem eigenen Atelier selbstständig gemacht.

Zwar liegt es der Innungsobermeisterin fern, den gesamten Einzelhandel zu kritisieren. „Aber in manchen Fachgeschäften vermisse ich inzwischen einfach eine kompetente Beratung“, sagt sie. „Dabei ist die individuelle Beratung doch das wichtigste und zugleich einfachste Mittel, um dem Internet Konkurrenz zu machen.“

Wer es individuell mag, auf Extravagantes steht oder aber bestimmte Vorstellungen vom Traumdress für den großen Tag hat, kommt meistens gleich zu Birgit Brodbeck. Denn ein Brautkleid, mit dem man nach der Trauung an einem hawaiianischen Strand flanieren kann oder das sich auch nach der Hochzeit tragen lässt, ist von der Stange nicht immer zu haben. „Ich habe schon vor Jahren Kleider aus weißer Seide mit einem Überkleid aus schwarzer Spitze gemacht, die man auch nach der Hochzeit anziehen kann.“ Auch der Herausforderung, ein Hochzeitskleid zu nähen, das den Transport in einem Rucksack unbeschadet übersteht, hat sich die Handwerksmeisterin gestellt. „Das Paar wollte während seiner Rucksacktour durch Südafrika heiraten und da brauchte die Braut natürlich ein Kleid, das sie nicht bügeln muss.“ Am Ende fiel die Wahl auf einen bestickten, gecrashten Leinenstoff. Auch einem bekennenden Individualisten, der seiner Angebeteten ebenfalls in Südafrika das Ja-Wort gegeben hat, hatte die Schneidermeisterin zuvor zum Traumanzug verholfen: Bermudas mit passender Weste aus einem edlen blauen Stöffchen.

In ihrem Atelier in Deizisau produziert Birgit Brodbeck nicht nur maßgeschneiderte Mode für Hochzeiten, Bälle oder andere festliche Anlässe. Sie entwirft auch stilvolle Alltagskleidung. Natürlich orientiert sie sich dabei an aktuellen Farben und Trends. „Die Konfektionsware ist jedoch oft sehr uniform. Bei mir steht hingegen der Mensch im Vordergrund“, unterstreicht sie. Denn Kleidung muss nicht nur zum Körper, sondern auch zum Typ passen. „Ich kann eine sportliche Frau doch nicht in ein Kleid mit Rüschen stecken.“ Da Maßanfertigungen teurer als Massenware sind, setzt die Obermeisterin der Schneiderinnung auf zeitlose Mode. „Ich rate meinen Kundinnen und Kunden dazu, sich lieber einige hochwertige und langlebige Stücke nähen zu lassen, die man kombinieren und ergänzen kann, als sich mal hier und mal dort ein oft ja auch teures Stück zu kaufen. Denn am Ende hat man dann doch nichts im Schrank, was wirklich zusammen passt.“