Quelle: Unbekannt

„Es ist schon vorgekommen, dass Eigentümer in diesem Gerichtssaal Drohungen ausstießen.“ Die halbe Stunde Mindestbietzeit vergeht weitgehend schweigend. Nur das Blättern von Papier ist zu hören.

Von Katja Köhler

Stuttgart/Esslingen - Eine gewisse Erleichterung ist im Saal 4 des Amtsgerichts Stuttgart spürbar. Gerade ist hier ein Einfamilienhaus mit Garten im begehrten Stuttgarter Stadtteil Sillenbuch zwangsversteigert worden. Für 1,155 Millionen Euro hat ein Paar den Zuschlag bekommen. Nach einem insgesamt 51 Minuten dauernden Bieterwettbewerb nannten die Mittdreißiger die höchste Summe dieser Verhandlung. Acht Mitsteigernde - fast durchgehend Paare, aber auch ein Vertreter einer Baufirma aus Denkendorf sowie ein Privatmann aus Leinfelden - holen bei der Leiterin der Versteigerung, Rechtspflegerin Grund, ihre Unterlagen wieder ab. Grund wird hier ohne Vornamen genannt - warum, dazu später. Für die Mitbieter ist die Angelegenheit damit so gut wie erledigt; spätestens aber dann, wenn sie die Sicherheitsleistung in Höhe von zehn Prozent des Verkehrswertes von der Gerichtskasse zurücküberwiesen bekommen haben. In diesem Fall handelt es sich um einen Betrag in Höhe von 123 500 Euro. Die Rechtspflegerin hat die Mitbewerber darauf hingewiesen, dass es ein paar Tage dauern könne, bis das Geld wieder auf ihren Konten sei.

Erleichterung in Saal 4 ist aber auch deswegen spürbar, weil mit der Versteigerung ein lange währender Streit zwischen geschiedenen Eheleuten, den vorherigen Eigentümern des Hauses, zu Ende gegangen ist. Der anvisierte Preis wurde erreicht, der an sich unteilbare Besitz zu Geld gemacht. Nun kann der Betrag an die Parteien ausbezahlt werden. Beide, Mann und Frau, wurden bei der Verhandlung jeweils durch einen Anwalt vertreten. Diese beiden wiederum signalisierten, dass die Abwicklung unproblematisch ablaufen werde. Das Haus sei geräumt, versicherte der Anwalt der Frau und der des Mannes betonte, dieser lebe seit längerem im Ausland und erhebe keinerlei Ansprüche auf das Haus. Ein bestehendes Mietverhältnis sei gekündigt, der Mieter wolle bis Monatsende ausziehen. Die Käufer werden es gerne gehört haben.

Zwangsversteigerung. Das Wort klingt nach staatlichem Eingriff, nach Vollzug, Enteignung, unfreiwilligem Abschied. Und so ist es auch. „Bei Zwangsversteigerungen geht es darum, dass ein Mensch sein Eigentum verliert“, sagt Rechtspflegerin Grund, zuständig für Zwangsversteigerungen am Amtsgericht Stuttgart. Dieser Verlust bleibt ein Verlust, oft stecken dramatische Schicksale hinter der erzwungenen Veräußerung einer Immobilie. Deshalb kann es auch geschehen, dass ein Besitzerwechsel nicht reibungslos vonstatten geht, etwa wenn der enteignete Eigentümer sich weigert auszuziehen.

Aus Sicht des Käufers bleibt bei Zwangsversteigerungen ein Restrisiko: Mal mehr, mal weniger kauft man dabei die Katze im Sack. Das sollte man bei der Überlegung, sein Geld per Ersteigerung in Betongold anzulegen, im Hinterkopf behalten.

Auch die Versteigerung selbst laufe nicht immer geruhsam ab, berichtet Rechtspflegerin Grund. Es gebe Fälle, in denen sich die Betroffenen mit allen Mitteln gegen die Veräußerung ihrer Immobilie wehren, sogar mit Gewalt. Selbst gegen Mitarbeiter der Justiz. Daran liegt es auch, dass die Rechtspflegerin nicht mit vollem Namen genannt werden will. „Es ist schon vorgekommen, dass in diesem Gerichtssaal Drohungen ausgestoßen wurden.“

Am Amtsgericht Esslingen steht die Zwangsversteigerung einer 20 Jahre alten Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in Neckartenzlingen an. Die Eigentümerin lebt darin, der Verkehrswert liegt bei 149 000 Euro. Das Interesse ist überschaubar. Ein paar Besucher - zwei Frauen um die Dreißig, drei Männer im Rentenalter, eine Frau im Businesslook sowie ein Mann um die Fünfzig - haben sich im Sitzungssaal eins eines unscheinbaren Gebäudes in der Esslinger Innenstadt verteilt, etliche Stühle bleiben leer. Rechtspflegerin Kessler, die aus den gleichen Gründen wie ihre Stuttgarter Kollegin ihren Vornamen nicht in der Zeitung lesen will, belehrt die Anwesenden über die Rahmenbedingungen des Objekts und stellt den Anwesenden das Gutachten zur Verfügung. Insgesamt drei Besucher werden es sich ansehen. Fotos vom Haus gibt es, aber keine von der Wohnung. Den Gutachtern wurde der Zutritt verweigert, sagt Kessler. Von den Beteiligten - Eigentümerin, Gläubiger, Hausgemeinschaft -, auch das stellt sie fest, ist niemand erschienen.

11:08 Uhr. Die Bietezeit beginnt. Sie hat mindestens 30 Minuten zu dauern. Die halbe Stunde vergeht weitgehend schweigend. Nur das Blättern von Papier ist zu hören, verursacht von jenen, die das Gutachten in Händen halten. Zweimal kommt etwas Leben auf. Die Bieter weisen sich bei der Rechtspflegerin aus, zahlen die Sicherheitsleistung in Höhe von zehn Prozent des Verkehrswertes und geben ein erstes Gebot ab. Der Mann um die Fünfzig nennt 74 500 Euro, die Hälfte des Verkehrswertes. Er bietet im Namen eines Dritten, der ihn schriftlich bevollmächtigt hat. Die andere Bieterin ist die Businessfrau. Sie erhöht das Gebot auf 84 000 Euro.

11.38 Uhr. Rechtspflegerin Kessler stellt fest, dass die Mindestbietezeit abgelaufen ist. „84 000 Euro sind geboten. Bietet jemand mehr?“ Die Gebote kommen nun rasch hintereinander. Der Mann bietet stets 1000 Euro mehr als die Mitbietende, sie erhöht ihr Gebot jeweils in 5000-Euro-Schritten.

Frau: 90 000.

Mann: 91 000.

Frau: 95 000.

Mann: 96 000.

Frau: 100 000.

11.40 Uhr. 120 000 Euro hat die Frau geboten, der Mann hebt seine Hand nicht mehr. Stille. Dann: „120 000 zum Ersten, 120 000 zum Zweiten, 120 000 zum Dritten. Gibt noch jemand ein Gebot ab?“, fragt Kessler. Schweigen. Damit geht die Wohnung in Neckartenzlingen an die Mitarbeiterin einer Investmentfirma. Sie beantragt umgehend eine vollstreckbare Ausfertigung, mit der ihr Unternehmen die Wohnung zwangsräumen lassen kann.

Die Rechtspflegerin verkündet den Zuschlag, bekundet, dass die Enteignerin die Gerichtskosten zu tragen habe und dass die Wohnung ohne Lasten übergeben werde.

11.44 Uhr. „Das war’s dann“, sagt Kessler.

Später wird die Esslinger Rechtspflegerin sagen, dass die Versteigerung mit großer Wahrscheinlichkeit anders abgelaufen wäre, wenn jemand von den beteiligten Parteien anwesend gewesen wäre. „Da kann es schon mal ruppig werden.“ Und in diesem Fall, sagt Kessler, begrüße sie es, dass die Wohnung an eine Firma gegangen ist. Denn für einen privaten Käufer könne die Räumung einer zwangsversteigerten, aber noch bewohnten Wohnung zu einer Herausforderung, ja Belastung werden.

Das Paar, das soeben Eigentümer des Hauses in Sillenbuch geworden ist, scheint diesem Los zu entgehen. Die Beteiligten gehen in aller Freundlichkeit auseinander. Und auch von der früheren Eigentümerin, die mit einer großen Sonnenbrille auf der Nase zur Verhandlung gekommen ist, kein böses Wort. Sie und die Anwälte hätten das Recht gehabt, die Summe auszuschlagen. Doch alle drei erklären sich mit dem Angebot einverstanden, das 80 000 Euro unter dem gutachterlich erstellten Marktwert von 1 235 000 Euro liegt.

Die Frau selbst scheint sich mit den Tatsachen abgefunden zu haben. Als sie - verspätet - zur Versteigerung ihres früheren Heims erscheint, legt sie als erstes einen großen braunen Umschlag auf dem Tisch vor sich ab. Sie klopft mit der flachen Hand darauf und erklärt, darin seien die Schlüssel zum Haus. Sie habe es nun endgültig geräumt.

zwangsversteigerungen und ihre besonderheiten

Als Gründe für Zwangsversteigerungen von Immobilien kommen grundsätzlich zwei Situationen in Frage. So kann eine Privatinsolvenz dazu führen, dass das Eigenheim veräußert werden muss, wenn also Zahlungen - etwa aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Krankheit - nicht mehr beglichen werden können und eine einvernehmliche Regelung mit Gläubigern nicht möglich ist.

Als andere Ursache gilt Zerstrittenheit oder Uneinigkeit verschiedener Parteien. Dies kann etwa Erbengemeinschaften betreffen oder getrennte Paare.

Bei einer Zwangsversteigerung gelten spezielle Regeln. Der Verkehrswert eines Objektes wird im Auftrag des Gerichtes durch ein Gutachten eines Sachverständigen festgelegt. Gutachten, Fotos und Exposé können im Internet und vor Ort am Amtsgericht eingesehen werden. Bieter müssen sich beim Versteigerungstermin durch einen gültigen Personalausweis oder Reisepass ausweisen. Für nicht anwesende Dritte ist eine beglaubigte Bietvollmacht notwendig. Firmenvertreter müssen ihre Vertretungsberechtigung durch einen beglaubigten Handelsregisterauszug nachweisen. Meist verlangt das Gericht eine Sicherheitsleistung in Höhe von zehn Prozent des Verkehrswertes. Die Sicherheitsleistung kann durch Bankbürgschaft, Bundesbankscheck oder Verrechnungsscheck oder durch rechtzeitige Überweisung an die Gerichtskasse geleistet werden. Die Bietzeit beträgt mindestens 30 Minuten. Unkundigen wird empfohlen, zunächst als Zuschauer an einer Zwangsversteigerung teilzunehmen, ehe sie selbst aktiv werden.

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