Von Alexander Maier

Esslingen - Henrik Ibsens Drama „Die Wildente“ war auf unzähligen Theaterbühnen zu sehen, auch fürs Kino wurde der Klassiker wiederholt adaptiert. Dass ist nicht verwunderlich, denn der norwegische Dramatiker wagte sich an ein zeitloses Thema: Ibsen geht der Frage nach, ob das Streben nach Wahrheit wirklich über allem stehen muss oder ob es bisweilen barmherziger ist, die eine oder andere Lebenslüge zu bewahren, weil sie das Dasein am Ende doch erträglich macht. Nun hat der australische Regisseur Simon Stone diesen Klassiker fürs Kino neu interpretiert. Und er belässt die Geschichte nicht im 19. Jahrhundert, sondern holt sie in unsere Gegenwart und zeigt damit die universelle Bedeutung von Ibsens Anliegen.

Für die bevorstehende Hochzeit seines Vaters Henry (Geoffrey Rush) mit der wesentlich jüngeren Anna (Anna Tory) kehrt Christian (Paul Schneider) in seine Heimatstadt zurück. Das Leben dort ist aus den Fugen geraten, seit Henry sein Sägewerk schließen musste und viele Menschen ihre Arbeit verloren haben - so wie Christians Freund Oliver (Ewen Leslie), der in der kleinen Stadt geblieben ist. Christian lernt Olivers Familie kennen - dessen Ehefrau Charlotte (Miranda Otto), dessen Vater Walter (Sam Neill) und Olivers Tochter Hedvig (Odessa Young), die bei Stone anders als bei Ibsen zur Schlüsselfigur wird. Christian entdeckt ein schlimmes Geheimnis, das wie ein Schatten über allen schwebt. Getrieben vom Streben nach Wahrheit versucht er, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Was gut gemeint war, hat jedoch schlimme Folgen für alle, die Christian vor Jahren zurückgelassen hat und die sich ihr Dasein mit allerlei kleinen Lebenslügen ein bisschen erträglicher eingerichtet haben.

„Es ist ein Film über Menschen, die versuchen, gut zu handeln, die lieben und scheitern, die schwach werden, ums Überleben kämpfen“, sagt Simon Stone über sein Regie-Debüt. „Er handelt davon, dass man vor den Fehlern der Vergangenheit nicht fliehen kann und dass nicht eine einzige Person entscheidet, was wahr ist, sondern eine Gemeinschaft dies zusammen festlegt, mit allen Komplikationen.“ Stone hat die alte Geschichte eindringlich und zeitgemäß in Szene gesetzt. Den großartigen Darstellern gelingt es vorzüglich, diesen Klassiker ins Hier und Jetzt zu transportieren.

Frei nach Henrik Ibsens Klassiker „Die Wildente“ gelingt Simon Stone ein eindringlich inszeniertes Familiendrama, das von der schrecklichen Macht alter Geheimnisse, von den verheerenden Folgen unbedingten Wahrheitsstrebens und von der heilsamen Wirkung mancher Lebenslügen erzählt.